Gegenwärtig kursiert im klassischen Handel das Mantra, dass der Onlinehandel alsbald seine Wachstumsgrenze, zumindest in zentralen Branchen, erreicht haben könnte. Der Irrtum könnte größer nicht sein. Vieles spricht dafür, dass es für den digital abgehängten Laden an der Ecke noch viel schlimmer kommen wird.
Das Bedrohungsgefühl des stationären Handels gegen über dem E-Commerce entwickelt sich in Wellen. Anfangs verleugnet, folgte bald der Glaube, es werde schon nicht so schlimm werden.
Als es dann schlimm wurde, tröstete der Gedanke, mit einem Marktanteil von 20 oder 30 Prozent, beispielsweise im Mode-Segment, werde schon ein Plateau erreicht sein. Viel ist da von Marktreife und natürlichen Wachstumsgrenzen die Rede. Diese Welle ist derzeit sehr aktuell, wird aber bald erschrocken in sich zusammenbrechen. Sie ist sehr natürlich sehr menschlich: Selbst Gottlieb Wilhelm Daimler glaubte einst, "die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten."
Andere beruhigen sich noch damit, die Gesetze und das Verbraucherverhalten anderer Branchen seien nicht auf den eigenen Kunden übertragbar. Diese Händler holen nun die Erfahrungen aus dem Modesegment nach.
Eine abgewandelte Form dieser Wellen sieht weite Kundenkreise, vor allem ältere Verbraucher, im Onlinehandel außen vor. Auch diese Welle verebbt gerade.
Beginnen wir also mit den „Best Agern“. Immer ein bisschen langsamer, immer ein bisschen später dran im Netz, dann aber mit Taschen voller Geld unterwegs, um das Erbe ihrer Kinder zu verprassen.
Zwar sagt das Konsumbarometer der Commerzbank-Tochter Commerce Finanz gerade, dass der stationäre Handel bei der Generation 50+ hoch im Kurs steht, doch erkennt die Studie besonderes bei Bekleidung, Elektrohaushaltsgeräten und Möbeln eine große Affinität für Shopping per Mausklick. „Wenn es um die Bestellung per Mausklick geht, sind Deutschlands über 50-Jährige europaweit führend: nicht zuletzt, weil diese neuen Einkaufsroutinen an die lange Tradition des Versandhandels in Deutschland anknüpfen", sagt Alexander Wild, Experte für Senioren-Marketing.
Anders gesagt: Die Best Ager, lange Zeit sicheres Klientel für die Ladengeschäfte, orientieren sich allmählich neu.
Die Folge: Das veränderte Konsumentenverhalten führt dazu, dass selbst einst als verlässlich betrachtete Kundengruppen immer häufiger zu hybriden Entweder-oder-Kunden werden und mit jeder positiven digitalen Erfahrung mehr digitale Warenkörbe füllen.
Jenseits des Konsumentenverhaltens sind es aber vor allem neue Technologien, die dem Digital Commerce im Vergleich zum stationären Einzelhandel ein auf lange Sicht unaufhaltsames Wachstum versprechen.
Schaut man beispielsweise auf die Software-Entwicklung der vergangenen Jahre, stellt man fest, dass Dienste, Tools und Lösungen für den E-Commerce immer umfangreicher wurden. Gleichzeitig existiert eine wachsende Fülle praktikabler Software-Lösungen für den Shop, die mit geringen Kosten oder gar ganz ohne finanziellen Aufwand den Weg in den Digital Commerce ermöglichen und es digital ausgerüsteten Händlern leichter gestatten, dem Kunden ein flexibles Angebot für seine jeweilige Nutzungssituation zu machen. Vor allem aber helfen diese Werkzeuge, dass Händler das Team klein halten und sich auf ihre Kernkompetenz des Warengeschäftes besinnen können.
Wohlgemerkt erleichtert derlei gerade auch Spätstartern aus dem Mittelstand den Einstieg, der das Wachstum des E-Commerce-Marktes mit eigenen Shops oder mit einem Engagement auf Marktplätzen weiter befeuern dürfte. Ob auch mit wirtschaftlicher Nachhaltigkeit – unklar.
Für den Markt ist es nur entscheidend, dass der Online-Neuling, der einmal von einem – vielleicht seinem - lokalen Händler auf einem Marktplatz bedient wurde, langfristig zu einem dauerhaften (hybriden) Kunden im Web wird. Selbst wenn der Einstiegshändler wirtschaftlich das Zeitliche segnet - der Geschmack der digitalen Bequemlichkeit wirkt weiter.
Auch auf der Marketing-Seite, im Fulfillment und im SEO gibt bereits (sogar anfängertaugliche) Werkzeuge in Serie, und ständig kommen Elemente hinzu, die mit geringem Einsatz von Kapital und Geld, Onlinern – aber eben auch dem onlinegehenden Offlinehandel – einen leichten Zugang zum Kunden versprechen.
Digitale Zahlungen, lange ein Hemmschuh, für misstrauische Kunden, werden mehr und mehr zum Alltag. Mit seinen Mobile Payment-Lösungen für die Ladenkassen im stationären Handel sorgt der Handel selbst für eine weitere Gewöhnung an digitale Zahlungslösungen – im Internet.

Auf der Logistikseite erleben wir gerade, wie neue Liefermodelle eine größere Convenience und Einfachheit – von Schnelligkeit nicht zu reden - beim Einkauf ermöglichen und eine neue Erwartungshaltung beim Kunden erzeugen.
Der wird damit immer mehr zum ungeduldigen Kind: Ich. Will. Alles. Sofort.
Das Angebot von Zalando an den stationären Handel, sich als eine Art Betriebssystem um die Convenience im Bereich der Lieferung, Sortiment und Lokalisierung zu kümmern, kommt da zwar vielleicht etwas früh für viele, die ein Ende des digitalen Wachstums erwarten. Netzwerke mit starker Prozessoptimierung aber werden dem Digital Commerce aber nochmals Schwung geben und könnten dann auch zur Stütze für den digitalisierten Laden vor Ort werden. Denn Online-Händler werden mehr und mehr Cityhubs in großen Städten etablieren, um lokale Verfügbarkeiten und Lieferungen zu organisieren. Lokale Geschäfte, die sich als Lager für die Auslieferung und Abholung andienen, können damit zumindest ein Stück weit Service-Erlebnis bieten. Auch wenn das womöglich so nützlich ist, wie die Lotto-Bude im Supermarkt. In jedem Fall aber wächst der Anteil des E-Commerce.
Auf der anderen Seite erleben wir Onliner, die sich deutlicher denn je dem physischen Vertrieb verschreiben. Sei es ein einzelner Flagship-Store, sei es ein Serie an Läden, oder ein temporärer Pop-up-Store oder eine Ausstellungsfläche - der klassische Handel ist in den Fußgängerzone nicht allein und verliert den Wettbewerb auf Dauer nach (Kontakt-)Punkten. Ist das dann E-Commerce-Umsatz? Ist es stationärer Umsatz? Nebensache, es ist in jedem Fall Umsatz der dem klassischen Handel entzogen wird und nun bei einem digitalen Player landet.
Und dann ist da noch das „Internet of Things“. Je mehr neue Technologien Alltagsgeräte (Drucker, Waschmaschinen oder Brita-Wasserfilter) mit dem Internet verbinden und so die Bequemlichkeit der Kunden erhöhen, umso mehr wird der klassische Einkauf aus der Kohlenstoffwelt in einen digitalen Prozess verlagert. Mit Dash Button, Dash Replenishment Service (autonom bestellender Geräte) und Echo zeigt Amazon auf, wie sehr sich das Kauferlebnis von eigentlichen menschlichen Kaufimpuls entkoppeln lässt. Die Marktrelevanz bewegt sich gegenwärtig noch auf der Höhe der Erfindung des Rades in der Frühsteinzeit. Dennoch ist in den USA bereits etwa jede dritte Marke der 100 Top-Haushaltsprodukte beim Dash-Programm dabei.