Wer sich als Händler dem E-Commerce öffnet, kann die Fühler über die Landesgrenzen hinaus strecken: Nie war es leichter, Produkte auf anderen Märkten zu verkaufen. Kunden in anderen Ländern lockt neben dem Preis nicht zuletzt auch die Aussicht, Marken oder Produkte zu finden, die es auf dem Heimatmarkt nicht gibt.
Die Wachstumsraten im grenzüberschreitenden Online-Shopping sind noch etwas größer als im E-Commerce allgemein: 2022 wird das Volumen des weltweiten Cross-Border-E-Commerce auf 900 Milliarden Dollar jährlich geschätzt, das wäre ein Wachstum um 600 Milliarden Dollar seit 2015. Kaleido prognostiziert, dass der grenzüberschreitende E-Commerce in den nächsten fünf Jahren eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 14 Prozent aufweist, verglichen mit 9 Prozent im inländischen E-Commerce-Zuwachs. Die Chancen, neue Kunden zu gewinnen stehen für deutsche Händler nicht schlecht: "Made in Germany" hat nach wie vor einen guten Ruf im Ausland, eine entsprechende Orientierung lohnt sich gerade bei Produkten, die mit technischer Qualität oder regionalen Charakteristika aufwarten.
Marktspezifische Strategie
Allerdings: Wer als Händler international Kundschaft ansprechen möchte, muss die digitale Verkaufsstrategie auf jeden einzelnen Markt ausrichten. Das bedeutet, dass die jeweiligen Kundenbedürfnisse bekannt sind und adressiert werden, von den Produktwünschen über die Zahlungs- bis zu den Versandoptionen.
Sprache
Ein wichtiger Schlüssel ist die Sprache: 75 Prozent aller grenzüberschreitend einkaufenden Verbraucher würden nicht auf einer Website kaufen, die nicht in ihrer Muttersprache angeboten wird. In seinem E-Book zum Thema Cross-Border-Handel rät Channel Advisor deswegen zur Übersetzung des Web-Contents, weil diese naturgemäß die einfachste Form der Suchmaschinen-Optimierung darstellt.
Richtlinien beachten
Damit eine Regionalisierung tatsächlich die gewünschte Wirkung zeigt, bedarf es jedoch viel mehr als nur der Übersetzung des Angebots in die jeweilige Landessprache. Handel funktioniert in jedem Land ein bisschen anders, er unterscheidet sich unter anderem im Hinblick auf das Impressum, die Verpackungsrichtlinien, Recyclingvorschriften, Gewährleistungs- sowie Kennzeichnungspflichten. Während diese Aspekte relativ schnell angepasst werden können, gilt es auch eine Menge rechtlicher Aspekte zu berücksichtigen, bei denen das nicht so einfach ist. Zu nennen sind unter anderem Verbraucherschutz, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Gerichtsstand, Zollbestimmungen und Steuerregelungen.
Handel innerhalb der EU
"Eine One-Fits-All-Lösung gibt es im Cross Border Commerce nicht", sagt Andreas Platiel, Strategic Partnerships EMEA bei Channel Advisor, jedes Land muss einzeln betrachtet werden. Am einfachsten ist der grenzüberschreitende Online-Handel in der Europäischen Union. Die Vorgaben können hier leicht über eine Checkliste der EU-Rechtsvorschriften für Verkäufe an Endverbraucher (B2C) überprüft und angepasst werden. Hinweise gibt es unter anderem zu den Informationen, die Kunden vor Abschluss des Vertrags in verständlicher Form zur Verfügung gestellt werden müssen. Dazu gehören nicht zuletzt
- Produktinformationen,
- Aufklärung zu Preisen und Gebühren,
- Beschreibung der Garantien sowie
- Mustertexte zur Belehrung der Kunden über die Widerrufsbedingungen.
Weiterhin werden Händler über die Fristen informiert, innerhalb welcher Lieferungen nach Vertragsabschluss zu erfolgen haben.
Mehrwert- und Umsatzsteuer
Doch bereits beim Handel innerhalb der EU gibt es Bereiche, die Händlern Kopfschmerzen bereiten können. Zu nennen ist hier vor allem die Umsatzsteuer. Maximilian Gampl von Hellotax, der diesen Teilbereich im November 2019 besonders durchleuchtet hat, mahnt hier zu besonderer Aufmerksamkeit, denn bei Nichtbeachtung sei mit empfindlichen Strafgebühren zu rechnen: "Neben der Einreichung verschiedener Berichte und Steuermeldungen, müssen auch eine korrekte Besteuerung und gültige USt.-Registrierungen in allen notwendigen Ländern sichergestellt werden."
Weil die Situation sich auch außerhalb der EU von Land zu Land unterscheidet, müssen Versandhändler sehr genau prüfen, ob die Lieferung in Deutschland umsatzsteuerbar ist und ob Voraussetzungen für eine umsatzsteuerfreie Ausfuhrlieferung vorliegen.
Vorsicht bei Nicht-EU
Und außerhalb der EU ist man schneller als gedacht. Für deutsche Händler sind die Schweizer Nachbarn dank der hohen Kaufkraft eine interessante Zielgruppe. Aber auch hier hat die Tatsache, dass die Schweiz kein EU-Mitglied ist, neben dem Handling der Mehrwertsteuerfragen weitere Komplikationen zur Folge. Werden Waren aus dem Ausland in die Schweiz geliefert, erhebt die Schweiz eine Einfuhrsteuer. Fällig wird diese ab einem Warenwert von 65 Schweizer Franken (rund 61,50 Euro). Waren die günstiger sind gelten als Kleinsendungen – ein nicht unwichtiges Kriterium bei der Kalkulation der Versandkosten.
Seit dem 31. Dezember 2020 ist auch das Vereinigte Königreich (mit Ausnahme von Nordirland) ein Drittland, für das im B2C-Handel eigene Regeln gelten. "Bei Warenverkäufen im B2C-Geschäft muss sich der ausländische Verkäufer im Vereinigten Königreich registrieren und die britische Umsatzsteuer abrechnen", heißt es dazu bei der IHK Rhein-Neckar. Dies gelte allerdings nicht, wenn der Verkauf über eine Online-Plattform abgewickelt werde.
Zahlungsoptionen
In Bezug auf die potenziellen Kunden sind neben Kultur, Vorlieben, Bedürfnisse und Eigenheiten des lokalen Marktes insbesondere die regional präferierten Zahlungsweisen zu berücksichtigen. Bezahlen mit Kreditkarten ist im europäischen Vergleich weit überwiegend die beliebteste Bezahlmethode, so eine Marktstudie von JP Morgan. Am häufigsten werden Kreditkarten in Dänemark (63,4% der Zahlungen im E-Commerce), Irland (60%) und Großbritannien (53%) genutzt. In Deutschland zählen sie neben E-Wallets zu den am weitesten verbreiteten Zahlungsarten bei den umsatzstärksten Online-Shops in Deutschland, hat das EHI Retail Institute ermittelt.
Aber auch hier sollten sich Händler nicht auf diese eine Zahlweise kaprizieren, gibt es doch große regionale Unterschiede. Während die Deutschen gerne das Banküberweisungssystem von Sofort (Klarna) nutzen, ziehen viele Italiener immer noch die Zahlung per Nachnahme vor. Es ist also sehr zu empfehlen, sich mit den vor Ort favorisierten Methoden auseinanderzusetzen.
Einfache Lösungen reichen nicht
Einfach nur neue Zahlungsoptionen hinzuzufügen oder ein paar neue Sprachen zu unterstützen reiche nicht aus, um den Online-Check-out den jeweiligen Markterfordernissen anzupassen, warnt Pymnts.com vor einfachen Lösungen. Händler müssen vielmehr sicherstellen, dass die Funktionen, in die sie investieren, ein reibungsloses Gesamterlebnis unterstützen. Dies könne erreicht werden, indem Funktionen angeboten werden, die "die Erfahrungen der Kunden mit vertrauten Zahlungsmethoden und Sprachen personalisieren, sowie solche, die Vertrauen erwecken und zweckmäßige, reibungslose Transaktionen ermöglichen".
Versand
Der zügige Versand, die Kommunikation des Versandstatus', Tracking und Lieferoptionen sind weitere wichtige Kriterien, die auch beim grenzüberschreitendem Online-Handel über den dauerhaften Erfolg entscheiden. Kleine Unternehmen haben nicht nur häufig einen Nachholbedarf bei der Digitalisierung ihrer Abläufe, ihnen fehlt es zumeist auch an logistischer Vorbildung. Kein Wunder, wenn bislang ausschließlich stationär verkauft wurde. Die Entwicklung dieser Unternehmen wurde bislang getragen von hohem manuellem Einsatz. Manuelle Prozesse jedoch sind nur begrenzt skalierbar. Diesem Dilemma nehmen sich Dienstleister wie Ondemandcommerce (Odc) an. Odc ist ein Start-up aus dem Hause der Otto Group, das sich auf diese Klientel spezialisiert hat. Es bietet eine Plattformlösung für Fulfillment und Retouren ab einem Paket. Odc hilft Händlern bei der Digitalisierung, macht Schnittstellen zugänglich und unterstützt sie auf ihrem Weg in die globale Logistikwelt.
Retouren
Im vergangenen Jahr sind nach Schätzung von Retourenforschung.de der Universität Bamberg in Deutschland 315 Millionen Pakete mit Waren von den Kunden wieder an die Händler zurückgeschickt worden. Laut Studien der Bamberger verursacht eine Retoure Kosten von durchschnittlich 15,18 Euro zuzüglich der Transportkosten für Hin- und Rücksendung. Es ist also für die Profitabilität von Online-Shops eminent wichtig, Retouren so gering wie möglich zu halten, zumal wenn es um Kunden im Ausland geht.
Da in vielen Fällen mangelhafte Produktinformationen die Ursache für Retouren sind, gilt es, diese zu optimieren. Ein zweiter Punkt ist die Kundenkommunikation. "Beim Online-Shopping ist das Retouren-Management der Bereich, in dem meist der intensivste Kundendialog stattfindet", schreibt Alexander Lange auf etailment.de.
Zu den Dialogoptionen gehört auch, die Einrichtung eines Bewertungssystems, in dem Rezensionen in mehreren Sprachen möglich sind. Damit können potenzielle Kunden nicht nur ihre Erwartungen justieren, es hilft Händlern auch, ihr Angebot zu optimieren.
Plattformen
Beim Weg in den internationalen E-Commerce sollten Händler klein anfangen und agil bleiben, rät Channel Advisor. Internationale Marktplätze wie Amazon und Ebay können da helfen: Konsumenten schauen beim grenzüberschreitenden Shopping viel eher auf den internationalen Seiten von Amazon vorbei, ehe sie es bei unbekannten Anbietern oder Websites probieren, heißt es bei emarketer.com. Ergo: Händler, die auf Amazon beziehungsweise Ebay aktiv sind, sollten beim Schritt ins Ausland ihre Artikel auf den dortigen lokalen Landesseiten listen. Wenn das geklappt hat, könnten im nächsten Schritt lokale Online-Marktplätze ins Auge gefasst werden, rät Channel Advisor in seinem E-Book zum Cross-Border-Handel.
Länderspezifische Plattformen
Jenseits der Marktplätze multinationaler Player gibt es in allen Ländern Angebote, die für Händler aus Deutschland interessant sind. In Frankreich lohnt es sich, Cdiscount anzuschauen; in den Niederlanden gehört die Ebay-Tochter Marktplaats zu den Top-Online-Handelsplattformen für Waren und Dienstleistungen. Wer in Osteuropa verkaufen will, wird in Polen nicht an der Plattform Allegro.pl vorbeikommen und sich weiter südlich wohl für Emag entscheiden: Der größte Online-Einzelhändler Rumäniens wird unter anderem in Bulgarien und Ungarn als populärster Marktplatz geführt. Die türkische Plattform Hepsiburada – auf Deutsch „Es ist alles hier“ – ist die größte E-Commerce-Plattform in der EMEA-Region.
Jeder Marktplatz stellt individuelle Anforderungen an bereitgestellte Produktinformationen. Diese effizient zu bedienen, wird auch ausgefuchste große Händler überfordern. Hinzu kommen Aspekte wie Umsatzsteuer, Warenlagerung im Ausland, Überschreiten bestimmter Lieferschwellen, Intrastat-Meldungen, Zoll-bedingte Zusatzkosten. Für Raisboxes lässt dies nur einen Schluss zu: "Die Wahl eines verlässlichen Dienstleisters ist unbedingt zu empfehlen."