Buchhändler und Onlinehandel. Da treffen fremde Welten auf einander. Doch das muss nicht sein. etailment sprach mit René Kohl, Online-Buchhändler, Blogger (www.renekohl.com) und Berater der Buchbranche. Seine Buchhandlung Kohlibri (www.kohlibri) feiert in diesem Jahr ihr 15jähriges Bestehen im Online-Dschungel.

Kohlibri ist seit Jahren im Internet präsent. Ist das Präferenz oder Notwendigkeit?

René Kohl: Kohlibri war und ist „nur“ im Internet präsent – es gibt kein Ladengeschäft und braucht, zumindest im Prenzlauer Berg, wo wir umzingelt sind von tollen Buchhandlungen, auch kein stationäres Geschäft mehr.

Von daher ist es nativ – und wohl präferiert.

Wie schafft es Kohlibri, einen „USP“ zu bilden, und welcher ist das?

René Kohl: Einen? Hunderte…  Wir erfinden Jahr für Jahr neue Geschäftsideen, um Produkte an die Frau und an den Mann  zu bringen. Wie gehören zu den wenigen Buchhändlern (es werden zum Glück langsam mehr), die online mit einem eigenen Sortiment sichtbar sind – dazu gehört ein Shop-System, das uns in jedem Winkel jede Titel-Gewichtung frei nach gusto erlaubt, außerdem den redaktionellen Zugriff auf jede Titelbeschreibung.

Das Ergebnis: Wir präsentieren genau (nur) die Titel, die wir empfehlen möchten, und zwar auch genau so, wie wir sie empfehlen möchten. Diese Filter- und Empfehlungsfunktion wird mit Buch-Käufen durch die Kunden belohnt. Und wir erlauben uns, unsere Kunden mit Service zu belästigen.

Ein Beispiele: Der Diogenes Verlag hat vor fünf Jahren eine 75bändige Maigret-Gesamtausgabe auf den Markt gebracht – es erschienen jeweils vier Bände im Monat. Wir bieten bis heute das Komplett-Paket online an – aber auch die Möglichkeit, heute ein Abo zu beginnen und vier Bände im Monat zu bestellen – die letzten dann in anderthalb Jahren. Falls jemand schon einen oder mehrere Bände hat, kaufen wir sie ihm ab. Außerdem legen wir als Dreingabe für alle Abonnenten ein nur noch bei uns erhältliches Hörbuch des ersten Bandes bei.

Das alles ist online bestellbar und führte bis heute zu vielleicht 200 verkauften Komplettausgaben.

"Wir erlauben uns, unsere Kunden mit Service zu belästigen."

Kundenkommunikation – welche Instrumente werden eingesetzt und wie effizient sind diese?

René Kohl: Wir nutzen unsere Webseite, Newsletter, Facebook und die Webseiten unserer Partner-Verlage (für die wir u.a. das eCommerce-Fulfillment übernehmen). Dazu werben wir im Internet mit klassischer Online-Werbung. Ab und an probieren wir, oft in Kooperation mit unseren Partnerverlagen, Print-Online-Mixmarketing aus (Printkataloge oder Zeitschriften-Anzeigen mit Verweis auf Online-Angebot…)

Am erfolgreichsten und kontinuierlichsten ist das Zusammenspiel zwischen unserem Shop-Angebot und den Newslettern, die wir an einen Gesamtverteiler von ca. 30.000 Kunden schicken. Sehr gut funktioniert auch das Marketing rund um die Zeitschrift Psychologie Heute, für die wir seit drei Jahren einen Online-Shop betreiben. Buchempfehlungen in den Printausgaben führen zu guten Bestellungen in unserem Online-Shop. Online-Werbung funktioniert auch gut – erfordert aber ein regelmäßiges Auge auf die Conversion-Rate und geht auch mal daneben.

Der unabhängige Buchhandel steckt in einer Zwickmühle zwischen den großen stationären Filialisten einerseits und der Dominanz von Amazon beim Versand andererseits. Jetzt ist auch die Aussicht auf eine Branchenallianz unter dem Dach von Tolino nicht mehr gegeben. Gibt es eine realistische Zukunftsperspektive für die Unabhängigen?

René Kohl: Ich habe in den letzten Monaten häufig gehört, dass die kleineren Independents sich gar nicht so unwohl fühlen. Offenbar geht es zwischen den Ketten und Amazon weit mehr um Marktanteile, die jetzt von den Ketten ins Web wandern. Wir selbst haben umsatzmäßig in diesem Jahr um 10 Prozent zugelegt.

Die Situation könnte für die Independents sogar noch komfortabler werden, wenn die Ketten, wie es ja jetzt geschieht, mehr und mehr an Fläche abbauen und wenn die Verlage neben der langsam erwachenden Liebe für das Digitale auch die Aufmerksamkeit auf hochwertige Print-Bücher bewahren (oder neu entwickeln). Wenn die von den Filialisten verbreitete Billigheimerei an Relevanz verliert und die Buchpreise nach oben gehen, wird dies hierzulande von einer potenten Buchkäuferschaft goutiert und kommt den Independents entgegen.

"Die Situation könnte für die Independents sogar noch komfortabler werden. "

Die Strategie der Independents muss aber auf jeden Fall sein, die Sichtbarkeit und zu erhöhen und als Netzwerk sichtbar zu werden – es werden noch viele Entscheidungen fallen, bei denen ein geschlossenes Eintreten der Independents notwendig ist; und ich halte es für durchaus denkbar, dass die öffentliche Meinung Richtung „Buy local“ und gegen die großen Ketten und amerikanischen Player zu drehen ist; aber dazu braucht es etwas anderes als die „Vorsicht, Buch!“- Kampagne des Börsenvereins und einen Fernseh-Beitrag über die Arbeitsbedingungen bei Amazon. Die bürgerlichen Medien warten eigentlich sehnsüchtig auf neue Storys und gute Ideen aus dem ihnen sympathischen „kleinen“ Buchhandel – warum liefern wir sie ihnen nicht?

In Frankreich hat die Regierung ein Förderprogramm für den unabhängigen Buchhandel aufgelegt und betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Bedeutung dieser kulturellen Infrastruktur. Ist so etwas auch in Deutschland machbar oder wenigsten wünschenswert? Und wie könnte das dem Buchhandel im ecommerce auf die Füße helfen?

René Kohl: Ich habe Schwierigkeiten mit Modellen, die etwa jeder Buchhandlung, die nachweisbar Kulturförderung betreibt, indem sie fünf Lesungen im Jahr macht, und sich außerdem an einer Schule mit Leseförderung engagiert, ein mit ein paar tausend Euro vergoldetes Abzeichen an die Ladenkasse klebt. Das führt nur zu Schein-Kultur.

Was mir aber gefiele wäre ein Budget, dass es erlauben würde, mal etwas gründlicher und ausführlicher die sicherlich nicht uninteressanten Plattform-Konzepte, von denen seit zwei Jahren die Rede ist, auszuformulieren. Es geht da um relativ komplexe Analysen mit wahrscheinlich internationaler Relevanz, um Standards, um offene Systeme – das kann offensichtlich kein unabhängiger Buchhändler mal eben aus der Portokasse bezahlen.

Und ich denke, dass die Fortbildung und Neuausrichtung der Branche weiterhin aufwändig ist – auch hier könnte man vielleicht Förderung organisieren: In Berlin haben wir dies seinerzeit unter anderem mit EU-Geldern und im Rahmen von Frauenförderung gemacht.