Thomas Krings, Risikovorstand des Warenkreditversicherers Euler Hermes, über eigene Verluste infolge der Schlecker-Pleite, den Strukturwandel im Handel und welche Lehren die Branche aus der Finanzkrise gezogen hat.

Risikovorstand Krings, Foto; Marc Schultz-Coulon
Risikovorstand Krings, Foto; Marc Schultz-Coulon
Herr Krings, die Kauflaune sinkt. Muss sich der Einzelhandel auf ein schwaches Jahresfinale einstellen?

Ich sehe für den Einzelhandel derzeit noch keine dunklen Wolken aufziehen. Das internationale Umfeld mit etwas schwächeren Konjunkturdaten aus China und einer Vielzahl von geopolitischen Krisenherden ist allerdings sehr schnelllebig. Kurzfristig mag das vielleicht leichte Auswirkungen auf die Kauflaune der Deutschen haben. Die elementaren Faktoren sind aber weiterhin intakt und der private Konsum wird das Wachstum in diesem Jahr weiter stützen.

Gibt es eine Veränderung des Kaufverhaltens?
Ja. Die Menschen kaufen nicht mehr Mengen ein, also quantitativ. Stattdessen wollen sie verstärkt hochwertige Waren.

Wer profitiert davon? Der stationäre Handel verliert immer mehr Marktanteile an die Onlinekonkurrenz.

Wir erleben einen gewaltigen Strukturwandel in der Branche, mit dem die Unternehmen jetzt klar kommen müssen. Es kommt für traditionelle Händler darauf an, Einkaufserlebnisse und die Beratungsleistung zu verbessern, sie müssen einzigartig sein.

Was bedeutet dieser Strukturwandel für Ihr Geschäftsmodell?

Erst einmal heißt es, dass neue Player im Markt aktiv sind. Es ist unser Geschäft, auch bisher unbekannte Unternehmen kennenzulernen und uns eine Meinung zu bilden. Diese Start-ups im Onlinehandel sind allerdings nicht so sichtbar wie ein herkömmliches Unternehmen, das in Städten Läden betreibt. Generell sind diese neuen Marktteilnehmer anders strukturiert – das betrifft auch ihre Bilanzen.

Inwiefern?
Wenn Geld etwa von einer Beteiligungsgesellschaft kommt, dann ist das etwas anderes als die klassische Bankfinanzierung. Insgesamt gibt es für die neuen Unternehmen andere Bewertungsgrundlagen.

Die fallen jetzt strenger aus?
Nicht zwingend. Vor allem wollen wir die neuen Geschäftsmodelle verstehen. Dann müssen wir die Finanzdaten, die uns die Unternehmen liefern, bewerten. Entscheidend für uns ist: Hat dieses Unternehmen nachhaltig geschäftlichen Erfolg, ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell und kann es seine Rechnungen in den nächsten zwölf Monaten bezahlen?

Sie waren bei der Schlecker-Pleite 2012 einer der Hauptgläubiger. Um welche Beträge ging es?
Wir haben damals einen hohen zweistelligen Millionenbetrag verloren. Das war außergewöhnlich viel.

Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Dass wir uns Geschäftsmodelle im Handel noch genauer ansehen und auf Nachhaltigkeit überprüfen.

Wie nachhaltig ist das Geschäftsmodell von Karstadt?
Das Warenhaus an sich ist kein Wachstumssegment. Wenn man ein gutes Konzept hat, dann kann man aber trotzdem damit Geld verdienen.

Also versichern Sie auch weiterhin Kredite von Karstadt-Lieferanten?

Dazu können wir uns als Kreditversicherer nicht äußern.

Wie groß ist aktuell Ihr gesamtes Versicherungsvolumen?

Für deutsche Kunden etwa 200 Milliarden Euro. Weltweit sind es 800 Milliarden Euro.

Sie sind oft das Zünglein an der Waage, wenn ein Handelsunternehmen auf der Kippe steht.
Das stimmt nicht ganz. Zunächst entscheidet der Lieferant. Diese haben in den zurückliegenden Jahren ihr Kreditmanagement ausgebaut und entscheiden, ob und wie sie einen Kunden beliefern oder nicht. Von uns erwarten die Hersteller Empfehlungen, wie sie mit einem bestimmten Händler umgehen sollen.

Mit Ihrem Wissen haben Sie aber die Macht, mit nur einem Satz ein Handelsunternehmen untergehen zu lassen.
Unser Marktanteil in der Kreditversicherung in Deutschland beträgt 45 Prozent. Aber nicht jeder Lieferant ist kreditversichert. Ich glaube deswegen nicht, dass wir eine solche Marktmacht haben. Die Informationen, die wir besitzen, sind vertraulich – und so behandeln wir sie auch.

Immer mehr Handelsunternehmen geben Mittelstandsanleihen heraus. Weil Sie von den Banken kein Geld mehr bekommen?
Die Unternehmen haben aus der Finanzkrise 2008/2009 viel gelernt. Damals mussten sie ihre Finanzierungsinstrumente umstellen und sich mit dem Management von Working Capital (Differenz zwischen Umlaufvermögen und kurzfristigen Verbindlichkeiten, Anm. d. Red.) beschäftigen. Es wurde zunehmend wichtig, sich von einem einzigen Finanzgeber unabhängiger zu machen.

Wie denn?
Dazu gehört, sich auch mit der Ausgabe von Anleihen zu befassen, wenn es Sinn macht. Die Zeiten dafür sind ja günstig, denn Liquidität ist am Finanzmarkt reichlich vorhanden. Eine deutliche Zunahme von Anleihen speziell im Handelssegment sehen wir allerdings nicht. Die Banken unterstützen freilich weiterhin den Mittelstand. Interessanterweise rufen aber die Unternehmen die Kredite jedoch nicht in vollem Umfang ab, weil sie andere Finanzierungsformen wie Factoring oder Leasing etabliert haben oder eben den Lieferantenkredit stärker nutzen.

Interview: Steffen Gerth

Dieser Text ist in der Oktober-Ausgabe von Der Handel erschienen. Zum kostenfreien Probeexemplar geht es hier.