Lars Hinrichs, Gründer von Xing, spricht im Interview mit derhandel.de über sein neuestes Projekt, den Start-up-Finanzierer HackFwd.
Unsere Zielgruppe sind die "Geeks", also die Programmierer und Entwickler, sie stehen bei uns an erster Stelle. Aus diesem Grund haben wir unser gesamtes Erscheinungsbild, die Website und das Branding auf diese Gruppe ausgerichtet. Für die Geeks steht der Begriff "Hacking" nicht für etwas Negatives, sondern einfach als Synonym für "ich mache da mal etwas". Deshalb der Name "Hack Forward". Für die Menschen, die wir erreichen wollen, ist das der ganz normaler Umgangston.
Was ist der Kern des Konzepts von HackFwd?
Wir suchen bahnbrechende innovative Ideen, denen wir den Weg zum Geschäftserfolg ebnen wollen. Dazu bieten wir den Gründern eine umfangreiche Unterstützung. Wir zahlen ihnen für ein Jahr ein Gehalt, übernehmen das gesamte Back Office und kümmern uns um alle rechtlichen und administrativen Themen und helfen beim Marketing. Die Entwickler können sich vollständig auf ihr Projekt konzentrieren und erhalten in allen Bereichen hochprofessionelle Hilfestellungen und ein einzigartiges Expertennetzwerk. Für die Finanzierung und Beratung erhält HackFwd eine Beteiligung von 27 Prozent an dem neuen Unternehmen.
Wollen Sie wirklich nur Programmierer finanzieren? Was geschieht, wenn jemand eine bahnbrechende Idee hat, aber nicht programmieren kann?
Wir wollen ausschließlich mit Leuten zusammenarbeiten, die auch programmieren können, nicht mit Anzugträgern, die die Arbeit anderer besser verkaufen können. Ich habe dazu meine ganz eigenen Erfahrungen gemacht: Wenn ein Unternehmen größer wird, entfernt sich das Management immer mehr von den Entwicklern - und das ist sehr schade, denn die Entwickler sind die Antriebsmotoren für digital operierende Unternehmen. Für mich sind die Geeks die Künstler des 21. Jahrhunderts, diejenigen, die wirklich etwas Neues schaffen, was es zuvor noch nicht gegeben hat. Weil mir die Geeks am Herzen liegen und ich ihnen zu Erfolg verhelfen will, habe ich HackFwd gegründet.
Nun gibt es eine ganze Reihe von Unternehmern, die mit dem Internet reich geworden sind und ihr Geld in erfolgversprechende E-Commerce-Projekte investieren. Unterscheidet sich Ihr Ansatz von diesen "Business Angels" und Venture Capital-Firmen?
In ganz Europa gibt es vielleicht fünf wirklich gute Business Angels. Der Rest arbeitet nach dem Prinzip "Spray & Pray". Viele haben nicht die richtigen Kontakte, und es fehlt ihnen oft das Verständnis für die Technologie. Darüber hinaus verfügen Business Angels nicht über die Community, die wir bieten. Wir bringen alle HackFwd Companies mit unseren Konferenzen immer wieder zusammen und fördern den Austausch untereinander.
Und im Vergleich zu den VC-Firmen?
Das Modell Venture Capital ist meiner Meinung nach gebrochen. Die Fonds sind immer größer geworden. Sie müssen mehr Geld auf die gleiche Anzahl von Firmen verteilen. Eine echte Frühphasen-Finanzierung, wie wir sie anbieten, passt nicht in ihr Schema. Darüber hinaus haben die meisten europäischen VC-Firmen wenig technologisches Know-how. Sie suchen daher immer Projekte für die es einen Businessplan gibt. Einen Businessplan, kann ich aber nur erstellen, wenn es bereits einen Markt für mein Vorhaben gibt. Auch aus diesem Grund werden in Europa so viele "Copy Cats" finanziert, die nur nachahmen, was in Amerika bereits erfolgreich ist. Ich suche aber völlig neuartige Konzepte, für die es noch gar keinen Markt gibt und gegebenenfalls noch gar kein Geschäfsmodell feststeht.
Gibt es weitere Unterscheidungspunkte?
Bei VC-Investoren wird die meiste Zeit mit Verhandlungen über die Beteiligung und die Bewertung vertan. Bei uns gibt es einen Vertrag für alle, den kann sich jeder aus dem Internet herunterladen und der wird nicht verhandelt. Auch die Bewertungsfragen sind klar und fair und werden ohne Kleingedrucktes geregelt.
Ist die Beteiligungshöhe von immerhin 27 Prozent wirklich fair?
Was wir bieten, kann man mit Geld nicht bezahlen. Die gesamten Dienstleitungen, das Back Office, die Konferenzen, wir haben zudem ein super Netzwerk von Leuten, die uns dauerhaft und aktiv unterstützen. David Bizer, um nur einen zu nennen, hat in seinem Leben 4.000 Top-Leute rekrutiert und bis zu knapp 25 Prozent des Teams von Google Europa zusammengestellt. Darüber hinaus investieren wir zu einer ganz frühen Phase, noch vor der Unternehmensgründung. Das Risiko ist also entsprechend hoch. Es gibt nicht viele Leute, die für eine Idee 200.000 Euro in die Hand nehmen und sagen, "nun macht mal". Man darf auch nicht vergessen, dass wir eine Plattform für das Marketing schaffen. Wir gehen davon aus, dass wir eine ganz neue Art von Unternehmen aufbauen, die keine Anschlussfinanzierung brauchen. Der Schuhladen um die Ecke hat ja auch keine Exit-Strategie. Wir suchen Companies, die langfristig eine Dividende erwirtschaften.
Warum dann die Beschränkung auf ein Jahr?

Können Sie etwas zu den ersten vier Projekten verraten - etwa zu „Product Lovers", das vermutlich den engsten Bezug zur Handelsbranche aufweist?
Nur so viel: Bei Product Lovers bietet die Möglichkeit mit Produktempfehlungen Geld verdienen können. Der Handel wird dadurch seine Umsätze steigern können. In den nächsten vier bis fünf Wochen wird es losgehen. Ich bin davon überzeugt, dass es ein durchschlagender Erfolg wird. Mehr will ich nicht verraten.
In welche Richtung gehen die Innovationen, mit denen Sie sich befassen? Gibt es einen gemeinsamen Nenner?
Das schöne an HackFwd ist, dass mir jeden Tag Sache vorgestellt werden, die es noch nicht gibt. Ich kann schlecht beschreiben, was noch nicht existiert. Natürlich gibt es in den Bereich Onlinehandel, Mobiles Internet, Social Media und Social Commerce noch unglaubliches Potenzial. Amazon bietet jetzt Lebensmittel, Otto will es auch versuchen und die Lieferung am Tag der Bestellung, das wird kommen - beim Thema elektronischer Handel bin ich Feuer und Flamme.
Wie viele Unternehmen wollen Sie aus der Taufe heben?
Wir sind von der Resonanz überrascht, HackFwd hat eine riesige Welle im Netz erzeugt. In diesem Jahr wollen wir rund zehn Gründungen angehen. Wenn das Konzept aufgeht, wollen wir im nächsten Jahr richtig loslegen, dann kann es schnell in den dreistelligen Bereich gehen.
Was wünschen Sie sich von den Entwickler, die Sie erreichen wollen?
Zum einen den Mut zum Unternehmertum. Wir brauchen ein Umdenken in Europa. Viele Entwickler trauen sich nicht, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Denen wollen wir mit HackFwd sagen, es funktioniert, ihr könnt Unternehmer sein. Zum anderen sollten Entwickler heute global denken und nicht nur den deutschen oder den britischen Markt im Auge haben. Die Amerikaner machen das sehr gut, die suchen den größten gemeinsamen Nenner, konzentrieren sich auf den Kern und lassen alles Übrige weg. Die Europäer und gerade wir Deutschen sind gut darin, immer noch ein zusätzliches Feature und eine weitere Einstellungsmöglichkeit zu erfinden. Die Amerikaner nehmen das alles raus und denken universeller. Das erfordert ein Umdenken, aber nur so kann man wirklich große Dinge realisieren.
Interview: Hanno Bender
Zur Person: Lars Hinrichs gründete im Jahre 2003 das Business-Netzwerk OpenBC, das später zu Xing umbenannt wurde. Im Dezember 2006 ging Xing als erstes Web-2.0-Unternehmen an die Börse. Mehr als neun Millionen Menschen nutzen das Netzwerk heute nach Unternehmensangaben weltweit. Hinrichs schied im Januar 2010 aus dem Aufsichtsrat des Unternehmens aus, nachdem er seine Beteiligung an die Burda Digital GmbH verkauft hatte. Im Juni 2010 verkündete Hinrichs die Gründung von HackFwd über Twitter. Neben Hinrichs gehören Jean Paul Schmetz (10betterpages), Marco Börries (StarOffice/OpenOffice) und Stefan Richter (freiheit.com) zum Board von HackFwd.
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