Mutige Händler wagen sich mit neuen Verkaufskonzepten ins Online-Zeitalter. Doch den Vertriebspartnern droht von vielen Seiten Ungemach. Der Autohandel als Auslaufmodell? Eine Bestandsaufnahme.

Zurück zu den Wurzeln: Autokauf in der Innenstadt
Jetzt gilt es aber, digitale und analoge Welt zu verquicken. „Menschen in Metropolre-gionen sind es gewohnt, alles zentrumsnah erledigen zu können. Gemeinsam mit dem Autohaus Staiger in Stuttgart haben wir im Zeitalter der Digitalisierung und unter Nutzung von innovativster Technik ein Einkaufserlebnis speziell für die Bedürfnisse dieser Kunden entwickelt“, erklärt Opel-Deutschlandchef Jürgen Keller. Ausgerechnet der dienstälteste Opel-Händler hierzulande begleitet die Marke in die digitale Zukunft. Das scheint Herausforderung genug. Für eine kurze 100-Tage-Bilanz hatte Geschäftsführer Marcus Stein jedenfalls „keine Zeit“.So wie Opel setzen auch andere Marken auf mehr Kundennähe und -erlebnis, etwa der amerikanische Elektropionier Tesla im Alstertaleinkaufszentrum in Hamburg, das Citroen-Autohaus Fischer in der Hamelner Stadt-Galerie, Kia aktuell im City-Center in Köln-Chorweiler, oder demnächst Hyundai in Neu-Ulm. Die Standorte im Shoppingcenter sind noch ein Wechsel auf die Zukunft mit ungewissem Ausgang, doch „wenn sich die Händler nicht verändern, werden es die Hersteller tun und anstelle der Händler den Endkunden bedienen“, prophezeite Sven Henkel, Direktor des Automotive Institute for Management an der Privatuniversität EBS in Wiesbaden, schon vor drei Jahren in Der Handel.
Denn die Zeit scheint tatsächlich gekommen, da sich die Automobilproduzenten verstärkt mit dem Direktvertrieb ihrer Neuwagen beschäftigen. Auch wenn die Konzernlenker in ihren Sonntagsreden stets „die Treue zu den Handelspartnern“ beschwören. Schließlich erfolgen Neuwagenkäufe immer häufiger über mehrere Vertriebskanäle; 90 Prozent der Kunden starten ihre Einkaufstour im Internet, hat die französische PSA-Gruppe ermittelt.
Direktverkauf: aus dem Pilotversuch wird eine Dauereinrichtung
Dass zumindest ein Teil des PS-Geschäfts dank der digitalen Möglichkeiten langsam aber sicher ins Netz wandert, ließ schon der 2013 gestartete Pilotversuch von Mercedes-Benz erkennen. Zunächst verkauften die Schwaben lediglich einige vorkonfigurierte Limousinen der E-Klasse und lieferten über ihre Niederlassung in Hamburg aus. Längst ist die Auswahl aber umfangreicher geworden. Jetzt finden sich vor allem Modelle der A-, B- und C-Klasse sowie deren trendige SUV-Ableger, die besonders jüngere Käufer ansprechen, im Onlinestore.In wenigen Klicks ist das gewünschte Fahrzeug – derzeit stehen 188 Pkw im Angebot – gefunden. Finanzierung, Leasing oder Kauf, die Abwicklung läuft ganz nach Kundenwunsch, die Auslieferung erfolgt über den nächstgelegenen Servicebetrieb.
Vorteil für den Käufer: Der Hersteller verspricht die Bereitstellung des Fahrzeugs innerhalb von 14 Tagen und der Onlineshopper spart sich die leidigen Überführungskosten, die bei Mercedes-Benz schon mal vierstellig ausfallen können. Vorteil für den Händlerbetrieb, der auch den Zahlungsvorgang abwickelt: Rabattdiskussionen sind bei dem benutzerfreundlichen Bestellvorgang nicht vorgesehen.
Wettbewerber wie Audi und Volkswagen bieten zumindest Zubehör und Accessoires online an, bei BMW können die elektrischen i-Modelle per Mausklick geordert werden und in wenigen Monaten wollen die Münchner dem Vernehmen nach einen kompletten Onlineshop eröffnen. In Großbritannien erprobt BMW bereits seit 2015 den Autoverkauf im Web.
Bei der neuen Ausrichtung des PSA-Konzerns, der neben den Marken Peugeot, Citroen und DS nun noch Opel dirigiert, spielt – wenig überraschend – das Internet ebenfalls eine Hauptrolle. Nach einer Untersuchung von Google Auto sind 37 Prozent der Europäer bereit, ihren Neuwagen über das Netz zu kaufen. In den vergangenen Jahren haben die Besuche bei Händlern um 40 Prozent abgenommen.
Fahrzeugannahme an der unbemannten Servicestation
Auch beim Gebrauchtwagenhandel nutzt PSA zunehmend das Netz, um Interessenten und Wunschfahrzeug zu vereinen. Um die passenden Angebote für Werkstattleistun-gen zu finden, haben die Franzosen das dänische Startup Autobutler übernommen, mit dem Kunden die Möglichkeit haben, für definierte Reparaturen Angebote einzuholen. Bisher nutzten bereits 400 000 Menschen die Plattform. Demnächst soll Autobutler auch in Deutschland angeboten werden. Der genaue Termin ist allerdings noch nicht bekannt.Den Gebrauchtwagenabsatz über den eigenen Handel hat auch Audi im Visier. Über die neue Plattform www.audi-gwplus.de können Kaufwillige ein Fahrzeug auswählen und an einen Händler ihrer Wahl liefern lassen. Sogar das Wunschkennzeichen wird per Klick bestellt – die Zulassung veranlasst dann der Händler. Als erste Automarke setzen die Ingolstädter zudem eine digitale Servicestationen ein. Unabhängig von den Öffnungszeiten des Autohauses können Kunden hier individuell ihr Fahrzeug für den Service abgeben oder abholen – inklusive Bezahlung. Zusätzlich kann die unbemannte Station auch ein Ersatzfahrzeug bereitstellen und zurücknehmen.

Händlerverträge: Weit mehr als zwei Jahre währt die Dieselkrise im Volkswa-genkonzern nun schon. Nachdem die Vertriebspartner gegen die Konzernleitung öffentlich aufbegehrten, kündigte die Marke Volkswagen kurzerhand alle laufenden Verträge zum Ende des ersten Quartals 2018. Die VW-Tochter Skoda folgte. Der Hersteller will neue Vertragsinhalte durchsetzen. Ausgang offen. Auch die Mercedes-Marke Smart hat ihren 113 Händlern die Kündigung geschickt, um neu zu verhandeln. Hintergrund ist die für 2020 geplante, ausschließliche Ausrichtung des Angebots auf Elektrofahrzeuge.
Gebrauchtwagen: Wie bei den Neu- so sind auch bei den Gebrauchtwagen Mo-delle mit Dieselantrieb derzeit deutlich weniger gefragt. „Rund 300 000 Euro-5-Diesel“ stehen sich nach Aussage von Jürgen Karpinski, Präsident des Zentralverban-des des Kraftfahrzeuggewerbes (ZDK), zurzeit bei den Händlern „die Reifen platt“. Mit einem Wert von 4,5 Milliarden Euro, wie der ZDK errechnet hat.
Leasingrückläufer: Die Auswirkungen des Dieseldilemmas dürften noch größer werden. Für viele geleaste Fahrzeuge tragen die Verkäufer das Restwertrisiko. Die Marktpreise für rund drei Jahre alte typische Leasingrückläufer seien in 2017 weiter zurückgegangen, hat der Verband der markenunabhängigen Fuhrparkmanagementge-sellschaften (VMF) ermittelt. „Die verstärkte Dieseldiskussion in den letzten Monaten hat die Abwärtsentwicklung beschleunigt“, sagt VMF-Vorstand Michael Velte.
Eigenzulassungen: Durch Produktionsüberkapazitäten und Absatzdruck werden Fahrzeuge vielfach auf den Handel angemeldet, um dann als „Tageszulassung“ mit Preisabschlägen veräußert zu werden. Eine besonders hohe Eigenzulassungsquote wiesen nach den Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes zuletzt Nissan, Honda, Opel, Kia und Hyundai auf. Im Oktober und November 2017 führte Porsche das Ranking an.
Digitalisierung: Um der Onlinekonkurrenz zu trotzen, sind hohe Investitionen nötig. Kleinere Handelsbetriebe seien damit überfordert und kämen „unter die Räder“, prognostiziert Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA) in der Studie „Autohaus 2025 – Die Zukunft des Automobilhandels“.

Konzentrationsprozess: Kleinere Handelsbetriebe werden künftig noch stärker mit großen Autohandelsgruppen zusammenarbeiten. Besonders die Top-20-Autohausgruppen würden überdurchschnittlich wachsen. 2016 gab es noch 6 900 wirtschaftlich und rechtlich selbstständige Händler in Deutschland, am Ende des Jahrzehnts werden es, laut Willi Diez, lediglich noch 4 500 sein.
Mobilitätsdienstleistungen: Fast alle Hersteller sind auf dem Weg vom reinen Produzenten hin zum Mobilitätsdienstleister mit einem Komplettangebot vom Carsharing bis zur Versicherung. Auch die Händler müssen sich die neuen Geschäftsfelder erschließen, wenn sie nicht zu puren Organisatoren von Probefahrten (siehe Kasten) degradiert werden wollen.
Elektromobilität: Die zunehmende Elektromobilität bedroht das Geschäftsmodell der angeschlossenen Servicebetriebe. Schließlich müssen E-Fahrzeuge deutlich seltener gewartet werden, zudem ist der Ersatzteilbedarf geringer. Und wenn dereinst autonom fahrende Autos keine Unfälle mehr produzieren, fällt auch dieser Erwerbsteil der Werkstätten weg.
Autoverdrossenheit: Zu den sich verschlechternden Rahmenbedingungen für das Automobilgeschäft zählt auch die Abkehr, vor allem junger Leute, von einem eigenen Gefährt – zumindest in den Großstädten.
Der Autohandel also als Auslaufmodell?
Dass es auch anders geht, belegt aktuell Ford: „Unsere Vertriebspartner sind unsere Markenbotschafter – und das an mehr als 1 800 Standorten in Deutschland“, unterstreicht Wolfgang Kopplin, Geschäftsführer Marketing und Verkauf des Kölner Autobauers. Es gäbe überhaupt keinen Grund, an der Zusammenarbeit zu rütteln, zumal die Fordhändler binnen vier Jahren rund 120 Millionen Euro in ihre Betriebe investiert hätten: „Wichtig ist für uns ein flächendeckendes und starkes Händlernetz!“