Der bonprix-Geschäftsführer Richard Gottwald spricht mit etailment über die Herausforderungen als Online-Modehändler, die Grenzen von Künstlicher Intelligenz und welche Vorteile der klassische Katalog in digitalen Zeiten hat.
Laut EHI-Studie ist bonprix online die umsatzstärkste vertikale Modemarke in Deutschland und branchenübergreifend der fünftgrößte Webshop. Was machen Sie richtig?
Ich denke nicht, dass es den einen, sachbezogenen Grund gibt. Ein Vorteil ist sicher die Kultur, die wir im Haus haben. Bonprix ist jetzt 32 Jahre alt, hat sich aber ein Start-up-Feeling bewahrt. Das führt auch dazu, dass wir nie selbstzufrieden sind. Wir haben immer den Sportsgeist, dass da noch etwas geht. Inhaltlich versuchen wir Mode, Technik und Kundenfokus auf einen Nenner zu bringen. Je besser uns das gelingt, desto erfolgreicher sind wir auch.
Bonprix war ursprünglich ein Vertriebskanal für günstige Frauenmode. Wie würden Sie das Geschäftsmodell heute definieren?
Wenn ich das ganz einfach beschreibe, würde ich sagen: Wir sind vertikal, digital und international. Dieser Dreiklang ist sehr wichtig und beschreibt uns ganz gut. Wenn ich dann noch die Motivation unserer Mitarbeiter hinzunehme, sind wir phänomenal (lacht).
Im Modebereich kommt man nicht umhin, Zalando zu erwähnen: Wie weh tut Ihnen der Online-Moderiese?
Ich sehe das sehr entspannt, fast schon positiv. Man muss schon sagen, dass die Kollegen in den vergangenen Jahren einen guten Job gemacht haben, letztlich auch für unser Geschäftsmodell. Sie haben den Onlinemodehandel gepusht, davon profitieren auch wir. Wettbewerb belebt das Geschäft und es ist gut, starke Konkurrenten zu haben, mit denen man sich messen kann. Wir sind im Hinblick auf die weibliche Zielgruppe allerdings etwas spitzer ausgerichtet, Zalando ist breiter unterwegs.
Ist der Katalog im Jahr 2018 noch wichtig?
Wir werden bei bonprix in den nächsten Jahren nicht auf den Katalog verzichten. Das ist landesspezifisch ein bisschen unterschiedlich, in manchen Märkten ist er unverzichtbar, in anderen Märkten wie beispielswiese Brasilien kommen wir gänzlich ohne Papier aus. Der Katalog bietet uns die Möglichkeit, unsere Kunden direkt bei sich „in ihrem Briefkasten“ anzutreffen.
Wenn wir online auf Gatekeeper wie Facebook oder Google achten müssen, kann uns dieser „offline“ Weg nicht verstellt werden. Hier sind wir eigenständig und autark.
So lange wir in der Lage sind, unsere Kunden über unsere Kataloge zu begeistern, wird er nicht aussterben. Daher haben wir auch in der digitalen Welt Organisationseinheiten, die sich mit dem Katalog beschäftigen.
Wie hat sich in den 32 Jahren die Arbeitsweise bei bonprix geändert?
Das ist nicht nur eine Frage des gestern und heute, sondern auch eine der Betriebsgröße. Wir sind vor gut 30 Jahren mit einer Handvoll Leute gestartet und sind jetzt weltweit mit einer 4-stelligen Mitarbeiterzahl unterwegs. Diese Komplexität lässt sich nicht ohne Mitarbeiter mit Methodenkenntnis bewältigen. Deswegen sind wir seit einigen Jahren dabei, unseren Kollegen viele Angebote zu machen, insbesondere um agile Methoden zu lernen und anzuwenden. Im Sinne eines gut gefüllten Handwerkskoffers, der für jeden von uns in Zukunft immer wichtiger sein wird.

Die Modeindustrie steht immer wieder wegen der menschenunwürdigen Produktionsbedingungen in der Kritik. Was tut bonprix dagegen?
Das ist ein Thema, das uns sehr umtreibt. Man kann bei der Produktion von Mode keine Garantie aussprechen, dass immer alles perfekt läuft. Das wäre nicht ehrlich. Aber der strategische Aufbau von langjährigen Partnerschaften mit Lieferanten bietet die beste Möglichkeit, diese komplexen Prozesse kontrollieren zu können. Im Rahmen unserer partnerschaftlichen Beziehungen haben wir bereits seit vielen Jahren Nachhaltigkeitsprogramme etabliert, um unsere hohen Standards einzuhalten. Und wir versuchen, immer besser zu werden. Das ist allerdings keine rein technische Frage, sondern auch eine kulturelle.
"Wir sind kulturelle Überzeugungstäter"
Inwiefern?
Als ich 1989 zu Otto Group kam, hatte Michael Otto als einer der ersten bereits das Thema Umwelt- und Sozialstandards zum Unternehmensziel erhoben. Man merkt es auch in der Organisation, dass soziale Verantwortung eine klare Anforderung sowohl vom Gesellschafter als auch dem Vorstand der gesamten Otto Group ist und sich in allen Konzerntöchtern wiederfindet, bei bonprix seit letztem Jahr auch in einer eigenen CR-Strategie. Wir sind kulturelle Überzeugungstäter.
Wie oft ändern Sie ihre Kollektionen?
Wir sprechen von Monatskollektionen. Pro Halbjahr nehmen wir etwa sechs Mal größere Mengen Neusortiment auf, aber de facto ist es eher ein kontinuierlicher Prozess der Erneuerung, was uns prozessual durchaus herausfordert. Durch die ständigen Aktualisierungen wollen wir unseren Mode- und Aktualitätsanspruch untermauern. Unsere Kataloge, die alle zwei bis drei Wochen erscheinen, enthalten jeweils viele Seiten mit neuer Mode. Wenn Sie in unseren Onlineshop reinschauen, finden Sie wöchentlich etwas Neues.
Wie legen Sie die jeweiligen Modetrend fest? Mit Künstlicher Intelligenz (KI)?
Bei den Sortimenten spielt Künstliche Intelligenz noch keine so große Rolle, da verlassen wir uns auf unsere Brandmanager, die ein gutes Händchen für Mode haben. Sie sind sozusagen unsere Trüffelschweine.

Wo spielt KI eine Rolle?
Wir versuchen die Mode, die wir haben, unseren Kundinnen möglichst passgenau zuzuspielen. Wenn man allen Kundinnen alles zeigt, ist die Gefahr groß, dass die einzelne Kundin enttäuscht ist, weil sie zu viele für sie irrelevante Angebote bekommt.
Arbeiten Sie mit der Otto Group-Analysetochter Blue Yonder zusammen?
Ja, beispielsweise bei der Preisgestaltung. Seit etwa 2016 ermöglicht eine BI-Lösung uns eine algorithmusbasierte artikelbezogene Preissteuerung für verschiedene Märkte und Sortimente. So sehr wir Dienstleister wie Blue Yonder schätzen, versuchen wir aber auch, interne Ressourcen und Kompetenzen für diese Themen aufzubauen. Für dieses geschäftskritische Thema muss man das Know-how auch im eigenen Haus haben.
Rund 50 Prozent des weltweiten Online-Umsatzes von bonprix erfolgt aktuell über mobile Kanäle. Welche mobilen Baustellen gibt es noch?
Uns hat sehr gefreut, dass wir von Google als schnellster Mobile-Shop unter allen Retailern in Deutschland benannt wurden. Das macht uns stolz. Teilweise sind die mobilen Übertragungsraten noch niedrig, deshalb ist die Geschwindigkeit eines Shops auf dem Smartphone so wichtig.
"Die App ist in Analogie zu einem stationären Geschäft eine 1A-Lage"
Ist Ihnen die App oder die mobile Website wichtiger?
Ich würde das oder durch ein „und“ ersetzen. In der jetzigen Konstellation müssen Sie beides haben. Wir sind natürlich froh, wenn die Kundin die App runtergeladen hat, denn in Analogie zu einem stationären Geschäft sind wir dann in einer 1A-Lage. Wenn man immer auf dem Bildschirm des Smartphones der Kundin präsent ist, ist das für uns natürlich besser, als wenn der Mobileshop im Browser immer wieder aufgerufen werden muss. Bei einem Mobileshop sind im Gegensatz zur App auch wieder Gatekeeper wie Facebook und Google als zusätzliche Kontaktpunkte für die Kundin im Spiel. In dem Fall gilt es, diese Kontaktpunkte durch smartes Marketing sinnvoll in die Customer Journey einzubinden.
Viele reden von Plattformen, Sie verkaufen bislang „nur“ über bonprix. Warum?
Wenn wir als vertikale Marke unsere Ware über unsere eigenen Vertriebswege anbieten, haben wir immer Kontrolle über unser Geschäft und unsere Angebote. Wir sehen aber auch, dass das Thema Plattformökonomie in unserer Branche eine immer größere Bedeutung bekommt und beobachten dies sehr genau. Unabhängig von der Plattformthematik prüfen wir permanent, wo sich für unser Geschäftsmodell perspektivisch Chancen ergeben könnten.
"Wir haben eine internationale Infrastruktur, die es uns ermöglicht, vertikale Marken schnell und profitabel zu internationalisieren."
Drehen wir das Thema mal um: Könnte bonprix nicht Plattformbetreiber werden?
Mit der Präsenz von bonprix in 30 Ländern ist das in der Theorie durchaus denkbar. Wir haben eine internationale Infrastruktur, die es uns ermöglicht, vertikale Marken schnell und profitabel zu internationalisieren. Das sind Themen, über die man nachdenken kann. Aktuell sind das aber lediglich Gedankenspiele.
Wie sieht Ihre Omnichannel-Strategie aus?
Diese geht wieder auf unseren Kundenfokus zurück, wir müssen der Kundin auf allen Kanälen die jeweils besten Angebote machen. In den vergangenen 15 Jahren habe ich gelernt, dass sich Kunden dabei nicht erziehen lassen. Sie entscheiden selbst, was sie auf welchem Kanal von uns erwarten. Wir müssen daher sehr früh erkennen, wie die jeweiligen Bedürfnisse unserer Kunden sind und unsere Omnichannel-Strategie dann danach immer wieder neu ausrichten.

Welche Herausforderungen gibt es stationär?
Wir überlegen, wie wir die ständig wachsenden und sich verändernden Ansprüche unserer Kundinnen in ein neues, modernes Konzept integrieren können, in dem wir sinnvoll unsere digitale Kompetenz einbringen. Das stationäre Geschäft steht nicht alleine, sondern ist mit unseren anderen Vertriebskanälen verknüpft. Ein stationäres Standalone-Geschäft ist meines Erachtens nicht zukunftsfähig.
Innerhalb der Otto Group ist bonprix das vielleicht „internationalisierteste“ Unternehmen. Wie sieht so etwas ganz praktisch im Arbeitsalltag aus?
Auf der positiven Seite haben wir durch die Internationalisierung ein unheimlich breites und kreatives Lernpotenzial für das Gesamtgeschäft. Deshalb fördern wir das gegenseitige Lernen der Vertriebsverantwortlichen in den einzelnen Märkten. Wir haben somit einen Wissenspool, den andere Unternehmen nicht haben. Auf der anderen Seite gibt es immer irgendwo eine Herausforderung, wenn man auf 30 Märkten unterwegs ist. Irgendwo brennt immer die Hütte. Und da man das nicht lange im Voraus weiß, wo die Flammen hochschlagen, wird einem nicht langweilig.
Zum Beispiel?
Das beginnt mit ganz banalen Thematiken wie den Wechselkursen, von denen wir abhängig sind, beispielsweise dem russischen Rubel, der türkischen Lira, dem amerikanischen Dollar oder dem brasilianischen Real. Aber wir nutzen auch die einzelnen Märkte als Experimentierfelder, in denen wir neue Ideen für die ganze bonprix-Gruppe ausprobieren. In Rumänien testen wir aktuell zum Beispiel eine neue Konditionenstrategie. Bei einem vergleichsweise kleinen Markt ist es dann auch nicht so schlimm, wenn man mal daneben greift, aber man kann auf jeden Fall viel für die anderen Märkte lernen.
Sie persönlich sind seit 1989 bei der Otto Group. Welche Stationen haben Ihnen für bonprix besonders geholfen?
Ich hatte das Glück, einige sehr unterschiedliche Funktionen ausüben zu dürfen. In den ersten viereinhalb Jahren war ich im Controlling tätig, danach bin ich zehn Jahre als interner Berater durch die Otto Group getingelt und habe die vergangenen zwölf Jahre an vorderster Kundenfront im Vertrieb bei Otto gearbeitet. Diese Kombination ist hilfreich, um ein gutes Fahrgefühl für das Geschäft zu bekommen. Das ist aber eine sehr persönliche Erfahrung, die man nicht verallgemeinern kann.
Wie sehen die bonprix-Pläne für die Zukunft aus?
Wir wollen weiter rentabel wachsen. Dazu müssen wir den Spirit und die Fähigkeit beibehalten, auf Veränderungen flexibel zu reagieren. Dann werden wir das gut hinbekommen, auch wenn wir an der einen oder anderen Stelle mal scheitern sollten. Die Veränderungsgeschwindigkeit unserer Umwelt wird sich in den nächsten Jahren noch einmal radikal beschleunigen. Deshalb ist die Grundvoraussetzung für Erfolg Flexibilität. Wenn wir unsere Spannkraft erhalten und rührig bleiben, können wir auf die Chancen und Bedrohungen reagieren. Das hört sich sehr allgemein an, aber es ist immens wichtig, dass die Kultur, die wir uns in den vergangenen 32 Jahren erarbeitet und gelebt haben, unser zentrales Asset bleibt. Wir sind sehr zuversichtlich, dass uns das auch gelingen wird.
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