Wenn der Onlinehändler Parfumdreams gegen den Hersteller Coty dafür kämpft, dessen Produkte auch auf Internetmarktplätzen zu verkaufen, dann geht es auch ums große Ganze. Denn der Streit kann heftige Auswirkungen für den gesamten Onlinehandel haben.
Möglicherweise sitzen derzeit etliche Onlinehändler mit ihren Rechtsberatern zusammen und prüfen Verträge. Und sollten sie es noch nicht tun, dann wird es höchste Zeit. Es geht um die Verträge mit Herstellern und mögliche Klauseln, die einen Verkauf auf Marktplätzen betreffen. Knebelvertäge gibt es mehr als genug.
Sollte hier ein Verbot bestehen, muss abgewogen werden, ob der Händler sich daran halten muss – denn möglicherweise ist dieses rechtswidrig. Auf jeden Fall ist zu raten, dass man das Gespräch mit dem Hersteller suchen sollte. Das kann nie schaden.
Der Onlinemarktplatz als Imagekiller?
Die Branche ist in Unruhe, denn der Rechtsstreit von Coty gegen Parfumdreams.de kann den Onlinehandel aus den Angeln heben. Der Hersteller Coty untersagt Parfumdreams bekanntlich, Luxusparfüms auf Internetmarktplätzen wie Amazon oder Ebay zu verkaufen. Begründung: Eine Warenpräsentation auf diesen Portalen schadet dem Premiumimage der Düfte.

Viel Interpretationsspielraum
Das Schlussplädoyer des Europäischen Generalanwalts Nils Wahl liest sich nun wie eine Bestätigung der Coty-Position, allerdings mit Einschränkungen. Wahl ist der Auffassung, dass die Klausel eines Plattformverbots nicht von vorneherein unter das Kartellverbot fällt, „wenn sie erstens durch die Natur der Ware bedingt ist, zweitens einheitlich festgelegt und unterschiedslos angewandt wird und drittens nicht über das Erforderliche hinausgeht.“
Doch daraus ein Verbot vom Handel auf Marktplätzen abzulesen, ist gewagt. "Folgt der EuGH seiner eigenen, mit der Entscheidung „Pierre Fabre“ vorgezeichneten Linie und damit auch den Schlussanträgen des Generalanwalts, wird selektiven Vertriebsvereinbarungen auch für den Handel über Internet-Marktplätze und -plattformen kein Freifahrtschein ausgestellt werden", betont Sebastian Schulz, Leiter Rechtspolitik & Datenschutz beim Onlinehandelsverband BEVH. Herstellervorgaben dürften ihren Vertragshändlern nicht pauschal diese Vertriebskanäle verbieten, lautet Schulz' Einschätzung.
Sobald der EuGH entschieden hat, das dürfte im Herbst sein, setzt das OLG das Verfahren fort und entscheidet unter Beachtung der Rechtsauffassung der Luxemburger Richter über die Klage. Denn vollstreckbares Recht kann nur ein nationales Gericht sprechen. Faktisch legt aber der EuGH den Rahmen für die abschließende Entscheidung fest.
Eine der beiden Seiten wird in Revision gehen
Je nach Ausgang des Verfahrens können Coty oder Parfumdreams beim Bundesgerichtshof Revision einlegen, sogar der Gang vors Bundesverfassungsgericht ist denkbar. „Für Coty dürfte die Aufrechterhaltung des selektiven Vertriebssystems zu wichtig sein, als dass nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft werden“, sagt Rechtsanwalt Michael Alber aus der Großkanzlei Görg zu Etailment. Er vertritt gemeinsam mit seinem Kollegen Oliver Spieker Parfumdreams, beide würden sich ebenfalls nicht mit einem für ihren Mandanten nachteiligen Urteil zufriedengeben.
Die Verlängerung dieser Sache ist also programmiert. Und dann? Wehe, wenn ich auf das Ende sehe, möchte man hier Wilhelm Busch sprechen. „Denn sollte Coty letzlich gewinnen, droht dem Onlinhandel ein Erdbeben“, formuliert es Anwalt Alber.
Schadenersatzforderungen für Händler drohen
Ja, ein Erdbeben. Denn so ein Urteil könnte rückwirkende Folgen für die gesamte Branche haben. Es droht, dass andere Hersteller sich an einem etwaigen Erfolg von Coty orientieren und ihre Händler wegen Vertriebsaktivitäten auf Handelsplattformen nachträglich mit Unterlassungs- und Schadensersatzforderungen konfrontieren.
Dem Kunde ist der Einkaufskanal egal. Er kauft im Internet.
Die Signalwirkung eines Urteils, gleich wer davon profitiert, wäre jedenfalls immens. Es geht um nicht weniger als um das Grundverständnis des Onlinehandels. Den Kunden stehen im Netz jede Menge Einkaufskanäle zur Verfügung, und die will er nutzen. Ihm ist es dabei auch egal, ob er bei Amazon Fulfilment oder auf dem Marktplatz bestellt. Er kauft „bei Amazon.“

"Amazon ist kein dubioser Straßenverkäufer"
Aber reicht das, um das Image einer Marke zu bewahren? Beziehungsweise, zerstört es die Präsentation bei Amazon? „Das glaube ich nicht“, sagt Matthias Spaetgens, Kreativchef bei der Werbeagentur Scholz & Friends im Gespräch mit Etailment. „Amazon ist ja kein dubioser Straßenverkäufer, sondern seinerseits als Marke sehr stark.“ Spaetgens nennt andere Premiumprodukte wie Leica-Kameras oder Mont-Blanc-Füller, die auch auf dem Amazon-Marktplatz gehandelt werden. „Das hat beide Marken nicht beschädigt.“
Anwalt Alber hat sich die Begründung Coty-Vertreter angehört, über zig Seiten wollte Kollege Andreas Lubberger herausarbeiten, welche Imageverluste ein Marktplatzverkauf bedeuten würde. Schlüssig war die Argumentation für Alber nicht. Für ihn ist die Argumentation ohnehin nur vorgeschoben, um vom Eigentlichen abzulenken: „Es geht ausschließlich ums Geld. Die Hersteller wollen den durch Handelsplattformen hervorgerufenen Preiswettbewerb der Produkte stoppen, der ja sinkende Margen bedeutet.“
Im Flugzeug gibts Luxus neben der Kotztüte
Onlinehandel heißt zuerst Preiskampf, und davor fürchten sich die Hersteller. Denn wenn es nur um das Image der Verkaufsumgebung für einen edlen Coty-Duft gehen würde, dann wäre ja auch dessen Vertrieb in Passagierflugzeugen nicht zu rechtfertigen. „Das ist nicht prestigefördernd“, sagt Michael Alber.
Über den Wolken ist alles etwas teurer
Doch 10.000 Meter über der Erde kann man eben andere Preise aufrufen, mit denen Kai Renchen wiederum bei Amazon oder im eigenen Shop kaum konkurrenzfähig wäre. Auch nicht in seinem eigenen Shop von Parfumdreams.de, der zur kleinen Holding Akzente mit Sitz in Pfedelbach nahe Heilbronn gehört.

Es geht um eine moderne Rechtsprechung
Doch das kann sich ja alles noch ändern. Und dann könnte die Keule des Schadensersatzes auch Parfumdreams treffen. Davor hat Renchen erst einmal keine Angst, sagt er. „Es erging ja noch kein Urteil.“ Er glaubt an die Aufrechterhaltung des Mittelstandes, auch im Onlinehandel, wie er es formuliert. „Und deswegen glaube ich auch an eine moderne, vernünftige und zukunftsorientierte Rechtsprechung.“
Modern wäre allerdings auch, wenn Händler mit Markplatzbetreibern gemeinsam versuchen, die Verkaufsbedingungen zu erfüllen, die Hersteller wünschen. Renchen sagt, dass das kein Problem sei und verweist auf einen Calvin-Klein-Duft von Coty, den Amazon auf seiner US-amerikanischen Seite direkt verkauft – mit einer in der Tat gediegenerer Seitengestaltung als auf dem deutschen Marktplatz.
Dyson-Staubsauger kann man auch nicht einfach so verkaufen
Im stationären Handel gibt es ja auch genug Beispiele für das Zusammenspiel von Herstellern und Händlern. Im Elektronikhandel etwa betrifft das starke Produkte von Samsung (Smartphones), Dyson (Staubsauger) und Fitbit (Wearables), sogenannte „Markttreiber“, wie es Benedict Kober formuliert, Chef der Verbundgruppe Euronics.
Ein Euronics-Händler, der diese Treiber verkaufen will, muss Kriterien erfüllen. „Die Mitarbeiter brauchen die entsprechenden Qualifizierungen. Man darf nicht allein das Preisschild als einzigen Mehrwert hervorheben. Und ich muss solche Marken regelmäßig in die Werbung nehmen", listet Kober auf.
Das ließe sich eigentlich auch mühelos auf das Onlinegeschäft übertragen. Wenn man es denn will.