Getrieben von Amazon und dem boomenden Onlinegeschäft entdeckt auch der stationäre Handel zunehmend die Werbeform Digital-Retail-Media und damit digitale Werbegelder für sich. Andreas Kleofas, Mitgründer und Geschäftsführer des E-Commerce-Analytics-Spezialisten Emax digital, erklärt die Trend-Werbeform und sagt, was Markenhersteller und Händler dabei beachten sollten.

Retail-Media bietet in Kurzform die Möglichkeit, Werbung innerhalb von Webshops und auf Marktplätzen zu schalten - im Endeffekt eine Art digitale Regalplatzierung. Marken bezahlen den Handel dafür, ihre Angebote prominenter auszuspielen und stärker zu kommunizieren.

Harvard Business Review beschreibt Digital-Retail-Media als "eine neue Marketingoption", die die Customer-Journey mit einer umfassenden Wachstumsagenda verbindet und Daten und Technologie auf sinnvolle Weise skaliert. Forbes bezeichnete Digital-Retail-Media als "einen der wichtigsten Trends des Jahres 2022", fügte aber hinzu, dass sich die "rudimentären" Einzelhandelsmedien von heute weiterentwickeln müssen, um ihre Dynamik zu erhalten.
Die Möglichkeit, Produktwerbung innerhalb von Onlineshops und auf Marktplätzen zu platzieren, bedeutet einen Umbruch bei den Strategien zur Absatzförderung. Auf Markenseite verschwimmen Marketing und Vertrieb zunehmend.
© Emax digital
Die Möglichkeit, Produktwerbung innerhalb von Onlineshops und auf Marktplätzen zu platzieren, bedeutet einen Umbruch bei den Strategien zur Absatzförderung. Auf Markenseite verschwimmen Marketing und Vertrieb zunehmend.

Amazon war Vorreiter

Dass Digital-Retail-Media klar im Trend liegt, zeigen die Zahlen. Im Jahr 2021 beliefen sich die Werbeausgaben in diesem Segment europaweit auf fast acht Milliarden Euro (Statista), bis 2026 soll dieser Wert demnach auf 24,8 Milliarden Euro ansteigen. Mit Amazon als Vorreiter, der schon vor 2010 versuchte, Werbeflächen an Marken auf deren Stores zu verkaufen, folgen inzwischen immer mehr Einzelhändler.


Zuletzt sorgte diesbezüglich die Schwarz Gruppe, eines der weltweit führenden Handelsunternehmen, für Aufmerksamkeit. Grund: eine neu gegründete Geschäftseinheit, die - angeführt von ehemaligen Amazon-Mitarbeitern - Retail-Media-Budgets nun auch nach Neckarsulm holen soll.

Amazon ist laut den neuesten Zahlen sehr erfolgreich mit seinem Konzept. So erwirtschaftete der Onlinehändler 2021 rund 2 Milliarden Euro Umsatzerlöse auf dem deutschen Werbemarkt und erzielte damit 60% mehr als im Vorjahr und mehr Werbeumsätze als Meta. Zuletzt baute Amazon sein Vermarktungsteam deutlich aus und wuchs laut Jahresabschluss nicht nur im Umsatz, sondern beschäftigte 2021 auch knapp 100 Mitarbeiter mehr als im Vorjahr.

Digital-Retail-Media als Krisengewinner

Auf diesen Sprung hatte auch die Pandemie einen Einfluss. Laut Bevh stieg der Brutto-Umsatz mit Waren im E-Commerce im zweiten Corona-Jahr 2021 in Deutschland auf 99,1 Mrd. Euro nach 83,3 Mrd. Euro im Jahr 2020. Das Wachstum zum Vorjahr betrug 2021 demnach 19%, 2020 wuchs die Branche um 14,6% zum Jahr davor. Dies ist ein auschlaggebender Grund, warum sich der Einzelhandel stark auf Digital-Retail-Media verlagert hat, um hochinteressierte Kunden in der Nähe des Kaufortes anzusprechen.


Online-Marktplätze spielen eine wichtige Rolle im E-Commerce, denn sie verkaufen nicht nur Marken, sondern dienen auch als primäre Suchwerkzeuge. Laut einer Umfrage von CivicScience startet bereits die Hälfte der Kunden ihre Produktrecherche bei Amazon und nur ca. ein Fünftel beginnt über traditionelle Suchmaschinen wie Google.

Da immer mehr Konsumenten online einkaufen, beschleunigt sich natürlich auch die Dynamik um Retail-Media – denn Marken müssen ihre Konsumenten zunehmend auch auf E-Commerce-Webseiten erreichen.

Retail-Media profitiert von detaillierten Nutzerdaten

Studien belegen, dass Digital-Retail-Media einen erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung der Kunden hat. So sind zum Beispiel mehr als 21% der Menschen eher bereit, ein Produkt zu kaufen, nachdem sie eine Anzeige auf der Website eines Einzelhändlers gesehen haben, als die gleiche Anzeige auf einer herkömmlichen Website.

Der große Vorteil von Digital-Retail-Media ist, dass Kunden bereits in Kauflaune sind. Die Werbung kann am Ende der Customer-Journey platziert werden und somit auf einer guten Basis aufbauen. Ein weiterer Vorteil ist, dass auf umfangreiche Nutzerdaten der Einzelhändler zurückgegriffen werden kann. Retail-Media profitiert also von detaillierten First-Party-Shoppingdaten des Verkäufers.

Dies hat zur Folge, dass immer mehr Einzelhändler wie Rewe, Otto und eben Amazon ihre Daten anbieten, um von Herstellern mehr Werbebudgets zu erhalten. Damit erhöht sich der Druck auf beiden Seiten: Bei den sonst eher zugeknöpften Händlern, mehr Transparenz über die Wirkung der Werbemaßnahmen zuzulassen. Aber auch bei den Marken, die sich genötigt sehen, dem Handel mehr Marge zu verschaffen.

Die Grenzen zwischen Marketing und Vertrieb verschwimmen

Damit verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Vertrieb und Marketing auf der Seite der Marken, die zwischen immer mehr und komplexeren Werbemaßnahmen entscheiden müssen. Marken, die wissen, wie sie die technologischen Entwicklungen zu ihrem Vorteil nutzen können, sind klar im Vorteil. 


Dabei können sowohl der Marketing-Verantwortliche auf Markenseite als auch der Händler von Dienstleistern profitieren, die fertige Retail-Media-Lösungen anbieten. Tools können bei der Budget-Planung oder bei Kampagnen helfen und externe Softwarelösungen Händler bei der Implementierung von effektiven DRM-Lösungen in den eigenen Shop unterstützen.

Werbung zum richtigen Zeitpunkt: Der große Vorteil von Digital-Retail-Media ist, dass sie Konsumenten erreicht, die bereits in Kauflaune sind.
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Werbung zum richtigen Zeitpunkt: Der große Vorteil von Digital-Retail-Media ist, dass sie Konsumenten erreicht, die bereits in Kauflaune sind.

Wie können Marken und Händler vom Trend profitieren?

1. Höhere Investitionen

Studien zeigen, dass die Bedeutung der digitalen Werbegelder weiter wächst, doch um in diesem Segment Erfolg zu haben und mit der wachsenden Konkurrenz Schritt zu halten, müssen die Budgets laufend angepasst werden. Werbeplatzierungen werden von Marken in der Regel aus Budgets für Verhandlungen mit Händlern bezahlt, nicht aus dem Marketingbudget, wodurch bestehende Werbekanäle nicht kannibalisiert werden. 

Allerdings steigt die Bereitschaft, mit zunehmendem Erfolg der Digital-Retail-Media ursprünglich im Marketing liegende Budgets zu den Einzelhandelsplattformen zu verschieben. Hier gilt es als Marke auszuprobieren, welcher Budget-Mix die eigenen Ziele am ehesten unterstützt. Als Händler möchte ich der Marke zeigen, dass Budgets in meinem Shop-Umfeld zu mehr Umsatz führen, sodass die Bereitschaft, Budgets zu verschieben, steigt.

2. Kombination von Digital-Retail-Media mit anderen Maßnahmen

Retail-Media sollte in die gesamte Marketing-Strategie eingebunden sein. Denn erwiesenermaßen haben aufeinander abgestimmte Maßnahmen einen großen Hebel auf den ROI. Mit digitalen Retail-Media-Kampagnen, die auf First-Party-Daten beruhen, können Onlinenutzer zu tatsächlichen Store-Besuchern werden. Einzelhändler mit physischer Präsenz haben erkannt, dass die persönliche Ansprache immer noch der effektivste Weg ist, um Kunden zu binden und die Anzahl der Käufe zu erhöhen.

Für das bestmögliche Ergebnis sollte Digital-Retail-Media also mit anderen Maßnahmen kombiniert werden. Hier können Händler unterstützen, indem sie Marken in die eigenen Werbepläne einbeziehen und Einbindungen anbieten. Zum Beispiel sollten, wenn der Händler eine "Aktionswoche" plant, Marken Bescheid wissen, um ihre Werbemaßnahmen auf die erhöhte Nachfrage anpassen zu können.

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