Die letzten Jahre zeigen es deutlich: Höher, schneller, weiter - und vor alles ein "E" setzen, ist die Skalierungsgrundlage Nummer eins. Doch die Grenzen dieses Denkens werden gerade sichtbar. Der lange Weg zurück zur Normalität muss den Kunden wieder in den Vordergrund stellen, sagt Etailment-Kolumnist Christian Kelm von Amalyze. Wie Händler mithilfe des Konzepts der "Entitäten" mehr Tiefe und Breite in ihre Produktauswahl bringen und Produkttexte und -bilder optimieren, erklärt er in diesem Beitrag.
E-Commerce, E-inhorn und überhaupt - E-skalation überall. Wir kaufen schnell alle Hidden Champions und Nischen auf Amazon und werden noch mehr erreichen. Doch mit der Zeit hat man gemerkt, dass die aufgekauften Bereiche eine sehr valide Basisarbeit verrichtet haben und zusätzliche Mehrwerte schwer zu skalieren sind.
Statt zu akzeptieren, dass die Jahre 2020 und 2021 keine neue Normalität darstellen, ging man offenen Auges in die falsche Wachstumsprognose. Ohne das Jahr 2019 und das Wachstum gegen 2018 als Basis, wurde zu viel bestellt, zu viel bezahlt - und doch zu wenig am Fundament gearbeitet.
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Wie wichtig es ist, zur richtigen Zeit zu wissen, was Kunden nachfragen, haben die Ausnahmesituationen der vergangenen Jahre gezeigt. Auf dem Weg zurück zur Normalität nach dem coronagetriebenen Online-Boom muss es deshalb darum gehen besser zu verstehen, nach welchen Inhalten Kunden suchen.
Der Weg zurück zur Wachstumsnormalität und besonders zur Arbeitsnormalität ist hart und wirft viele zurück in den Arbeitsalltag rund um Amazon. Nicht Pakete versenden im Akkord, sondern regelmäßiges sauberes Abarbeiten der täglichen Aufgaben und die regelmäßige Verbesserung von Produktlistings, Produkten und der Produktauswahl.
Über den Autor
Christian Otto Kelm, VP Product der AMALYZE AG, zuständig für die strategische Weiterentwicklung des Tools, ist einer der Experten für Amazon und Amazon SEO in Deutschland. Beim Gaming-Zubehör-Hersteller Speedlink baute er Amazon als Kanal auf, später war er für die Amazon-Agentur factor-a und den Amazon-Händler KW Commerce tätig. Er ist Buchautor und unterstützt Seller und Vendoren im Umgang mit Amazon - sowohl beratend als auch operativ - frei nach dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe". Er schreibt regelmäßig als Etailment-Experte.
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Was sind Entitäten?
Dabei kann eines der größten "E"s helfen, welches für die Amazon-Grundoptimierung vorstellbar ist – der Begriff der "Entitäten". Durch die Typisierung, also das Erkennen gleicher Attribute oder Merkmale, können Entitätstypen abgeleitet werden. Dabei werden Produkten zum Beispiel Zielgruppen, Anlässe, Größen, aber auch Marken, Eigenschaften und Merkmale zugewiesen.
Am Beispiel "Gartenstuhl" sieht man, dass für die Zielgruppe "Kinder" und "Senioren" gesucht wird, gesuchte Merkmale sind die "Belastbarkeit", der "Bezug", die "Fusskappen" und "Kopfpolster" oder "Sitzfläche" und "Sitzhöhe" etc.
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Zwei Bereiche von Entitäten für den Suchbegriff "Gartenstuhl"
Ein weiterer Bereich sind die "Eigenständigen Produkte", hier findet man Zubehör oder Produkte im Umfeld des Suchwortes, hier nochmals am Beispiel Gartenstuhl:
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Entitäten bei eigenständigen Produkten zu "Gartenstuhl"
Nun ist es die Eigenschaft von Amazon als Marktplatz, dem Kunden eine vollständige Auswahl an Produkten anzubieten und Bedürfnisse zu befriedigen, welche Kunden abfragen. Die Aufgabe wird gesamtheitlich von allen Anbietern bedient, doch schöner wäre es natürlich, diese unter der eigenen Marke oder im eigenen Produktportfolio abzubilden.
400.000 verschiedene Suchbegriffe - am Tag
Nur zum Verständnis: Anstatt sich am Prime Day mit allen Wettbewerbern die Kunden zu teilen, sollte man lieber die Vielzahl an Kundenanfragen bedienen können und das Ganze auch ohne Werbung und Rabatte.
Dabei geht es nicht ausschließlich um die Peak-Zeiten wie den Prime Day, wenn über 13 Mio. verschiedene Worte auf Amazon gesucht werden, sondern um die tägliche Vielfalt. In den USA sind das zum Beispiel ca. 1,7 Mio. und in Deutschland immer noch über 400.000 verschiedene Suchworte pro Tag.
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Suchanfragen pro Tag zum Prime Day 2022
Hier muss man ansetzen und diese Auswahl an Worten möglichst übersichtlich darstellen und aufbereiten. Dies beinhaltet Fragen wie: In welcher Set-Struktur sollte man Produkte auf den Markt bringen? Hier wieder am Beispiel Gartenstuhl:
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Entitäten Sets & Packs "Gartenstuhl"
Auch nach Material oder Werkstoff wird gerne gesucht, hier am Beispiel "Ring Damen":
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Entitäten zum Suchbegriff "Ring Damen"
Märkte neu analysieren und verstehen
Es gilt, die ehemals stark wachsenden Märkte neu zu analysieren und zu verstehen. Dabei ergeben sich im Wesentlichen drei Ansätze zum direkten Einsatz: die Optimierung von Text, Bild und Produktauswahl.
Am Beispiel Gartenstuhl wird die Abdeckhaube auch "Abdeckplane" bzw. "Abdeckung", aber auch "Hülle", "Regenschutz", "Schutzhülle" und "Überzug" genannt. Im Bereich SEO für Amazon also eine schnelle und einfache Möglichkeit, sofort weitere Worte zu finden, ohne langes Suchen.
Texte und Bilder optimieren
Weiterhin können Textinhalte einfach aufgebaut werden: Kunden beschäftigen sich in der Suche mit Funktionen, Einstellmöglichkeiten, der Stapelbarkeit und der Größe in Form von Abmaßen, aber auch Belastungskriterien in Gewicht. Dies kann man direkt als Textblöcke einbauen.
Diesen Ansatz gilt es eins zu eins in die Bildsprache zu überführen. Der Anlass Camping zeigt, dass allgemeine Bilder auf dem Balkon oder im Garten nicht mehr ausreichen. Wie kommt der Gartenstuhl zum Campingplatz? Wohl in Auto, Wohnwagen oder Wohnmobil – das heißt, die Klappfunktion kann im Bild wunderbar in einem Nutzungsumfeld wie dem Kofferraum des Wohnmobils dargestellt werden.
Andere Gartenstuhlarten sind wohl stapelbar – jedoch zeigen dies nur die Kundensuchen auf, Produktbilder zum Thema finden sich nicht.
Der Portfolio-Ansatz
Zu guter Letzt der Ansatz des Portfolios. Hier gehen wir der Einfachheit halber in den Bereich "Eigenständige Produkte":
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Entitäten eigenständige Produkte zu "Gartenstuhl"
Von Polstern über Kissen oder eine Fußablage ist alles zu finden. Spätestens im Bereich Merkmale & Besonderheiten wird klar, dass ein einziger Stuhl sowieso nicht die Nachfrage der Kunden bedienen kann:
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Entitäten Merkmale & Besonderheiten zum Suchbegriff "Gartenstuhl"
Mit oder ohne Armlehnen, Niedriglehner, Mittellehner, Hochlehner, mit und ohne Liegefunktion, verschiedene Sitzhöhen. Ein vollumfängliches Angebot basiert nicht auf den Einschränkungen durch die Hersteller, sondern auf den Nachfragen der Kunden.
Den Kunden wieder in den Vordergrund stellen
Insbesondere die wechselnden Situationen der letzten drei Jahre zeigen, wie wichtig es ist, zur richtigen Zeit zu verstehen, was die Haushaltsnormalität nachfragt und welche Inhalte gesucht werden. Um diese mit passenden Produkten, der richtigen Wortwahl, den gesuchten Features und perfekten Bildern darzustellen.
Der lange Weg zurück zur Normalität muss den Kunden wieder in den Vordergrund stellen - und nicht den maximalen Konsum der gleichen Produktpalette jedes Jahr aufs Neue.
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Detailliebe ist gefragt
Produkte benötigen mehr Zuneigung und Detailliebe, genau wie die Wünsche des Kunden. Einfach nur ein Listing auf dem Marktplatz Amazon anzubieten ist kein Erfolgsfaktor mehr, obgleich natürlich gestörte logistische Ketten und Verfügbarkeiten noch letzte Restvorteile mit sich bringen, sollte man mehr Tiefe und Breite in seine Produktauswahl einarbeiten.
Die Entitäten können dabei als vielfältiger Ansatz und Grundstein dienen, als ein stabiles, beständiges und haltbares Fundament. Worum es genau nicht geht, ist die bloße Ansammlung verschiedener gleichlaufender Artikel. Sie befriedigt weder Leser noch Kunden – stattdessen ist kontinuierliche, langfristige, analytische, aber stetige Arbeit gefragt.
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