Lieferkettenprobleme, Ukraine-Krieg und jetzt die Energiekrise: Das Abflachen der Onlinewelle hat nicht nur eine Ursache, und mit der drohenden Rezession wird sich die Konsumzurückhaltung der Deutschen absehbar noch verstärken. Ob aus der Konsumkrise auch eine Onlinekrise wird, hängt von mehreren Faktoren ab, sagt Etailment-Experte Prof. Gerrit Heinemann. Welche das sind und welche Unternehmen in der gegenwärtigen Situation im Vorteil sind, erläutert er in diesem Beitrag.

Die Ausgangslage für 2022 war zunächst recht positiv. Die Coronakrise hatte auch 2021 für einen beispiellosen Boom im Onlinehandel. So stieg im vergangenen Jahr der Netto-Umsatz von Waren im E-Commerce erneut zweistellig um rund 19% auf rund 85 Milliarden Euro netto. Das Online-Handelsvolumen erreichte damit mehr als 15% Onlineanteil am gesamten Einzelhandel. Während es auch in den ersten Wochen 2022 so aussah, als wenn sich diese Entwicklung weiter fortsetzt, kam alles ganz anders.

Der Ukraine-Krieg führte nicht nur zu einem generellen Nachfrageschock und Rückgang im Einzelhandel, sondern vor allem zu einem völlig ungewohnten Abflachen der Onlinewelle. Zwar konnte der Onlinehandel dank starker Umsätze im Nachweihnachtsgeschäft das erste Quartal 2022 nach den Zahlen des bevh noch mit einem Plus von 8,2% zum Vorjahr abschließen. Dieses Wachstum ist jedoch eine Durchschnittzahl, die sich aus einem starkem Jahresstart mit 11,5% vor Kriegsbeginn und nur noch 2,3% nach Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar 2022 zusammensetzt.
Leerer Einkaufswagen: Je mehr Geld Verbraucher für Gas und Strom zahlen müssen, desto weniger können sie im Onlinehandel ausgeben.
© IMAGO / Imaginechina-Tuchong
Leerer Einkaufswagen: Je mehr Geld Verbraucher für Gas und Strom zahlen müssen, desto weniger können sie im Onlinehandel ausgeben.

Wir stecken im Nachfrageschock fest

Aber es kam noch schlimmer. So bestätigte der bevh für das zweite Quartal 2022 einen Rückgang im deutschen Onlinehandel von 9,6% zum Vorjahreszeitraum. Zudem verschlechtern sich fast täglich die Konsumindizes. Insofern stecken wir immer noch im Nachfrageschock fest. Die Gefahr einer Rezession liegt in der Luft. Ob es wirklich dazu kommt, hängt vom weiteren Verlauf des Ukraine-Kriegs ab. Dazu kommt die anhaltende Lieferproblematik, vor allem für Waren aus China. Beides sind gewaltige Unsicherheiten, die die Lage für den Handel nicht planbar machen. 

Online ist von dieser Situation unter Berücksichtigung aller Effekte nicht stärker, aber auch nicht weniger stark betroffen als der stationäre Handel. Eine Branche, die so lange an Wachstum gewöhnt war, muss allerdings erst einmal begreifen, dass auch sie vor einem Nachfrageschock nicht gefeit ist. Sicherlich wird sich der ein oder andere schwer tun, mit dieser Situation klarzukommen.

Doch im Vergleich mit dem stationären Handel sollte Online eigentlich deutlich krisenresistenter sein. Denn der Online-Handel ist viel weniger fixkostenbasiert. Vielmehr hat man im E-Commerce viele variable Kostenbestandteile, die sich bei niedrigeren Umsätzen anpassen lassen. Diese Möglichkeit haben die Stationären nicht.

Das Weihnachtsgeschäft wird entscheidend

Man sollte also jetzt nicht gleich in Alarmstimmung verfallen und sagen: Der Online-Boom ist Geschichte, das Online-Ende naht! Immerhin gehen sämtliche Handelsverbände immer noch von einem Online-Wachstum in diesem Jahr aus, wenn auch nur im unteren einstelligen Bereich.


Das ist nach dem starken Wachstum der Pandemiejahre keine Prognose, bei der man sich gleich umbringt. Und mit 5,1% realem Zuwachs gegenüber dem Vorjahreszeitraum lagen die Umsätze des Onlinehandels nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Juli diesen Jahres sogar wieder deutlich über der Entwicklung des gesamten Einzelhandels mit real minus 2,6%.

Die Gretchenfrage wird das kommende Weihnachtsgeschäft sein, denn gerade der Onlinehandel ist ja sehr geschenkeorientiert. Im Moment sind noch viele Szenarien vorstellbar. Wenn man den Gesundheitsexperten glaubt, dann wartet ja auch das Virus nur hinter der nächsten Ecke. Sollte das im Herbst und Winter tatsächlich so sein, könnte Online wieder davon profitieren. Oder die Pandemie ist vorbei und die Lieferkettenproblematik bleibt weiter bestehen. Das könnte dann eine entscheidende Bremse für den E-Commerce sein. Andererseits ist auch der stationäre Detailhandel immer noch mit großen Unwägbarkeiten verbunden, die unmittelbar auf das E-Commerce-Wachstum Einfluss nehmen.

Die Marktbereinigung wurde nur vertagt

Die Bereinigung im stationären Handel wurde vor allem im zweiten Halbjahr 2021 noch einmal mit allen Kräften aufgehalten. Die Corona-Hilfen waren die letzten guten Taten der alten Regierung und sie fielen so üppig aus, dass viele Händler noch einen überraschend guten Jahresabschluss hinbekamen. Doch die Bereinigung wurde damit nicht gestoppt und jetzt wird sie mit etwas Verzögerung wieder kräftig in Gang kommen.

Andererseits ist auch online eine Marktbereinigung ein Thema und schon immer gewesen. Schon vor Corona haben wir über Bereinigungsprozesse im E-Commerce gesprochen. Durch Corona sind dann viele Händler noch einmal profitabel geworden. Jetzt wird auch hier mit Verzögerung die Bereinigung weitergehen. Es wird sich der Prozess fortsetzen, dass die Großen immer größer werden und die Kleinen nur noch sehr wenig wachsen. Wer da nicht mehr mithalten kann, fällt dann der Marktkonsolidierung zum Opfer.

Wer austauschbar ist, hat keine Marktberechtigung

Dabei gelten immer wieder die gleichen Prinzipien: Wer austauschbar ist, der hat keine Marktberechtigung – auch online nicht. Wer dagegen eine Killer-Differenzierung gegenüber anderen Händlern hat, der ist im Vorteil. Es geht darum, Begehrlichkeiten zu wecken und ein uniques Produkt zu bieten.

Natürlich sind auch die sogenannten Hausaufgaben, die Händler zu erledigen haben, wichtige Hygienefaktoren. Ein Shop muss gut funktionieren, sonst kann er schließen. Aber es nützt nichts, immer auf die UX zu schauen, wenn das Sortiment nicht stimmt. Das Sortiment ist das Herz des Handels, auch online. Gerade aus Kundensicht ist die Attraktivität der Produkte mit Abstand auf Platz eins, wenn es um die Entscheidung für einen bestimmten Händler geht. Der Kunde ist absolut produktfokussiert.

Erfolgreiche Unternehmen denken vom Produkt aus

Das Problem ist nur: So viele begehrliche Produkte gibt es gar nicht. Deshalb reden wir heute so viel über DTC-Start-ups. Weil hier das Geschäftsmodell von einem attraktiven Produkt aus gedacht ist, das für die Kunden begehrlich ist. Der einzige, der es nicht nötig hat, sich selbst zu viele Gedanken über sein Produktsortiment zu machen, ist Amazon. Das ist ein klares Signal für die Größe von Amazon und mit welchem Abstand es die Nummer eins im Onlinehandel ist. Aber wer schafft das sonst noch?

Auch die ganze Diskussion um Kanäle, um Multichannel, Stationär oder Online, ist vor diesem Hintergrund irrelevant. Der Kunde will ein attraktives Produkt – und das kauft er in dem Kanal, wo das am einfachsten ist. Welcher Kanal das ist, ist dem Kunden schnurzegal.
 
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