Die Luxusmarken taten sich lange schwer mit dem Internet. Das spürten auch manche Händler. Doch auch die Hersteller der hochpreisigen Waren mussten spätestens durch die Coronakrise ihre Strategie überdenken. Der Schutz der Marke muss dabei oberstes Ziel sein. Doch die Branche sollte auch aus gescheiterten Schnellschüssen einiger Firmen lernen.
Die durch Corona angefeuerte Wirtschaftskrise deckt schonungslos die Schwächen der Digitalisierung auf und zeigt damit umso mehr, was in der Vergangenheit vernachlässigt wurde. Selbst Luxusmarken, die bis dato durch ihre hohen Gewinnmargen recht krisenresistent waren, sind nun zum Handeln gezwungen und müssen aktiv E-Commerce betreiben und neue digitale Vertriebskanäle aufbauen, um direkt an ihre Kunden (D2C, Direct-to-consumer) zu verkaufen.
Patek Philippe erlaubt Onlinehandel
Die ausschlaggebende Nachricht für diesen Text war die Meldung, dass der Luxusuhren-Hersteller Patek Philippe seinen Händlern angesichts der Corona-Krise temporär erlaubte, die Uhren der Manufaktur auch online zu verkaufen. Zuvor hatte die Marke sich stark dagegen gewehrt, das belegt etwa ein Zitat von Patek-Präsident Thierry Stern aus dem Jahr 2019, als er sagte, das Internet sei "ein hervorragendes Tool, um Milch oder eine Jeans zu kaufen". Somit war es Händlern lange Zeit faktisch untersagt, neue Patek-Uhren in ihren Onlineshops zu verkaufen. Bis jetzt. Bedingt durch die Corona-Krise und den Lockdown waren die Händler nun gezwungen, "neue Wege" zu gehen. Das Wort "neu" ist bewusst in Anführungszeichen gesetzt, denn so neu ist der Weg natürlich nicht. Bereits 2012 habe ich in meiner damaligen Agentur für den Möbelhersteller Vitra den ersten Onlineshop umgesetzt, was damals ein Novum war. Doch es hat sich in dem Bereich wenig getan, da immer noch zu viele große Hersteller auf ihren mehrstufigen Vertrieb setzen, sie den Händlern nichts wegnehmen wollen oder es sogar teilweise Vertragsbeziehungen inklusive Regionalschutz verbieten.
Digitale Vertriebskanäle nur eingeschränkt bespielt
Die Marken haben zum Teil wunderschöne Websites, aber oftmals fehlt der Kaufen-Button, oder sie ziehen die Customer Journey nicht bis zum Kauf durch. Auch Social-Ads oder Newsletter werden sträflich vernachlässigt. In der alten (Handels)-Welt hat das vielleicht Sinn ergeben.
Die volle Klaviatur digitaler Möglichkeiten nutzen
Aber Vorsicht: Es gibt viele Möglichkeiten heutzutage, über digitale Vertriebskanäle selbst zu verkaufen. Allerdings muss ihre Nutzung in Einklang mit einer richtigen Strategie stehen, die das Heiligtum – die eigene Marke – schützt. Sich als Rolex von heute auf morgen von den Händlern zu trennen und als Schnellschuss einen Onlineshop zu eröffnen, ist nicht empfehlenswert. Stattdessen sollten sich die Unternehmen überlegen, welche Kanäle sie zur bestehenden Struktur hinzufügen können, damit alle gewinnen. Je mehr Vertriebskanäle mir als Marke gehören, desto besser. Aus folgenden Gründen:-
Die Obrigkeit liegt bei der Marke selbst, sprich: Das Unternehmen "besitzt" diesen Verkaufskanal und kann dementsprechend selbst die Entscheidungen treffen, ohne sie mit einem Mittelsmann abzustimmen.
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Ein digitaler Kanal wie ein Onlineshop ist eine direkte Kundenschnittstelle, das heißt, dass darüber Feedback und Kundenwünsche gesammelt und damit Produkte und die Strategie verbessert werden können. Zudem können Marken – vor allem im Luxussegment – so auch für eine Preistransparenz sorgen, die die Kunden noch stärker an sie bindet.
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Eine Marke kann über diesen Direct-to-Consumer-Kanal ihre Werte und Geschichte vermitteln, wie sie es will. Näher und direkter an den Kunden zu sein, geht nicht.
Damit die neuen digitalen Vertriebskanäle greifen, müssen sie nicht nur technisch funktionieren (Onlineshop, Newsletter), sondern auch Anreize bieten. Adidas hat zum Beispiel zur Fußball-Weltmeisterschaft 2018 das damalige Trikot der deutschen Mannschaften die ersten zwei Wochen ausschließlich über seinen Onlineshop verkauft, erst dann wurden die Händler beliefert. Nike geht einen ähnlichen Weg und bietet neue Schuhmodelle teilweise ausschließlich in der eigenen Sneakers-App an.
Die Möglichkeiten sind somit grenzenlos und zuträglich für das Wachstum einer Marke. Adidas hat sich beispielsweise vorgenommen, den E-Commerce-Umsatz bis Ende des Jahres auf 4 Milliarden Euro zu steigern – bis 2016 lag er nur über die eigene Webseite bei mehr als 1 Milliarde Euro. Triangl sucht den besseren Kundenkontakt
Bikini-Unternehmen Triangl verkaufte zu Beginn über Händler, wurde aber erst durch den Verkauf über den eigenen Shop erfolgreich, da sie so unter anderem "besser in den Dialog mit Kunden gehen konnten", wie Gründerin Erin Deering erzählt. Im ersten Jahr des Unternehmens machte Triangl fünf Millionen US-Dollar Umsatz (4,6 Millionen Euro). 2017 waren es bereits 60 Millionen Dollar. Die deutsche Lifestyle-Marke Kapten & Son hat sich mit Influencer-Marketing Umsätze im zweistelligen Millionenbereich erarbeitet. Die Liste an Erfolgen für D2C (Direct-to-Consumer)-Unternehmen ist somit lang und zeigt das immense Potenzial für den Direktvertrieb. Laut einer Studie des amerikanischen Finanzierungsmarktplatzes Fundera werden in den nächsten fünf Jahren rund 81 Prozent der Kunden über DTC-Kanäle einkaufen. Die Coronakrise dient dabei als Brandbeschleuniger, und Patek Philippe handelt deshalb mehr als schlau, um keinen dauerhaften Schaden zu nehmen. Ich hoffe, dass weitere B2B(2C)-Unternehmen diese immensen Chancen sehen. In diesem Sinne: Je mehr digitale Vertriebskanäle eine Marke in den eigenen Händen hält, desto besser.
Auch im Luxussegment!
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