Das neue deutsche Warenhaus-Ehepaar hat endlich einen Namen - er ist erwartbar unspektakulär. Die Optik des neuen Markenauftritts dürfte ein Festival der Gestaltungskunst werden. Umso mehr freuen wir uns, in einem Land der Onlinehändler zu leben, die die besten Websites der Welt haben. Allerdings gibts halt auch wieder traurige Geschichten aus dem Stationärhandel. Man kann halt nicht alles haben.

Seit diesem Freitag ist die Welt wieder in Ordnung, die Welt der Unwissenden, genau genommen. Diejenigen, die sogar noch stolz sind darauf, nichts zu wissen, und die mit dem Phrasenklassiker um die Ecke kommen: "Ich muss nur wissen, wo etwas steht." Und dann starren sie im Wirtshaus auf ihre Smartphones, lesen sich gegenseitig aus dem Internet vor, was sie vor einer Minute noch nicht wussten und in einer Minute schon wieder vergessen haben.

Aber am Donnerstag hatten diese Leute schwere Stunden in den Wirtshäusern, denn Wikipedia, die Bibel des Vorlesewissens, war schwarz. 24 Stunden lang verweigerte die deutsche Seite ihren Dienst aus Protest gegen die europäische Urheberrechtsrichtlinie, von der der normale Wikipedia-Leser nicht viel verstehen dürfte, was er korrigieren sollte, wenn er auch künftig ein freies Internet nutzen möchte, um beim Wirtshausbier beim Wissenvorlesen dicke Hose machen zu können.

Der CDU-Europapolitiker Axel Voss, der als Vater dieser EU-Reform gilt und entsprechende Verhandlungen führt, versteht übrigens hier auch nicht alles. Macht aber nichts, dafür sorgt der neue Digital-Superstar für beste Unterhaltung. 

Hier auch.

Der Wohnstuben-Ruhm der Mutter

Unsereiner wuchs ja mit dem Fundament jedes deutschen Halbwissens auf - der Brockhaussammlung. Und zu der hat dann Mutter bei Erklärungsnotstand stets gegriffen, um die in altdeutscher Schrift verfassten (das spricht gegen das Alter der Lexika, nicht gegen unseres) Kurzerklärungen über exotische Tiere, historische Ereignisse oder physikalische Merkwürdigkeiten zu deklamieren. Der kurze Ruhm einer Wohnstuben-Vorlese-Gelehrten war ihr stets gewiss.
Darknet: Die Wikipedia-Seite vom Donnerstag.
© Screenshot / etailment
Darknet: Die Wikipedia-Seite vom Donnerstag.
Man muss diese Zeit nicht verklären, wie es gerne getan wird, weil die analoge Dareichungsform des Wissens oftmals als etwas Höherwertiges angesehen wird. Doch es gibt einen Unterschied: Der Brockhaus war eine stationäre Enzyklopädie, sie hatte ihren festen Platz im Wohnstubenregal. Niemand ging mit zwölf dicken Büchern ins Wirtshaus, um in Krisenfällen mit einer Antwort zu renommieren.

Also musste man sich damals mit Wissen anderweitig versorgen. Entweder, man schaffte sich geistige Vorräte an, um bei Notständen davon zu zehren, oder man zuckte lakonisch mit den Schultern, weil keiner etwas wusste - oder man dachte einfach mal nach. Das sollte man auch heute den Wirtshausschlaumeiern mit ihren Smartphones zurufen:

Denken ist wie Googlen, nur krasser.

Nachgedacht, im Rahmen seiner Möglichkeiten, hatte letztens Peter Millowitsch, der Sohn von Willy, dem früheren Kölner Volksschauspieler. Peter kolumniert im "Express", also er trompet auf dem Kölner Boulevard heraus, was er glaubt, des Volkes Meinung sein zu müssen.

Wenn Moral Legitimation wird

Letztens knatterte Millowitsch ein paar schöne Zeilen daher aus der Rubrik: "Früher war alles besser." Damit meinte er die heile Welt des stationären Handels, die jetzt nicht mehr bestünde, weil ja auch der Satan Online-Handel alles kaputt gemacht hat. 

"Wir alle hier in Köln sollten dem Einzelhandel und jenen Traditionsbetrieben, die sich dem Wandel angepasst und gehalten haben, die Treue halten – man denke da nur mal ans Café Riese mit seinen patentierten Domwaffeln – den Rücken stärken." 
Steffen Gerth, Redakteur bei Der Handel und Etailment
© Aki Röll
Steffen Gerth, Redakteur bei Der Handel und Etailment
 
Moral als Legitimation? Funktioniert genauso wenig wie das Argument "Tradition". Darüber hatten wir uns letztens hier schon ausgelassen, und uns erreichen seitdem ständig Zeitzeugenberichte, die es schwer machen, dem klassischen Einzelhandel die Treue zu halten, oder ihn gar "zu unterstützen", wie gerne gefordert wird.

Wenn Frau G. P. in Würzburg zum Elektrohändler geht

Man kann, sollte Menschen in Mosambik unterstützen, denen der Tropensturm "Idai" gerade auch den letzten Rest ihres armen Lebens genommen hat. Aber man muss keinen Elektronik-Händler unterstützen, den Leserin G. P. in Würzburg erlebt hat. Weil die Frau sich privat neu aufstellt, was auch damit zu tun hat, dass ihr Mann sich privat neu aufstellt, brauchte sie für ihre neue, eigene Wohnung eine Kühl-Gefrier-Kombination. Das Angebot des Händlers war verwirrend und bei der ersten Übersicht nicht hilfreich, zumal er die Frau aufforderte, nochmals daheim nachzumessen, was, wie, wo gebraucht würde.

Dann doch lieber bei Otto

Das wurde getan. Doch die Messergebnisse waren dem Händler immer noch nicht gut genug, stattdessen bot er der potenziellen Kundin einen Lehrvortrag, wie sie doch - bitte schön - den Gliedermaßstab (auch kein schlechter Fachbegriff) richtig anzulegen habe, um ein einwandfreies Resultat zu erlangen.

Spätestens jetzt hätte er die Frau für sich gewinnen können, wenn er gesagt hätte: "Wissen Sie was, jemand von uns kommt zu Ihnen und misst nach." 

Hat er aber nicht. Stattdessen ging G. P. nach Hause, dort ins Internet, hat otto.de aufgerufen, sich mit einer Servicemitarbeiterin per Mail ausgetauscht - und dort wurde ihr nach kurzer Korrespondenz ein passendes Gerät empfohlen. Zudem sollte jemand zum Ausmessen vorbeikommen. Altgeräte werden bei Lieferung der neuen Geräte auch mitgenommen. Bezahlung? Bequem per Rechnung. 
Startseite von Otto.de: Deutsche Onlinehändler, gute Onlinehändler. Fragen Sie Frau G. P.
© etailment / Screenshot
Startseite von Otto.de: Deutsche Onlinehändler, gute Onlinehändler. Fragen Sie Frau G. P.
 Liebe Stationärhändler, der E-Commerce klaut euch nicht die Kunden, weil er einfach nur billig ist, sondern weil er sogar eure Hausaufgaben besser erledigt als ihr. 

Deutsche Onlinehändler auf Weltniveau

Letztens hatten wir den schicken Satz gehört: "Service ist der neue Retail." Diese Botschaft sollte der Handelsverband Deutschland seinen Mitgliedern als Memorandum zukommen lassen, jeden Monat. Aber vielleicht interpretiert ja der Verband auch das verblüffende Ergebnis dieser Studie als Erfolg seiner Arbeit:

"Deutsche Einzelhändler weltweit mit dem besten Online-Angebot", überschrieb der Qualitätssicherungs-Technik-Anbieter Applause eine Erhebung, deren Erkenntnis man so nicht erwarten durfte.

"Mithilfe seiner Tester hat das Unternehmen die Online- und Offline-Usability und Funktionalität der Online-Angebote führender Einzelhändler in Deutschland, den USA und Großbritannien untersucht und miteinander verglichen. Insgesamt fanden die Tester mehr als 3.000 Bugs auf 52 Websites - rund ein Drittel davon wurden als 'schwerwiegend' eingestuft. Die Fehler haben die Funktionalität der Websites erheblich beeinträchtigt und Kunden davon abgehalten, Einkäufe abzuschließen. Die wenigsten Fehler wurden in Deutschland gefunden (23 Prozent), gefolgt von den Vereinigten Staaten (32 Prozent). Großbritannien weist den höchsten Anteil an Fehlern (45 Prozent) auf", heißt es. 

Na also, Technik können wir. Lassen wir mal den Bau von Flughäfen und Bahnnetzen außen vor. 

Und wir können mehr:

"Die Online-Angebote deutscher Einzelhändler wiesen die wenigsten Bugs und gleichzeitig die besten Werte beim Thema Funktionalität auf (4,2). In den USA hatten die Anbieter mit grundlegenden Aspekten der Webseiten-Funktionalität zu kämpfen und erhielten nur eine Wertung von 4,0. Großbritannien belegt auch hier den letzten Platz mit einer Wertung von 3,5."

Doch wir können nicht alles: 

"Mobile Apps wurden in allen Ländern schlecht bewertet, vor allem aber in Deutschland, wo sie eine Bewertung von 1,6 von 5 möglichen Punkten erhielten."

Unsere Apps sind demnach auf dem Niveau der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Deutsche Onliner sind auch in anderer Hinsicht fortschrittlicher als klassische Unternehmen hierzulande. Wenn nämlich die Zalando-Chefs Ritter, Gentz und Schneider neuerdings als Fixum nur 65.000 Euro im Jahr verdienen sollen, bei Unternehmenserfolg indes jede Menge Millionen, für jeden des Trios, dann ist da auch ein anderer Drive als bei den Dax-Unternehmen. Viel Kohle gegen großen Erfolg - das ist der Deal bei Zalando

Und deswegen rummst es dort mit der Verdopplung des Wachstums. Wetten?

Bei den Dax-Unternehmen regiert ja das Prinzip: Wer auf dem Chefsessel sitzt, kassiert automatisch. 65.000 Euro Fixum? Da ist ja wahrscheinlich allein der Dienstwagen von Post-Chef Frank Appel teurer. Der oberste Postbote bekommt allein 22 Millionen Euro Pensionsvorsorge, sein Gehalt betrug vergangenes Jahr 8,2 Millionen Euro. Das ist streng genommen eine marktwirtschaftlich ummäntelte Verbeamtung, deren Prinzip halt dafür sorgt, dass die Old Economy zuweilen recht alt aussieht gegen die gierigen Modernen. 

Die alte Kuh melken

Wenn Altes modern werden will, dann sieht es oft so aus, wie das, was Karstadt/Kaufhof gerade veranstalten. "Galeria Karstadt Kaufhof" soll der neue Warenhausverbund heißen. Das ist in Sachen Kreativität auf dem Niveau deutscher Apps oder der Fußball-Nationalmannschaft. Oder, um im Fußballjargon zu bleiben: ein Sicherheitspass. Aber Karstadt-Chef Stephan Fanderl vertraut offenbar seiner Doktrin, wonach mehr Deutsche Karstadt kennen würden als Amazon. Also schön die alte Kuh melken, auch wenn dort kaum noch Milch herauskommt. 
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Aber das Verpassen eines Marken-Relaunches gehört ja zur DNA von Karstadt. Unter der unseligen Herrschaft des Immobilienhändlers Nicolas Berggruen wurde ja auch schon vermieden, die angestaubte Marke den neuen Zeiten anzupassen.
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Grün und Blau trägt die Sau

Jetzt freuen wir uns darauf, wie man die grüne (Kaufhof) mit der blauen (Karstadt) Welt verknüpfen will, und vor allem, wie das neue Logo dieses Konstruktes aussehen soll. Die Verrenkungen in den Grafikstudios kann man sich jetzt schon vorstellen, wie sie da etwas Wahnsinniges zusammenschrauben, was unbedingt zusammenpassen soll. "Grün und Blau trägt die Sau", lautet ja ein Reim aus Jugendtagen, um bei Bekleidung die optische Unvereinbarkeit beider Farben zu beschreiben. 

Wir haben uns noch vor dem Wochenende schnell ein paar Gedanken gemacht, wie die optische Zukunft von GKK aussehen könnte. Im Prinzip sind zwei herausragende Entwürfe entstanden. 
Warum nicht die Spargelvariante als neues Logo von Galeria Karstadt Kaufhof?
© goatdesign
Warum nicht die Spargelvariante als neues Logo von Galeria Karstadt Kaufhof?
Beenden wir diese Betrachtungen mit einer schönen Studie von Ikea, das uns mitteilt, wie schlecht die Deutschen schlafen.
Wie?
Ja!
Mehr Bewusstsein fürs Schlafen wolle man damit wecken, heißt es. Sehr gut, aber wir finden Schlaf grundsätzlich gut. Aber, ja, es klappt nicht immer so, wie gewünscht. "Unbequeme Betten, tickende Uhren, Lärm und Licht nennen die Befragten als Störfaktoren. Vor allem elektronische Geräte wie Smartphones im Bett sorgen dafür, dass die Schlafqualität unter der Woche um etwa 30 Prozent sinkt", sind die Gründe. Im Urlaub dagegen ratzen 77 Prozent der Befragten gut. 

Offenbar verbringen die Deutschen ihren Urlaub dort, wo es bequeme Betten gibt, keine tickenden Uhren, keinen Lärm, kein Licht - und das Smartphone liegt auch woanders. 

Wo ist dieser schöne Ort? Mal auf Wikipeda nachschauen.

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