Ökologie, Nachhaltigkeit, ganzheitlicher Anspruch – wer derlei im Handel und erst recht im Onlinehandel für das eigene Business einforderte, stand bislang schnell im Verdacht eher Bäume als Powerpoint zu umarmen. „Öko“, vielfach eher als Bremse der Wertschöpfungskette verschrien und nur als Bio-Produkt im Shop geduldet, könnte nun zum Wettbewerbsvorteil werden. Auch gegen Amazon und andere Tech-Konzerne.
„Warum Wirtschaft Werte braucht“. So lautet der Titel des aktuellen Geschäftsberichts der Otto Group. Darin geht es reichlich um Nachhaltigkeit und Verantwortung. Was manch einem bei einem flüchtigen Blick als verschrobenes Interesse an Kleinbauern, fairem Wettbewerb und auch hippen unternehmensinternen kooperativen Standards erscheinen mag, ist ein wichtiges Bekenntnis und eine kluge Positionierung, die eine zentrale Kundenerwartung von Morgen vorwegnimmt. Derlei kann sogar richtig stylisch wirken. Das zeigt Zalando mit einem Imagevideo zur "do.STRATEGY" rund um die Corporate-Responsibility-Strategie.
Mit einer nachhaltigen Orientierung können sich europäische Unternehmen nämlich ganz bewusst von den Tech-Konzernen differenzieren. Die Story über Amazons angebliches Wegwerf-Verhalten hatte ja auch deswegen einen so großen Nachhall, weil man Amazon derlei Gebaren ohne weiteres exklusiv zutraut.
Das Unbehagen vor dem digitalen Behemoth
Dahinter steht ein grundsätzliches Unbehagen, das nicht nur diesem digitalen Behemoth gilt. Moderne Technologie produziert insgesamt mehr und mehr unausgesprochenes Unbehagen, technische Perfektion erzeugt Nostalgie nach dem Unfertigen, Effizienz und menschliche Optimierung wecken neue Lust an fehlerhaftem Design und die Kühle des Digitalen Assistenten lässt uns auf mehr gegenseitige Wärme hoffen. Anders gesagt: je mehr wir auf plappernde Plastikbecher starren, desto mehr spüren wir, dass wir selbst und die Natur zu kurz kommen.
„Menschen fühlen sich überlastet durch die immense Menge an Daten, zu viele Informationen oder zu viele Nachrichten, die in einer immer höheren Geschwindigkeit über uns hereinbrechen. In dieser Lage streben Menschen nach Sicherheit, nach Dingen, denen sie vertrauen können – und das kann ein Unternehmen sein, das dieselben Werte und dieselben hohen Standards hat wie man selbst“, sagt Alexander Birken, Boss der Otto Group, die mit ihrem Werte-Credo so etwas wie eine Leuchtturm-Funktion im deutschen Handel übernehmen könnte.
Fest steht: in der digitalen Transformation, die wenig Orientierung bietet, sind Werte als Leuchtturm wichtiger denn je. Und dazu gehören dann ökologische und soziale Standards.
Wer sieht, wie Yoga-Gruppen wachsen, die auch eine Art soziologischer Nährboden für eine techno-kritische Konsumhaltung werden können, wer auf die jungen Magazine für neue Innerlichkeit und Nachhaltigkeit schaut oder einfach den Boom vegetarischer und veganer Kochbücher verfolgt und hochrechnet, der kommt schnell zu dem Schluss, dass wir noch in der kommenden Dekade eine massive Abkehr vom bedenkenlosen Shopping sehen werden. Stattdessen werden Wohlgefühl, soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit in die Kaufentscheidung eingepreist werden.

Otto ist längst nicht allein auf seinem Weg der Werte. Allein in den vergangenen Tagen gab es reichlich klimafreundliche Neuigkeiten, die auf die sich wandelnde Kundenerwartungen einzahlen. Ikea beispielsweise will alle Möbel bis 2030 aus nachhaltigen Rohstoffen herstellen und seinen CO2-Fußabdruck um 80 Prozent senken. Samsung erklärte vor wenigen Tagen, man wolle bis 2020 zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien setzen. Sportmode-Hersteller Asics will laut gerade veröffentlichtem Nachhaltigskeitsreport sauberer produzieren.
