Der Krieg in der Ukraine beeinflusst auch die Lieferbeziehungen. Im Geschäft mit russischen Unternehmen gibt es einiges zu beachten, das auch als Blaupause für andere Handelsbeziehungen gelten kann. Was Einzelhändler wissen müssen, erklärt Tobias von Tucher, Rechtsanwalt und Partner bei PwC Legal, im Interview.

Dürfen deutsche Händler noch Geschäfte mit Russland tätigen?
Grundsätzlich ja. Dabei müssen sie allerdings die von der Europäischen Union und Deutschland verhängten Sanktionen berücksichtigen. Diese verbieten u.a. den Ex- und Import bestimmter Produkte sowie Geschäfte mit sanktionierten Personen.
Wichtig ist es deshalb, alle geschäftlichen Beziehungen zu Russland zu überprüfen. Unternehmen sollten klären, ob die Vertragsgegenstände auf den Sanktionslisten stehen oder zu einem sanktionierten Industriesektor gehören. Und sie sollten überprüfen, ob der wirtschaftlich Berechtigte eines Unternehmens eine sanktionierte Person ist.
Bestehen Zweifel an der Zulässigkeit einer Lieferung nach Russland, gibt es die Möglichkeit, sich an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das BAFA, zu wenden und einen sogenannten Nullbescheid einzuholen.
Seit der Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 hat die EU eine Reihe neuer Sanktionen gegen Russland verhängt. Sie ergänzen die bereits bestehenden Maßnahmen, die seit 2014 nach der Annexion der Krim und der Nichtumsetzung der Minsker Vereinbarungen gegen Russland verhängt worden sind.
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Seit der Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 hat die EU eine Reihe neuer Sanktionen gegen Russland verhängt. Sie ergänzen die bereits bestehenden Maßnahmen, die seit 2014 nach der Annexion der Krim und der Nichtumsetzung der Minsker Vereinbarungen gegen Russland verhängt worden sind.


Brechen staatliche Sanktionen privatwirtschaftliche Verträge?
Sofern die Verträge nicht gegen Sanktionen verstoßen, sind Abschluss und Erfüllung von Verträgen mit Vertragspartnern in Russland grundsätzlich wirksam. Verträge sind gemäß § 134 BGB nichtig, wenn sie unter die Sanktionen fallen und nach Einführung der jeweiligen Sanktion abgeschlossen wurden. Wurden Verträge vor Erlass der Sanktionen abgeschlossen, wird die zu erbringende Leistung, die gegen eine Sanktion verstößt, (rechtlich) unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB. Die Leistungspflicht entfällt dann automatisch, ohne dass die Leistenden eine Erklärung abgeben müssen.
Wie oder wo können Unternehmen Sanktionslisten einsehen?
Exakte Angaben über sanktionierte Produkte, Industriesektoren und Personen finden sich in den EU-Verordnungen über die Sanktionen. Diese sind bspw. auf der Internetseite des BAFA aufgelistet, die Originaltexte sind verlinkt.

Sind die Dual-Use-Bestimmungen verschärft worden?
Es ist nun verboten, Dual-Use-Güter mit oder ohne Ursprung in der EU unmittelbar oder mittelbar an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen (Art.2 Abs.1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n. F.). 
Es gibt aber Ausnahmen von diesem Verbot, bspw. für nicht-militärische Nutzung, sofern die Güter etwa für humanitäre, medizinische oder pharmazeutische Zwecke eingesetzt werden.

Wie lässt sich der Währungsverfall des Rubels absichern, wenn der Geschäftspartner bislang in Rubel bezahlte?
Dem Kursabfall des Rubels können Unternehmen und andere Akteure mit Hedging begegnen, z.B. durch die Absicherung über Rubel-Termingeschäfte mit sogenannten Forwards. Vertraglich ist es möglich, Preis- oder Währungsanpassungsmechanismen zu vereinbaren, sodass der Verkäufer bei einem Währungsverfall abgesichert ist. Lassen sich die Geschäfte noch durch Hermes-Bürgschaften o.Ä. absichern?
Nein, die Bundesregierung hat die Bewilligung von Hermes-Bürgschaften und Investitionsgarantien für Russland ausgesetzt. Unternehmen können ihre Exportgeschäfte nicht mehr staatlich absichern.

Darf ich von meinem russischen Geschäftspartner Vorkasse verlangen, obwohl vertraglich eigentlich etwas anderes vereinbart ist?
Nur wenn die Vertragspartner eine Klausel vereinbart haben, die das Recht einer Partei begründet, in Fällen höherer Gewalt den vertraglichen Pflichten nicht nachzukommen oder die Vertragspflichten neu zu verhandeln, eine sogenannte Force-Majeure-Klausel. 
Wichtig ist, dass der konkrete Sachverhalt als Fall höherer Gewalt in der Klausel definiert wurde. Besteht keine solche vertragliche Vereinbarung, kann sich eine Vertragspartei gegebenenfalls auf den Wegfall einer Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB berufen. Demnach besteht ein Recht auf Anpassung des Vertrages, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, geändert haben, ohne dass eine Partei das Risiko dieser Änderung tragen muss. Hafte ich als Lieferant, wenn die Ware nicht in Russland ankommt, weil der Transport nicht funktioniert?
Nur wenn die Lieferung oder ein Teil der Lieferung, bei dem etwas nicht funktioniert, geschuldet ist, haftet der Lieferant in dem Sinne, dass er seine vertragliche Pflicht noch nicht erfüllt hat. Er muss den Vertragsgegenstand weiterhin liefern. Muss der Lieferant dagegen nur die Ware bereitstellen, nicht aber liefern, hat er seine Pflicht mit Abgabe an den Transporteur erfüllt und haftet nicht.

Mache ich mich bei Nichtlieferung schadensersatzpflichtig?
Bei grundloser Nichterfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung haften Unternehmer nach §§ 280, 281 BGB. Ist das zu leistende Produkt oder der Vertragspartner von einer Sanktion betroffen, entfällt die Leistung wegen (rechtlicher) Unmöglichkeit nach § 275 BGB. Dennoch kann der Unternehmer nach §§ 280, 283 BGB haften. Jedoch nur, wenn er das Unmöglichwerden der Leistung zu vertreten hat. Im Fall der Sanktionierung ist das nicht anzunehmen.

Das Interview führte Rivka Kibel. Es erschien zuerst in Der Handel.

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