Dass die Studien, mit denen "Zeit" und "Guardian" den Sinn von Zertifikaten für Waldschutzprojekte anzweifeln, teils auch positive Wirkung belegen, darüber aber nicht berichtet wird, ärgert Moritz Lehmkuhl, CEO von Climatepartner. Das kritisierte Label "klimaneutral" ist aus seiner Sicht aber auch nicht mehr zeitgemäß. Im exklusiven Interview mit Etailment.de-Schwestertitel Horizont kündigt er ein neues Logo samt strengen Anforderungen an.

Herr Lehmkuhl, um gleich zu Beginn der Wahrheit Genüge zu tun: Auch Horizont hat schon einmal ein Zertifikat bei Ihnen erworben. Für wenig Geld haben wir in ein Waldschutzprojekt eingezahlt und damit den Druck eines Magazins kompensiert. Mal ehrlich: Hatte unser Kauf wirklich einen Impact aufs Klima? 
Definitiv, daran besteht kein Zweifel. Ich habe das Glück, selbst immer wieder solche Projekte besuchen zu können, und weiß dadurch, wie wichtig die Arbeit für das Klima und die Menschen vor Ort ist.

Das Logo "klimaneutral", das wir damals in das entsprechende Magazin gedruckt haben, hat allerdings inzwischen keinen guten Ruf mehr … 
Das Label hat dazu beigetragen, dass Klimaschutz eine Sichtbarkeit bekommt und sich Unternehmen wie Endkunden damit auseinandersetzen. Das bleibt unser Ziel – auch wenn wir demnächst auch ein neues Label vorstellen, das sich von dem Claim löst und stattdessen auf Transparenz zum Prozess mit höheren Anforderungen setzt.

Ein Produkt wie Ihr Magazin erhält dieses Label nur, wenn Sie bereits Reduktionsmaßnahmen umgesetzt haben und sich Ihr Unternehmen gleichzeitig dazu verpflichtet, unternehmensbezogene Reduktionsziele zu definieren.

Reagieren Sie damit auf den im Januar veröffentlichten Bericht von "Zeit" und "Guardian", demzufolge ein Großteil der Zertifikate für Waldschutzprojekte gar keinen Wert hat? 
Wir entwickeln uns permanent weiter – in diesem Fall haben wir tatsächlich schon 2020 begonnen, eine neue Lösung zu kreieren, inklusive der Software und rechtlichen Eintragung einer Gewährleistungsmarke. Im Laufe des Prozesses haben wir uns auch entschieden, den Begriff „klimaneutral“ zu streichen. Der stand für uns selbst nie im Vordergrund.

Wir wollen Unternehmen auf die Reise zu mehr Klimaschutz mitnehmen. Unsere ersten Angebote waren einst für Druckereien: Die Grundidee lag in der Beratung, wie sie beispielsweise durch die Verwendung von regional hergestelltem Papier oder verbesserte Prozesse Emissionen reduzieren. Das Label „klimaneutral“ war dabei eigentlich nur das I-Tüpfelchen, das wir vergeben haben, wenn sie zusätzlich Emissionen kompensiert haben.

Warum wollen Sie dieses I-Tüpfelchen dann jetzt nicht mehr verwenden? 
Weil das Label nicht mehr zukunftsfähig ist. Das hat viel damit zu tun, dass sich der Markt verändert hat. Plötzlich wollte jeder ein Label mit dem Begriff „klimaneutral“ haben. Es ist etwas zum Trend geworden.

Das heißt, auch Sie haben den Fokus aus den Augen verloren?
Unsere Strategie war immer, dort anzusetzen, wo wir für den Klimaschutz am meisten Einfluss erreichen können. Das war bisher beispielsweise im Produktmanagement. Heute ist das anders: Viele haben Klimaschutz jetzt in ihrer Unternehmensstrategie verankert. Darum können wir jetzt dort ansetzen. Das neue Label wird viel mehr von Unternehmen fordern – aber die sind inzwischen so weit, dass wir das auch von ihnen verlangen können.

Was genau werden Sie dann also fordern, damit jemand ein Climatepartner-Label bekommt? 
Im Grunde fordern wir das, was wir schon immer getan haben. Aber wir machen es jetzt zur verpflichtenden Voraussetzung. Dabei geht es um unsere fünf Schritte, die an das Label geknüpft sind: den Fußabdruck berechnen, sich Reduktionsziele setzen, Reduktionen umsetzen, verbleibende Emissionen kompensieren und dann in die Kommunikation gehen. Allerdings muss ich zugeben, dass die Punkte „Reduktionsziele setzen“ und „Reduktionen umsetzen“ zwar von uns empfohlen wurden, aber keine verpflichtenden Bestandteile waren.

Und das wollen Sie jetzt ändern? 
Kern dieses neuen Labels ist, dass es Unternehmen nur erhalten, wenn alle fünf Schritte eingehalten werden. Es müssen bereits Reduktionen erreicht worden sein und Reduktionsziele gesetzt werden. Das heißt, wer dieses Label nutzen möchte, verpflichtet sich dazu, den Transformationsprozess im Unternehmen zu starten.

Damit wird sich die Art und Weise der Kommunikation stark verändern müssen: weg von einem symbolhaften Logo, hin zu – ja zu was eigentlich? Wie soll das sichtbar werden?
Wie es genau aussieht, werden wir Anfang April verraten. So viel vorab: Das neue Label wird nicht mehr Claim-basiert funktionieren. Stattdessen geht es darum, Transparenz und Glaubwürdigkeit zu stärken. Deshalb enthält das Label einen Link beziehungsweise QR-Code zu einer Climate-ID-Website, auf der sich eine Fülle von Informationen befinden. Zu jedem Unternehmen und jedem Produkt sind hier Daten abzurufen, die auf unseren fünf Schritten basieren. Das kann auch den Endverbrauchern eine Hilfe bei der Kaufentscheidung sein.

Noch einmal zurück zum erwähnten Artikel: Welche Rolle hat der in diesem Zusammenhang gespielt? Spüren Sie seither eine größere Verunsicherung Ihrer Kunden? 
Natürlich sind einige Kunden nach der Berichterstattung mit Fragen auf uns zugekommen. Umso mehr schätzen sie aber auch den klaren Prozess, den sie mit uns durchlaufen. Sie verstehen, dass er, auch wenn das alles etwas aufwendig ist, eine deutliche Wirkung hat.

Und was hat die Berichterstattung bei Climatepartner ausgelöst? 
Wir haben die Kritik sehr ernst genommen, den Zertifizierer Verra sofort aufgefordert, alle Unklarheiten aufzuklären und selbst sämtliche Daten und Studien zusammengetragen, um ein besseres Bild zu bekommen. Allerdings, und das darf man auch nicht unterschlagen, war und ist die mediale Berichterstattung teils stark voreingenommen, tendenziös und auch polemisch. Ein Skandal ist eben oft interessanter als die Wahrheit.

Und die Wahrheit ist: Es gibt auf diesem Gebiet nicht die eine Wahrheit. Allein die drei Studien, die in dem Artikel zitiert werden, kommen zu ganz unterschiedlichen – und teils sogar positiven – Ergebnissen, von denen dann aber in der weiteren Ausführung nicht mehr die Rede ist. Es ist schade, wenn durch eine verkürzte, auf Sensation gepolte Aufbereitung viel kaputt gemacht wird.

Wie können oder wollen Sie nun dagegen arbeiten, dass Klimaschutzmaßnahmen in Zweifel gezogen werden? 
Für uns ist es wichtig, dem mit Tiefgang zu begegnen und so vor allem die Zweifel bei den Kunden auszuräumen. Es darf auf keinen Fall passieren, dass die Angst bei Unternehmen so groß wird, dass sie gar nicht mehr in Klimaschutz investieren. Sehr hilfreich ist hier die fortschreitende Entwicklung der Technik.

Durch Geodaten, Drohnen und Ähnliches werden Standards permanent weiterentwickelt und sind heute deutlich besser als noch vor wenigen Jahren. In drei Jahren werden sie sicherlich noch weiter sein. Das unterstreicht einmal mehr: Wir dürfen uns nichts madig reden lassen, was im Kern gut ist, sondern gemeinsam alles in Bewegung setzen, um hier noch besser zu werden. 

Dieser Text erschien zuerst auf www.horizont.net.