Mönchengladbach und Wuppertal stehen für den Versuch, lokale Händler onlinefähig zu machen. Die beiden zuständigen Wirtschaftsförderer erzählen auf Etailment von ihrem täglichen Kampf - und warum sich die "Mitleidstour" nicht rechnet. Dabei sind sich Rolf Volmerig, Vorstander Wirtschaftsförderung Wuppertal, und der Mönchengladbacher Wirtschaftsförderer Ulrich Schückhaus nicht immer einer Meinung.
Drei Jahre Online-City Wuppertal, zwei Jahre Mönchengladbach bei eBay. Sind Sie zufrieden?

Weil mit 58 Händlern heute sogar fünf weniger dabei sind als zu Beginn des Projekts?
Volmerig: Wir waren anfangs ein Modellprojekt mit Fördergeldern. Nach zwei Jahren lief diese Förderung aus. Die Fortführung des Projektes war an die Bedingung geknüpft, dass die Händler einen Beitrag leisten. Damit sollte verhindert werden, dass durch einen Zuschussbetrieb eine künstliche Marktfähigkeit hergestellt wird. Die Beiträge liegen jetzt bei mindestens 300 Euro, größere Händler zahlen bis zu 1.200 Euro im Jahr. Daraufhin sind einige abgesprungen, andere konnten jedoch hinzugewonnen werden.
Haben Sie denn jetzt mehr Leben in der Innenstadt?
Volmerig: Wir verfolgen zwei Strategien. Zum einen sollen die Händler durch den zusätzlichen Onlinekanal mehr Umsatz erzielen. Dieses Konzept ging auf, denn von den teilnehmenden Unternehmen haben fast alle sowohl online als auch stationär mehr Umsatz gemacht. Somit kommen mehr Menschen in die City. Zum anderen haben auch kleine Händler mit Schulungen und intensiver Begleitung eine Digitalisierung ihrer Geschäftsabläufe vorgenommen. Etwa durch die Einführung von Warenwirtschaftssystemen.
"Man wundert sich, wie traditionell gerade die alteingesessenen Händler arbeiten"
Das gab es vorher nicht?
Volmerig: Nein. Bei vielen Geschäften mit fünf bis zehn Beschäftigten wird immer noch traditionell gearbeitet. Diese Geschäftsabläufe zu digitalisieren ist ein nicht zu unterschätzender Sekundäreffekt.
In Mönchengladbach sind es heute nur noch 35 von anfangs 70 Händlern...

35 Händler ist frustrierend.
Schückhaus: Keinesfalls. Wir haben mit dem Projekt fast keine Arbeit mehr. Die Plattform läuft, wir haben rund 350.000 Produkte online, und es sind die Händler dabei, die über Ebay ordentliche Umsätze erzielen, bis heute insgesamt knapp 7 Millionen Euro. Die Händler, die wenig Produkte eingestellt hatten und damit auch wenig Umsatz generierten, sind raus. Wer jetzt hinzukommen will, dem schalten wir die Schnittstelle zu Ebay frei, er muss die Produkte in den Shop einstellen und ist für ein Jahr kostenfrei dabei, um alles auszuprobieren. Er muss lediglich Umsatzprovision an Ebay zahlen. Danach kostet die Teilnahme 300 Euro Gebühr jährlich.
Wieso haben so wenige Händler ein Warenwirtschaftssystem?
Volmerig: Man wundert sich, wie traditionell gerade die alteingesessenen Händler arbeiten.
Schückhaus: Das Defizit beim Einsatz von Warenwirtschaftssystemen kannten wir schon, wollten aber gegensteuern. Über den Einstieg ins Onlinegeschäft sollte eben auch die eigene Warenwirtschaft modernisiert werden. Das haben einige Händler genutzt, einige nicht.
"Bei den Mitleidstouren kommen mir bald die Tränen. Niemand wird darüber sein Einkaufsverhalten konsequent ändern. Entweder hat ein Händler ein attraktives Angebot – oder er ist nicht marktfähig."
Aus welchen Gründen?
Schückhaus: Da wurde zum Teil abenteuerlich argumentiert, etwa mit Kosten. Für die Händler waren die 8 Prozent Ebay-Gebühr angeblich zu viel. Aber ein Unternehmer muss ja immer den jeweiligen Absatzkanal betrachten. Beim Laden müssen in den Verkaufspreis alle entsprechenden Ausgaben eingerechnet werden, wie Miete, Personal, Betriebskosten. Wenn das Produkt online verkauft wird, ist dieses nicht Bestandteil des Ladens, sondern wird direkt aus dem Lager verschickt. Hier entstehen andere, aber keine zusätzlichen Kosten, etwa für Versand und Retouren.
Volmerig: Der angebliche Verwaltungsaufwand des Onlinehandels stößt auf Skepsis. Das Ziel der Projekte von Wuppertal und Mönchengladbach ist ja, die Händler bei der Einführung von Online-Vertriebskanälen von der Organisationsarbeit zu entlasten. Zentrale Dienstleister übernehmen alle relevanten Schritte von der Rechnungstellung bis zum Forderungsmanagement. Der Händler muss dafür lediglich 8 Prozent Umsatzprovision zahlen.
Kritiker sagen, dass auf lokalen Onlinemarktplätzen nur Idealisten einkaufen.
Volmerig: Wenn wir es nicht schaffen, ein kommerzielles Produkt anzubieten, dann werden wir so eine Plattform nicht etablieren können. Wir dürfen die Verbraucher nicht mit einer Mitleidstour ködern, nach dem Motto „Bitte kauft lokal“.
Schückhaus: Bei den Mitleidstouren kommen mir bald die Tränen. Niemand wird darüber sein Einkaufsverhalten konsequent ändern. Entweder hat ein Händler ein attraktives Angebot – oder er ist nicht marktfähig.
Der Pop-up-Store in einem Wuppertaler Center war wohl auch nicht marktfähig?
Volmerig: Die Wirtschaftsförderung hatte den Laden gemietet, Personal bezahlt und einen Abholschalter eingerichtet. Das war zu teuer. Denn wir haben nur 8 Prozent vom Händlerumsatz bekommen.
Ein Merkmal von Wuppertal ist die taggleiche Auslieferung. Hat sich dieser Service bewährt?
Volmerig: Dieser Service ist ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen großen Anbietern. Er ist jedoch für die Konsumenten nicht verkaufsentscheidend. Wichtiger sind mehrere, zeitlich definierte Auslieferungszeiträume im Tagesablauf. Diese wurden inzwischen eingeführt.
Schückhaus: Bei uns war der Zeitpunkt der Lieferung nie so wichtig. Es kam vielmehr darauf an, dass überhaupt online verkauft wird. Wenn man uns kritisieren will, dann allenfalls deswegen, weil wir es nicht geschafft haben, die Leute in die Mönchengladbacher Innenstadt zu locken. Denn die meisten haben sich die Ware schon liefern lassen. Unser Modell hat nicht in erster Linie darauf abgezielt, die Frequenz in der Innenstadt zu steigern. Aber es sorgt für mehr Umsatz bei den Händlern und stabilisiert so deren Existenz. Das war das Ziel.
Schückhaus: Solche Messungen haben wir nicht. Sie hätten auch nicht viel gebracht, weil fast zeitgleich zum Start unseres Projektes das Center „Minto“ eröffnet wurde. Das hat die Lauflagen in der Stadt verschoben.
Volmerig: Bei Ebay sind unsere Händler jetzt auch mit eigenen Shops aktiv, weil sie digitales Verkaufen gelernt haben. Wir arbeiten daran, die digitale Informationskette zu komplettieren. Dafür laufen Verhandlungen mit Großhändlern und Herstellern, damit diese ihre Produktinformationen so bereitstellen, dass sie ohne Medienbruch in die Online-Vertriebssysteme eingelesen werden können.
Wie erlangt ein Händler diese Informationen?
Volmerig: Sie werden bei Atalanda (Anm. d. Red.: der technische Dienstleister der OCW), aufbereitet und Schnittstellen zu den individuellen Warenwirtschaftssystemen der Einzelhändler geschaffen. Dadurch können diese Daten in den Shop der OCW eingelesen werden. Nur mit so einem System ist der Aufwand, um professionelle Onlineshops zu betreiben, darstellbar. Die Zeiten der kleinen, von Händlern betriebenen Shops sind vorbei. Sie werden durch lokale Marktplätze zu ersetzen sein.
Wie geht es jetzt weiter?
Volmerig: Wir wollen insgesamt 120 Händler gewinnen, die über alle Sortimentsbereiche 1,2 Millionen Produkte online anbieten. Bisher liegen wir bei über 860000 Artikeln, von denen allerdings die Bücher dominieren. Wir akquirieren daher weitere große Händler mit anderen Produkten. Ziel ist, etwa 10 Prozent des Warenangebotes der Stadt abzubilden.
Auf welchem Weg gewinnen sie neue Mitglieder?
Volmerig: Durch eine weitere Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen in Höhe von 200000 Euro und 200000 Euro Eigeninvest der Händler und der lokalen Projektpartner haben wir die Möglichkeit das Projekt weiter auszubauen. Dieses Geld geben wir vor allem für die Händlerakquisition aus, Investition in Werbung und die Programmierung von Schnittstellen, um weitere Warenwirtschaftssysteme der Händler anbinden zu können. Insbesondere durch die Werbung soll der Bekanntheitsgrad bei den Kunden weiter gesteigert werden.
Schückhaus: Es ist sehr schwierig, Filialisten zu akquirieren.
Immerhin ist Saturn in Mönchengladbach dabei. Doch warum sollten große Händler auch auf Ihre Plattform, wo sie ja 8 Prozent an Ebay abgeben müssen?
Schückhaus: Die höhere Kostenbelastung sehe ich auch. Wenn ich aber als Händler auf allen Kanälen erreichbar sein will, dann ist es nicht ungewöhnlich, doppelt und dreifach im Netz vertreten zu sein, solange am Ende mehr Umsatz zu mehr Gewinn führt.Hat Mönchengladbach auch eine Anzahl von Händlern als Ziel?
Schückhaus: Nein, wir sind nicht krampfhaft auf der Suche nach neuen Mitgliedern, bieten aber allen Händlern weiterhin unseren Service an. Das Projekt läuft nach Ende der Pilotphase jetzt fast autonom. Wir beschäftigen uns in der Wirtschaftsförderung jetzt mit anderen Handelsthemen, wie etwa City-Logistik, Beacons oder der Digitalisierung im Ladenlokal.
Weil die Plattform letztlich weniger gebracht hat als gedacht?
Schückhaus: Die Plattform ist aus unserer Sicht ein riesiger Erfolg für die Händler, die den Kanal MG-bei-Ebay aktiv genutzt haben. Im Schnitt haben sie 90000 Euro zusätzlichen Umsatz im Jahr erzielen können; in der Spitze liegt der Umsatzanteil über diesen Absatzweg mittlerweile bei knapp 30 Prozent. Insofern ist die Zufriedenheit bei diesen Teilnehmern sehr hoch. Aber diese brauchen unsere Unterstützung in diesem Projekt jetzt nicht mehr.