Freund, Feind oder notwendiges Übel? Die Debatte über das Für und Wider der Marktplätze ist voller Graubereiche und ist auch eine Frage des eigenen Standpunkts. Plattformbetreiber locken die Kleinen, kassieren die Mittleren ab und hätscheln die ganz Großen. Die Gewinner sind immer die Marktplätze. Die Händler manchmal. Besser sie gewöhnen sich daran.
Wie sich Händler auf Amazon manchmal fühlen - Symbolbild
Wie sich Händler auf Amazon manchmal fühlen - Symbolbild


Man kommt an Ebay und Amazon nicht vorbei, weil sie die erste Anlaufstelle für Verbraucher sind. Die Marktplätze wiederum profitieren von der Masse der Anbieter. Jedes dritte bestellte Produkt - mindestens - wird mittlerweile von Verkäufern über den Marktplatz vom Amazon verkauft. 2013 lag der Anteil an Produkten (nicht am Umsatz), die durch Drittanbieter über den Amazon-Marketplace verkauft wurden, nach Angaben des Konzerns weltweit bei rund 40 Prozent.

An Nachschub herrscht kein Mangel. Auch weil der nächste kleine Händler träumt, eine gute Produkt-Idee, eine "geheime" Quelle und ein bisschen Groß- und Einzelhandelskenntnisse würden schon reichen, um mit ein bisschen Longtail-Esoterik das große Geschäft zu machen.

Die Mittleren, die schon seriös kalkulieren und sich im mittleren bis oberen Preissegment tummeln, die sind wenig attraktiv für Verbraucher und stehen zudem teilweise in direktem Wettbewerb zum Marktplatzbetreiber selbst (Amazon). Je nachdem in welchen Warenkategorien für Amazon nun der "Selbsteintritt" lukrativer ist als die Einnahmen durch etwaige Verkaufsprovisionen, wird deren Höhe auch entsprechend selektiv angepasst.

Leistungsziele und Gebührenordnungen sind auch Marktbereinigung

Anders gesagt: Die Leistungsziele und Gebührenordnungen der Marktplätze oder auch der jüngste Vorstoß von Amazon, der Marktplatzpartner dazu verpflichtet, Weihnachtsbestellungen, die nach dem 1. November eingehen, bis zum 31. Januar 2015 zurückzunehmen, ist immer auch ein Stück weit Marktbereinigung. Der Rest mosert in Händlerforen, steckt aber in der Falle, weil er nicht mehr auf die Umsätze verzichten kann oder will.

Wer nicht durchhält, der wird von eigenen Sortimenten oder von Nachrückern ersetzt, die diese Lücke füllen. Aber auch die müssen sich zur Decke strecken, müssen Stornoraten, Lieferservice und andere Prozesse beherrschen.

Und natürlich halten immer weniger durch. Konsolidierung auch hier. Eine EHI-Studie zeigt beispielsweise für den österreichischen Markt auf, dass die Zahl der österreichischen Onlinehändler, die ihre Produkte (auch) über Amazon verkaufen, von 36,4 % auf 23,6 % zurückgegangen ist. Eine der Ursachen: Höhere Verkaufsgebühren, die die Marge fressen. Kein Grund zur Panik für Amazon. Jeff Bezos ist zufrieden, wenn die besten und größten Händler bleiben.

Die Statistik zeigt den Anteil der Onlinehändler an den Top-100-Onlineshops in Deutschland, die den Amazon-Marktplatz verwenden (in Prozent). Die Ergebnisse basieren auf einer Sonderauswertung der verwendeten Vertriebskanäle der Top-100-Onlineshops aus der im Rahmen der EHI-/Statista-Studie 'E-Commerce-Markt Deutschland 2013' durchgeführten Studie. (Grafik: EHI)
Die Statistik zeigt den Anteil der Onlinehändler an den Top-100-Onlineshops in Deutschland, die den Amazon-Marktplatz verwenden (in Prozent). Die Ergebnisse basieren auf einer Sonderauswertung der verwendeten Vertriebskanäle der Top-100-Onlineshops aus der im Rahmen der EHI-/Statista-Studie 'E-Commerce-Markt Deutschland 2013' durchgeführten Studie. (Grafik: EHI)


Und die Großen? Sind natürlich Image-Faktoren, Aushängeschilder, Publikumsmagneten und Fixpunkte in den teils unübersichtlichen Marktplatzstrukturen. An den Präsenzen großer Marke ist jeder Marktplatz interessiert. Allein schon der Sortimentsvielfalt wegen. Wenn sie dann nicht zu den hofierten Top-Marken gehören, dann müssen sie damit leben, dass beispielsweise Amazon in Sachen Werbekostenzuschüsse so findig ist, wie man das weiland nur von den verhandlungsmächtigen Einzelhandelsketten (Karstadt fordert gerade rückwirkend einen "Funktionsrabatt bei Festkauf") gewohnt war.  Wer nicht spurt, bekommt das womöglich zu spüren.

Das kann Folgen haben: Ein aktuelles Beispiel schildert Kassenzone"Bei einigen Metabo Produkten finden sich zum Beispiel Banner mit der Aufschrift „Ähnliche Produkte mit besseren Kundenbewertungen“ (von anderen Herstellern). Dieser Banner führt beim Beispiel der Metabo Kappsäge zu den Konkurrenten Makita und Bosch, deren Produkte sowohl preislich anders aufgestellt sind und in der Bewertungsqualität (Bewertungsanzahl * Bewertungshöhe) sogar schlechter sind als das Metabo Produkt. Mit Kundenorientierung hat das wenig zu tun."

Amazon: Verhandlungen mit Herstellern über die Entwicklung eigener Produktlinien?

Die Tatsache, dass Amazon selbst zudem innerhalb kürzester Zeit jeden Innovationsvorsprung und jedes potenzielle Wachstumssegement, das Händler auf ihrer Plattform für sich auftun, einfach "abgreifen" kann, ist da aber noch nicht  berücksichtigt. Ebenso wenig wie eine Margenoptimierung durch Vertikalisierung.
Es gilt als offenes Geheimnis, dass  Amazon mit den großen Herstellern über die Entwicklung eigene Produktlinien auch jenseits elektronischer Kleinteile verhandelt. Wer - beispielsweise im Textilsegment - freie Produktionskapazitäten hat, der wird das Angebot, Private Labels zu produzieren, dankend annehmen.

Derweil bleibt die Mär vom Neukunden vielfach Prinzip Hoffnung. Marktplätze dienen in der Regel nicht der Gewinnung von Neukunden für das Stammgeschäft. Marktplätze bleiben ein Vertriebskanal. Zu bedenken ist nämlich auch, dass Händler zwar ihre Sichtbarkeit steigern können, aber auch einkalkulieren müssen, dass sie bei Preis-Suchmaschinen oder Google mit einem im Marktplatz gelisteten Produkt höher ranken als im eigenen Webshop. Hier könnte zumindest die Click & Collect-Offensive von eBay den Multichannel-Aspiranten neue ROPO-Kunden zuführen.

Dass sich trotz negativen Aspekte und Schlagzeilen über die  “Emanzipation von den Marktplätzen” und kernigen Metaphern wie der “Befreiung vom Amazon-Würgegriff” und der Klage über die "Macht der Marktplätze" sich dennoch noch genügend Anbieter gerne "ausbeuten" lassen, sagt eine Menge über Reichweite, Verbrauchervertrauen und Bekanntheit der großen Plattformen.

Gefrusteten Händlern sei deshalb ein Blick über den klassischen Wochenmarkt vor ihrem Rathaus empfohlen. Dort klagen die Markthändler seit jeher über Stellplätze, Gebühren und Gängelei. Der Ausweg: Gute Kalkulation und gute Produkte. Denn an die Machtverteilung zugunsten der Marktplätze müssen sich Händler und Hersteller gewöhnen. Wie im klassischen Einzelhandel.

Dort hat die gefährlichen Abhängigkeit etlicher Hersteller und die Konzentration der Handelsunternehmen längst zum einem Wildwuchs an Konditionen geführt. "Es ist vielfach eine Hass-Liebe" umschrieb die Lebensmittel-Zeitung einmal das Verhältnis zu den Retailern. Diese Zustandsbeschreibung könnte auch für Amazon und Co gelten.


Mitarbeit: Karsten Werner

photo credit: GViciano via photopin cc