Metro-IT-Chef Timo Salzsieder über moderne Unternehmenskultur, die schwierige Talentsuche im Einzelhandel - und dass man dafür auch mutige Schritte gehen muss.
Ich habe mit den Schlagworten Digitalisierung und Digitale Transformation ein kleines Verständnisproblem. Es geht am Ende nur darum, digitale Technologien in die Alltagsprozesse einfließen zu lassen und Synergien zu heben. Da sind wir mit der Metro weltweit generell gut unterwegs. Aber wir bewegen uns in einem sehr komplexen Umfeld, gerade im Bereich Food stehen alle vor Herausforderungen.
Was macht den Verkauf von Lebensmitteln so kompliziert?
Die Logistik ist komplex. Wir arbeiten beispielsweise mit verschiedenen Temperaturzonen bei der Belieferung. Außerdem handelt es sich bei uns um Geschäftskunden, also B2B-Kunden., Das erhöht die Komplexität zusätzlich, da wir natürlich ganz andere Mengen logistisch handhaben. Dazu kommt unsere Internationalität: Dadurch, dass wir 25 Länder mit zum Teil unterschiedlichen Anforderungen bedienen,
Wie finden Sie die dazu notwendigen Mitarbeiter?
Wir haben schon sehr viele gute Leute an Bord. Aber das Thema Employer Branding ist in der Tat für uns ein wesentliches, sowohl deutschlandweit als auch international betrachtet, ist der Kampf um Talente voll entfacht. Da sind nicht nur wir im Ring, sondern viele andere Arbeitgeber auch.
Wie kann man da als Handelsunternehmen punkten?
Zum einen mit der Komplexität der Aufgaben und Herausforderungen, zum anderen mit der Unternehmenskultur. Bei beidem sind wir auf einem sehr guten Weg. Wir haben sehr viel zu bieten. Die Aufgaben sind spannend und oftmals international ausgerichtet. Der Kulturwandel ist im vollen Gang, wir kommunizieren sehr offen und transparent.
Die Metro war früher schon immer technisch vorne, hatte beispielsweise früh schon zwei Future Stores. Woran liegt es, dass der Handel trotzdem nicht sexy zu sein scheint?
Ich denke, dass sich die Branche insgesamt schlecht verkauft. Wir werden ein bisschen als „Low-Tech“ wahrgenommen. Beim ersten Kontakt dachte ich persönlich auch erst mal bei Metro an einen verstaubten Großkonzern. Doch die Realität ist eine ganz andere. Wir setzen technologisch führende Themen um, beispielsweise Big Data, Personalisierung, Apps und Augmented Reality.
Wir sind ein Hightech-Unternehmen. Aber wie die gesamte Branche stellen wir unsere technische Kompetenz nach außen zu wenig dar.
Wie kann die Branche das ändern?
Durch besseren Austausch! Wir haben auf der technischen Ebene unter den Handelskonzernen viel zu wenig Interaktion. Ich schiebe das derzeit an, um beispielsweise mit Firmen wie Edeka ins Gespräch zu kommen. In anderen Branchen ist ein Austausch üblich und ganz normal, im Handel leider noch nicht.
In wie weit ist da der Unterschied zwischen B2B und B2C relevant?
Die Grundprozesse sind relativ ähnlich. Wir kaufen ein, müssen die Ware lagern, in die Läden bringen und wieder verkaufen. Bei B2B ist die Komplexität ein bisschen höher, was Artikelgrößen und Gebinde angeht. Und wir haben andere Prozesse bei der Kundenakquise und Kundenbindung. Aber die Grundproblematik aus IT-Sicht und den Prozessen ist relativ vergleichbar.
Was macht die Metro bei der Unternehmenskultur unter Ihrer Führung anders?
Das erste, was wir eingeführt haben, ist ein sogenanntes Employee Engagement Tool. Wir ermitteln in einem 2-wöchigen Zyklus unter unseren Mitarbeitern, wie es ihnen geht. Dabei fragen wir in dem rein elektronischen Portal mit 65 verschiedenen Fragen 14 Kennzahlen ab und sehen sehr genau, wohin wir uns als Unternehmen bewegen. Feedback-Kultur ist ein wesentlicher Bestandteil zur Mitarbeiterzufriedenheit. Das Besondere an diesem Tool ist, dass das Feedback anonymisiert gegeben wird – und die Mitarbeiter auch anonym mit den Führungskräften chatten können. Der Dialog kann also erstmal in einer Art „geschütztem Raum“ starten – aber das Ziel ist natürlich, dass das Gespräch dann persönlich weiter geführt wird.
Mit welchem Ergebnis?
Ein Feedback, das über das Tool geäußert wurde, war die Frage nach dem Gehalt – ob unsere Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Unternehmen und auch intern fair verdienen. Das traut ein Mitarbeiter sich vielleicht nicht unbedingt in einem Townhall Meeting mit 200 Kollegen zu fragen. Wir haben das Thema aufgenommen und eine Gehaltsstudie mit internen und externen Benchmarks durchgeführt. Die Ergebnisse konnten wir dann transparent unseren Mitarbeitern kommunizieren.
Darüber hinaus haben wir sogenannte Team Tenets eingeführt. Das sind Workshops in denen die Teams über Zusammenarbeit und die grundsätzlichen Prinzipien eines Teams sprechen. Wir bewegen uns da sehr stark in Richtung agile Prinzipien, also selbstorganisierende Teams, und verlassen uns auf die Qualität unserer Mitarbeiter.
Wobei zum Beispiel?
Bei der Einführung eines neuen Strategieprozesses haben wir bewusst keine Unternehmensberatung beauftragt, die nach ein paar Wochen wenig erhellende Power-Point-Präsentationen zum Ergebnis haben. Vielmehr haben wir unsere Mannschaft aufgefordert, eine IT-Strategie zu entwickeln. Das war ein „Top-Down-Bottom-Up-Prozess“. Heißt, wir haben 16 Themen vorgegeben, die aus unserer Sicht zu einer IT-Strategie gehören. Die Mitarbeiter konnten sich ein Themaaussuchen, bei dem sie freiwillig mitarbeiten wollten. Das ging so weit, dass die Mitarbeiter eigene Themen vorgeschlagen haben, so dass wir am Schluss sogar 19 Themen und 160 Freiwillige hatten, die ihre Ergebnisse am Ende sehr unterhaltsam präsentiert haben.
Wie nehmen Sie Ihre Mitarbeiter noch bei sperrigen Themen mit?
Sehr viel über Kommunikation. Wir machen alle 6 bis 8 Wochen sogenannte Townhall-Meetings, bei denen weltweit zugeschaltet bis zu 2.000 Mitarbeiter per Videokonferenz teilnehmen. Da besprechen wir die strategische Ausrichtung, aber auch operative Dinge wie den neuen Gehaltsprozess, neue Karrieremodelle oder den Umbau des Büros.

Das klappt sehr gut. Innerhalb der agilen Prozesse gehen wir mit den selbstorganisierten Teams in die Kommunikation und fragen, was sie sich wünschen. Natürlich bis zu einem gewissen Grad und einem gewissen Budget. Wenn man basisdemokratisch bestimmt, wie die Räume aussehen, diskutiert man jahrelang darüber. Aber wir binden die Mitarbeiter schon stark ein und geben ihnen viele Freiheiten. Auch hier arbeiten wir wieder mit Umfragetools und nutzen die Macht der Daten.
Im Frühjahr sorgte in der Berliner Start-up-Szene eine Guerilla-Kampagne für Aufsehen, in der Sie Mitarbeiter aus dem Tech-Bereich unter dem Hashtag #TakeTheExit dazu aufgefordert haben, sich keine schlechten Arbeitsbedingungen gefallen zu lassen und zur METRO zu wechseln. War die Aktion ein Erfolg?
Ja. Der Kampf um Talente ist voll entfacht, da muss man auch mal ungewöhnliche Wege gehen und sich vom Wettbewerb abheben. Das war für uns schon ein mutiger Schritt, Guerilla-Aktionen bergen intern wie extern auch gewisse Risiken und wir haben an der ein oder anderen Stelle Gegenwind zu spüren bekommen.
Aber wir und unsere neue Arbeitgebermarke METRO-NOM, also die Neuausrichtung der früheren Metro Systems, sind nun im Markt bekannt. Wir erhalten immer noch Bewerbungen durch die Kampagne. Zusätzlich hilft uns auch unser neuer Standort in Berlinbei der Rekrutierung. Denn die Hauptstadt ist weltweit bekannt und viele Tech-Talente sind hier anzutreffen.
Wie muss ein modernes Management heute aussehen, um Talente zu begeistern und zu halten?
Traditionell sind Unternehmen stark hierarchisch aufgestellt. Der Manager weiß alles und gibt Befehle an seine Untergebenen. Davon sind wir weit entfernt. Wir sehen den Manager als Coach, der neben der fachlichen Kompetenz die Mitarbeiter weiterentwickeln muss und sich um die Strategie kümmert. Wir binden unsere Mitarbeiter stark ein und sie haben viel Spielraum. Aber beispielsweise bei Produktstrategien muss am Ende des Tages einer den Hut aufhaben – hier gibt es dann klare Verantwortlichkeiten.
"Wir sehen den Manager als Coach, der neben der fachlichen Kompetenz die Mitarbeiter weiterentwickeln muss und sich um die Strategie kümmert."

Kommen alle Mitarbeiter damit klar?
Durch METRONOM geht ein starker Ruck. Diese Transparenz, mit der ich kommuniziere, kommt sehr gut an und bewegt sich wie ein Virus durch die Organisation. Wir als Geschäftsführung stellen die Aufgaben der Führungskräfte klar heraus: Unsere Aufgabe ist, gute Mitarbeiter zu gewinnen und glückliche Mitarbeiter zu haben, um entsprechend gute Ergebnisse zu produzieren.
"Diese Transparenz, mit der ich kommuniziere, kommt sehr gut an und bewegt sich wie ein Virus durch die Organisation."
Sie veranstalten regelmäßig Entwicklungsveranstaltungen, sogenannte Hackathons. Was versprechen Sie sich davon?
Sie machen zuallererst Spaß. Man gibt den Mitarbeitern Freiraum an etwas zu arbeiten, worauf sie Lust haben und das nicht zwingend mit unserem Geschäft zu tun hat. Somit dienen sie auch der Mitarbeiterbindung. Darüber hinaus zahlen Formate wie Hackathons und Meet-ups auf die Marke METRO als Arbeitgeber ein. Sie erregen eine gewisse Aufmerksamkeit und ziehen junge Talente an. Wir wollen uns als agiles Unternehmen präsentieren, das sich stark mit Produktmanagement und Kundenerlebnis beschäftigt.
Welche Veranstaltungen gibt es inzwischen noch?
Wir laden in sogenannten Tech-Talks externe Redner, aber auch eigene Mitarbeiter ein, Vorträge zu halten. Das ist ein Austausch mit der Tech-Industrie, es geht um Prozesse, Kenntnisse und IT-Produkte. Wir sind auch mit Rednern auf Konferenzen präsent und pflegen einen intensiven Austausch mit unseren Partnern.

Mit Google vernetzen wir uns sehr stark, schicken Leute nach Kalifornien zu Google-Konferenzen und haben direkten Kontakt mit deren Entwicklungsabteilung. Wir nutzen inzwischen auch einen großen Teil der Google-Infrastruktur, in Form der Google Cloud, flächendeckend. Wir sind sowohl mit Industriepartnern als auch Dienstleistern im intensiven Austausch, um Innovation voranzutreiben, Methoden auszutauschen und gemeinsam Produkte zu entwickeln.
Was ist die Grundidee Ihrer Solution-Expo?
Wir bauen extrem viele gute Lösungen in der IT, kommunizieren diese aber viel zu wenig. Entsprechend ist vielen Mitarbeitern in der METRO gar nicht bekannt, was wir alles können. Wir haben deshalb verschiedene Formate aufgesetzt, um unsere Lösungen zu präsentieren. Die Solution-Expo ist ein Marktplatz, auf dem jeder Mitarbeiter eingeladen ist, sich unsere IT-Lösungen anzuschauen. Und wir kommen in Kontakt mit potenziellen internen Kunden, denen oft gar nicht bewusst ist, was wir alles unter der Haube haben.

Wir zeigen beispielsweise, wo wir überall schon mit der Blockchain arbeiten. Das ist ja sonst ein abstraktes Thema. Aber wir präsentieren auch handfeste Lösungen. Zum Beispiel bekommen die Kunden am Ende eines Einkaufs bei der Metro heute an der Kasse eine DIN-A-4-Rechnung ausgedruckt. Wir haben eine technische Lösung namens M|Invoice entwickelt, damit der Beleg direkt per METRO-App auf das Handy kommt. So kann der Kunde später beispielsweise ohne Aufwand in den elektronischen Rechnungen recherchieren und seinem Steuerberater die Belege zukommen lassen. Und es schont die Umwelt, da weniger Papier verbraucht wird.
Welches ist das derzeit wichtigste Innovationsthema?
Immer noch Daten. Wir sitzen auf einem Schatz von Daten. Aufgrund unseres Prozesses, dass man sich am Eingang mit der Metrokarte identifizieren muss, wissen wir viel über unsere Kunden und wollen dies nutzen. Zum Beispiel mit personalisierter Kommunikation und bedarfsgerechter Aussteuerung des Sortiments. In dem Umfeld können wir noch sehr viel machen.
Das Interview ist in der Ausgabe 11/2018 von "Der Handel" erschienen. Zum kostenlosen Probeexemplar geht es hier. Über die Metro:
Metro ist ein internationaler Spezialist für den Groß- und Lebensmittelhandel. Das Unternehmen ist in 35 Ländern aktiv und beschäftigt weltweit mehr als 150.000 Mitarbeiter.
Metro/Makro Cash & Carry
Rund 750 Selbstbedienungs-Großhandelsmärkte treten in 25 Ländern unter den Markennamen Metro und Makro auf. Zu den weltweit mehr als 21 Millionen gewerblichen Kunden zählen vor allem Hotels, Restaurants, Cateringunternehmen, unabhängige Einzelhändler sowie Dienstleister und Behörden. Insgesamt mehr als 100.000 Mitarbeiter.
Real
Rund 280 Märkte im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland. Die Hypermärkte zeichnen sich durch ein Angebot von rund 80.000 Artikeln aus. Außer im stationären Einzelhandel ist das Unternehmen auch im Onlinevertrieb aktiv. Mit der Integration des Marktplatzes Hitmeister unter Real.de hat Real das Onlinesortiment seit Februar 2017 stark erweitert. Mehr als 34.000 Mitarbeiter. Immobilienportfolio: 65 Standorte im Eigentum. Steht zum Verkauf.
Food Service Distribution
Zum Konzern gehören außerdem verschiedene Belieferungsspezialisten. Classic Fine Foods (CFF) beliefert Premiumkunden wie Fünf-Sterne-Hotels und Restaurants in Asien und im Mittleren Osten. CFF gehört seit August 2015 zur Metro. Rungis Express ist ein deutscher Premium-Lebensmittellieferant, der an Kunden aus den Branchen Hotel, Restaurant und Catering (HoReCa) liefert und seit April 2016 zur Metro gehört. PRO à PRO beliefert in Frankreich verschiedene Kundengruppen einschließlich HoReCa mit Lebensmitteln. Seit Februar 2017 bei der Metro.
HOSPITALITY.digital
HOSPITALITY.digital wurde 2015 gegründet und hilft Gastronomie, Hotellerie und Handel bei der Digitalisierung. Zum Einsatz kommen sowohl eigene Lösungen als auch Innovationen von Start-ups, die beispielsweise im Rahmen des Metro Accelerators gefördert werden.
Servicegesellschaften
Die Servicegesellschaften Metro Properties (Immobilien), Metro Logistics, Metro Advertising (Werbung) und Metro-Nom (Informationstechnologie) übernehmen konzernweit übergreifende Dienstleistungen.
