Die Handelsbranche wirbt um junge Mitarbeiter. Neue Berufsbilder und die Kombination aus Lehre und Studium sollen helfen, mehr junge Leute für die Branche zu begeistern.

Die gute Nachricht vorab: Die Zahl der Ausbildungsstellen ist auch während der Pandemie im Einzelhandel gestiegen. Von den aktuell 325 dualen Ausbildungsberufen sind mehr als 60 im Bereich Einzelhandel angesiedelt.

Ganz hoch im Kurs stehen bei jungen Menschen weiterhin die Klassiker Verkäufer, Kaufmann oder Fachwirt im Einzelhandel. Rund eine halbe Million Ausbildungsstellen sind bei der Bundesagentur für Arbeit registriert, davon bietet der Einzelhandel allein mit seinen Klassikern fast 70.000 pro Jahr.
Die Handelsbranche bietet allein in den klassischen Ausbildungsberufen Verkäufer, Kaufmann oder Fachwirt im Einzelhandel knapp 70.000 Ausbildungsplätze pro Jahr.
© IMAGO / Becker&Bredel
Die Handelsbranche bietet allein in den klassischen Ausbildungsberufen Verkäufer, Kaufmann oder Fachwirt im Einzelhandel knapp 70.000 Ausbildungsplätze pro Jahr.
Neben Kaufleuten bildet die Branche auch zum E-Commerce-Kaufmann, Berufskraftfahrer, zur Fachkraft für Lagerlogistik, zum Buchhändler und in vielen IT-Berufen aus. "Der Einzelhandel ist ein bedeutender Ausbilder und damit Chancengeber für junge Menschen", erklärt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. "Karriere mit Lehre ist im Einzelhandel die Regel, und die Aufstiegschancen sind weiterhin gut."

Optimismus verbreitet auch HDE-Ausbildungsleiterin Katharina Weinert, obwohl der Totalausfall der beruflichen Orientierungsmaßnahmen während der Covid-19-Pandemie die Branche in der Nachwuchssuche ausgebremst hat. Es gab insgesamt weniger Absolventen und eine geringere Nachfrage.

"Auch Berufsberater konnten gar nicht oder nur eingeschränkt arbeiten, weil beispielsweise die Schulen keine Externen mehr reinlassen durften, Messen sind ausgefallen und es war sehr schwer, an die Jugendlichen ranzukommen", berichtet sie und fordert, auch die digitale Berufsorientierung deutlich auszubauen.

Eltern, Lehrer und Unternehmen in der Pflicht

Die Berufswahl wird auf mehreren Bühnen entschieden, allen voran im Elternhaus, in der Schule und durch das Image einer Branche oder eines Unternehmens in der Öffentlichkeit. "Viele Eltern reden zu Hause nicht über ihre Arbeit. Das ist für den Nachwuchs sehr schade, denn es könnte Kinder schon früh für die Arbeits- und Berufswelt sensibilisieren", erläutert Brigitte Scheuerle, bei der IHK Frankfurt Geschäftsführerin für den Bereich Aus- und Weiterbildung. 

Auch die Schulen könnten sehr viel mehr zur Berufswahl beitragen, indem sie zum Beispiel die Eltern ab der 4.Klasse ausführlich zur Durchlässigkeit der Schulsysteme und der dualen Ausbildung beraten und so die Haupt- und Realschulen stärken. 

Scheuerle fordert einen fächerübergreifenden Unterricht, in dem Berufsbilder vermittelt werden und die Schule die Berufswahl begleitet. Mindestens zwei Praktika und der Besuch von Ausbildungsmessen sollten während der Schulzeit Pflicht sein, Lehrer für Berufswahlthemen kontinuierlich weitergebildet und die Projektwochen vor den Ferien genutzt werden.

Azubis als Ausbildungsbotschafter

Die Industrie- und Handelskammern versuchen über Ausbildungsbotschafter einen Zugang zu den Schulen zu bekommen und nehmen dabei lokale Unternehmen ins Boot. Das Programm wird in Deutschland fast flächendeckend angeboten.

In zwei halbtägigen Veranstaltungen schult man die Auszubildenden, damit sie ihren Beruf in Schulen präsentieren können. Sie treten dabei nicht für ihr Unternehmen auf, berichten aber natürlich über ihren Arbeitsalltag. Ein wichtiges Ziel ist es auch, für die duale Berufsausbildung zu werben.

"Viele Abiturienten wissen gar nicht, dass man im Einzelhandel so schnell Karriere machen kann. Der Abschluss als Handelswirt oder Fachwirt im E-Commerce ist dem Hochschul-Bachelor gleichgestellt", erklärt Katharina Weinert vom HDE. Die duale Berufsausbildung sei die Basis für die geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, "um die uns die ganze Welt beneidet".

Erfolgsgeschichte E-Commerce-Kaufmann

Weinert arbeitet auf Bundesebene in vielen Gremien zur Weiterentwicklung der beruflichen Bildung mit. Diese ist Sache der Bundesregierung und wird über den Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) gesteuert. Dem Institut obliegt auch die Unterstützung bei der Modernisierung der Berufsbilder und die Schaffung neuer Ausbildungsberufe, wie des Kaufmanns im E-Commerce, der 2018 mit 1.400 Stellen an den Start ging. "So schnell haben wir noch nie einen neuen Beruf kreiert", bekräftigt Katharina Weinert.

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Nachwuchsförderung ist die Modernisierung der sogenannten Standardberufsbildpositionen, die für alle Ausbildungsberufe Pflicht sind. Erst im August 2021 verkündete das BIBB deren Erweiterung um die beiden Punkte Umweltschutz und Nachhaltigkeit sowie digitalisierte Arbeitswelt. Der HDE und Google haben für Letztere eine Zukunftswerkstatt gegründet, die seit Mai 2022 in die zweite Runde geht.

Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.