Wenn es bei der Konversionsrate hakt, dann kann das viele Gründe haben. Theorien allein helfen da nicht weiter. Tests sind gefragt. Doch wie geht man dabei vor? Wir haben Jan Wolter, Europachef von Applause, gefragt.

Nur etwa drei von zehn Kunden, die einen oder mehrere Artikel in ihren Warenkorb gelegt haben, beenden ihren Kaufvorgang. Die Gründe können vielfältig sein. Wie findet man heraus, wo es im eigenen Shop hakt?

Jan Wolter: Ein bewährter Ansatz, um den Blockern und Hindernissen auf die Schliche zu kommen, ist exploratives Crowdtesting. Bei dieser Testmethode überprüfen Tester digitale Produkte nach Fehlern, ohne vorab einen konkreten Testplan oder ein voreingestelltes Szenario zu erhalten.
Die Tester versetzen sich hierbei in die Lage eines Endnutzers und probieren verschiedene verfügbare Funktionen und Komponenten des Produkts, der App oder der Website aus. Sie testen gemäß ihrer Vorerfahrungen, eigenen Präferenzen und Kreativität und häufig auch jenseits der “bekannten Pfade”.

Diese Testmethode deckt ein breites Spektrum an Szenarien ab. Dazu gehören Situationen, die bei „scripted-testing“ oder herkömmlichem in-house Testing schwer vorhersehbar sind. Ebenso wie reale Kunden verhalten sich alle Tester unterschiedlich und durchlaufen ihren eigene Customer Journey bei dem Umgang mit dem Produkt.

Eine der größten Herausforderungen ist es heutzutage, ein reibungsloses Nutzererlebnis entlang der kompletten Buyer’s Journey sicherzustellen. Wie muss man vorgehen, um mögliche Schritte und Szenarien der Customer Journey zu identifizieren? Derlei Optimierungen stehen ja auch immer unter der Forderung, dass Entwicklungsiterationen beschleunigt werden sollen. Der Markt schläft ja nicht. Was hilft da?

Es ist inakzeptabel, Probleme erst dann zu beheben, wenn sie von Kunden entdeckt werden. Kunden mögen keine Fehler. Sie mögen auch keine Erlebnisse, bei denen sie sich nicht angesprochen fühlen.

Wo lassen Sie testen?
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Wo lassen Sie testen?
Daher ist dringend zu empfehlen, dass Unternehmen bereits während der Entwicklungs- und Testingphase mit ihren Kunden interagieren. Weiterhin sollten Kunden bzw. Endanwender, die diese repräsentieren, Wireframes und Prototypen zur Verfügung gestellt bekommen, noch bevor Funktionsänderungen oder neue Funktionen eingeführt werden, um relevantes Feedback einzuholen.

Um all dies zu vollbringen, müssen Marken ihre Produkteinführungen oder -updates überdenken. Feedback muss in den Software-Entwicklungslebenszyklus eingebunden werden. Das Feedback sollte so gestaltet sein, dass es immer den Wünschen und Bedürfnisse des Kunden entspricht, damit Probleme oder Bugs bereits im Anfangsstadium erkannt und behoben werden und keine Schäden anrichten können.

"Kunden mögen keine Fehler"

Die digitale und physische Erlebniswelt des Kunden sind miteinander verflochten. Kunden interagieren während des Kaufprozesses und auf dem Weg zur Kundenbindung mit vielen Touchpoints.

Applause prüft die Qualität von Apps, Webseiten und IoT-Produkten mit Hilfe einer Community aus 400.000 Testern. Wie funktioniert das?

Die Applause Tester-Community hat über 400.000 Mitglieder, aus denen wir für jedes Projekt unserer Kunden ein maßgeschneidertes Team aus verifizierten Testern zusammenstellen. Die Teammitglieder können nach Attributen wie Gerätetypen, Sprache, Standort, demografischen Faktoren oder auch Interessen und technischen Fähigkeiten ausgewählt werden. Dies bietet unseren Kunden unbegrenzte Möglichkeiten, Tests mit Endanwendern durchzuführen, die ihrer Zielgruppe entsprechen.

Wenn ein Produkt sowohl auf digitaler als auch auf physischer Ebene existiert (z. B. Onlinekauf und Abholung im Geschäft), testen unsere Tester routinemäßig vor Ort weiter, um die Customer Journey abzuschließen.
Falls notwendig, können bei zukünftigen Testläufen wieder die gleichen Tester zum Einsatz kommen. Wir ergänzen das Team auch gerne mit zusätzlichen Testern oder wechseln bestehende Tester aus, sollten andere Tester-Profile erwünscht sein.

Die Testing-Plattform von Applause bietet für alle Facetten des Crowdtestings nahtlose Schnittstellen – inklusive Kommunikation, Kollaboration, Ausführung von Test Cases, Bug-Reporting, SDLC-Integration, Zahlungsabwicklung und Reporting. Ein optimal abgestimmter Mix aus Software und Services mithilfe unserer engagierter Projekt Manager ermöglicht es uns, wirkungsvolle, detaillierte und leicht verwertbare Ergebnisse zu liefern.

Wo ist der Vorteil?

Zum einen die hohe Geräteabdeckung, weil unsere Tester ihre eigenen Gerätetypen mit unterschiedlichen Software- und Browserkombinationen mitbringen. Zum anderen testen unsere Tester “in freier Wildbahn”, das heißt beispielsweise am Strand, um Fitness-Apps in realer Nutzerumgebung zu testen oder im Verkehr, um die Interaktion mit In-Car Apps zu testen.
So wird eine hohe Testabdeckung von Szenarien und Geräten ermöglicht. Für unsere Kunden bedeutet dies eine drastische Reduktion von Bugs und Issues, eine verbesserte time-to-market und natürlich zufriedenere Kunden und Nutzer mit einer höheren Conversion Rate.

Dauern Testverfahren damit nicht deutlich länger?

Im Gegenteil. Unsere Tester stehen on-demand, das heißt auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten für Testzyklen zur Verfügung - also auch über Nacht, am Wochenende. Ein am Freitag angestoßener Test-Cycle kann schon dafür sorgen, dass das jeweilige Entwicklungsteam am darauffolgenden Montag sich sofort an Bug Fixes und Entwickeln von neuen Features machen kann.

"Warum glauben viele Unternehmen, dass alle ihre Kunden exakt denselben Kaufprozess durchlaufen werden?"

Es gibt nicht wenige Kunden, die berichten, dass sie durch unseren Crowdtesting-Ansatz ein Vielfaches so schnell sind und nicht mehr so ausgebremst durch langwierige inhouse Testzyklen sind. Auch die Sorge, dass nicht alle Geräte und Systeme im Testing abgedeckt werden können, entfällt. “Mit mehr Zuversicht, schneller releasen”, ist hier ein häufiger Slogan.

Lassen sich aus ihren zahlreichen Tests mit Handel und Herstellern bestimmte Kernelemente des Kaufverhaltens identifizieren, die besonders durch die Digitalisierung geprägt sind?

Aus unserer bisherigen Erfahrung stellen wir fest, dass vor allem mobile Nutzer hohe Ansprüche an die Usability und das Design, die Performance und Funktionalität bzw. Zuverlässigkeit von digitalen Produkten stellen. All diese Faktoren, vor allem aber die Funktionalität, können potentiell den Kaufabschluss verhindern und den Nutzer zur Konkurrenz abwandern lassen.

Mit Blick auf die Customer Journey lässt sich außerdem sagen: Keine zwei Menschen sind gleich. Daher wundern wir uns oft, warum viele Unternehmen glauben, dass alle ihre Kunden exakt denselben Kaufprozess durchlaufen werden.


Die Wahrheit ist, dass Kunden auf unendlich viele verschiedene Arten einkaufen. Sie erfahren über verschiedene Wege von Produkten. Sie recherchieren nach Produkten auf verschiedene Arten und Weisen. Und sie kaufen Produkte unterschiedlich.

Wichtig in diesem Zusammenhang für Unternehmen ist auch zu verstehen, dass Kanäle in den Köpfen der Verbraucher nicht existieren. Sie denken nicht darüber nach, dass sie mit der Webseite, App oder den Mitarbeitern im Ladenlokal einer Marke interagieren – aus ihrer Kundensicht interagieren sie nur mit der Marke selber. Damit sich die Kundenerfahrung erfolgreich und positiv gestaltet, müssen all diese Touchpoints einheitlich gestaltet und miteinander verzahnt sein.

Wie haben sich dadurch Verhaltensweisen und Konsumanforderungen verändert?

Online-Shopping, insbesondere im Retail-Bereich, hat in den letzten Jahren auch im deutschen Markt erheblichen Zulauf verzeichnet. Die Nutzung verschiedener Online- und Offline-Kanäle im Wechselspiel sowie physisch erlebbare Einkaufserlebnissen wurden nicht vom Online-Geschäft verdrängt. Im Gegenteil. Die Rolle bzw. Funktion der stationären Shops in der Customer Journey hat sich lediglich gewandelt.

Dank mobiler Endgeräte finden heutzutage wichtige Schritte in der Buyer Journey wie z. B. Preis- oder Produktvergleiche bereits vor dem Einkauf in stationären Shops oder parallel dazu statt. Der eigentliche Produktkauf kann dann unterwegs, im Laden oder von Zuhause durchgeführt werden. Käufer erwarten lediglich ein bequemes, schnelles und nahtloses Einkaufserlebnis, egal auf welchen Kanälen, Geräten oder an welchen Orten.

Welche Potenziale und Optionen bieten sich da noch dem stationären Handel?

Kurz gesagt: Mit innovativen Technologien Online- und Offline-Shopping-Welten verknüpfen und mit einem Omnichannel-Ansatz ein einheitliches, emotional ansprechendes Einkaufserlebnis für den Kunden schaffen.

Diese Best Practice wird interessanterweise bereits von Online-Playern forciert, die ihre Online-Welt um Stores in der Innenstadt erweitern - während immer mehr traditionelle Handelsunternehmen anfangen, sich an den Online-Playern zu orientieren und vermehrt auf “digital” zu setzen.

Das internationale E-Commerce Unternehmen Farfetch erweitert beispielsweise seine Online-Präsenz mit stationären Geschäften und beschreibt diese als ein „operating system for physical retail“. Jeder Kunde nutzt hierbei z. B. eine Mobile App, um sein Einkaufserlebnis im Store selbst und individuell gestalten zu können.

Farfetch bietet außerdem Online die Option auf Click & Collect. Für die Abholung der Produkte müssen die Kunden ein Geschäft besuchen. Das Click & Collect-Modell deutet darauf hin, dass Kunden ihr erworbenes Produkte gerne sofort in der Hand halten möchten. Diese Erkenntnis spricht deutlich für den stationären Handel, da Lieferzeiten von Online-Bestellungen bis auf weiteres länger dauern als der kurzfristige Besuch in einem lokalen Shop.

Luxushändler Farfetch
© Stephan Lamprecht
Luxushändler Farfetch
Mister Spex ist übrigens ein schönes Beispiel für einen deutschen Online-Player, der erfolgreich in den stationären Handel eingestiegen ist. Dank seiner cleveren “Shop in Shop”-Strategie und den Kooperationen mit lokalen Optikern erreicht der Berliner Online-Optiker auch Zielgruppen, die nicht online-affin sind.
Mister Spex-Laden in Essen.
© Mister Spex
Mister Spex-Laden in Essen.
Zusammenfassend gesagt, bietet der stationäre Einzelhandel für das Einkaufserlebnis durch persönliche Ansprechpartner, dem physischen Erleben und der direkten Ansicht der Produkte viel mehr Möglichkeiten, um mit den Sinnen und Emotionen der Kunden zu interagieren. Die vorübergehende Nutzung von leerstehenden Verkaufsflächen mithilfe von Pop-Up Stores in Innenstädten schafft zudem zusätzlichen Reiz für Einzelhändler, neue Formate temporär auszuprobieren, ohne sich, wie im Online-Business, mühsam erstmal eine Präsenz für mehr Sichtbarkeit aufbauen zu müssen.

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Pop-up Store

Überrasch' mich!

Die Angst vor Fehlinvestitionen bleibt gleichwohl groß. Auf welche Trends sollte man denn wetten, wo ist der Einsatz innovativer Technologien sinnvoll – und welche sind das?

Obwohl der stationäre Handel in Europa vor großen Herausforderungen in Bezug auf Preisdruck, anspruchsvollere Kundenbedürfnisse sowie wirtschaftliche und politische Veränderungen steht, hat er seine Wachstumsgrenze noch lange nicht erreicht. Denn der klassische Handel steckt voller verschiedener Möglichkeiten wie neues Einkaufen aussehen kann, ermöglicht durch Technologie wie QR, Click & Collect, die die On- und Offline-Welt miteinander verbinden.

Momentan sehen wir für Einzelhändler drei Bereiche mit großem Potenzial:

  1. “Voice Commerce” bzw. Connected Devices und Sprachassistenten wie Amazon Alexa oder Google Home eröffnen neue Verkaufskanäle.
  2. Je schneller die Lieferung, desto höher ist die Engagement-Rate der Kunden, Thema Same-Day-Delivery.
  3. Eine kanalübergreifend konsistente Customer Journey zu bieten, ist auch der Schlüssel zur Wiederbelebung des Einzelhandels.

Wie sich die Technologien wie Virtual Reality, Augmented Reality, Künstliche Intelligenz, Machine Learning oder Voice in der Zukunft machen werden, können Einzelhändler momentan nur erahnen.

Ob der Zeitpunkt für den Einsatz neuer Technologien gekommen ist und diese Akzeptanz bei Nutzern finden und einen Mehrwert schaffen, lässt sich mit digitalen Testverfahren wie Crowdtesting herausfinden.

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