Beim Thema Daten sammeln und auswerten hecheln die stationären Händler der Onlinekonkurrenz hinterher. Das muss nicht sein, sagt der Kommunikationsprofi Udo Schumacher. Denn Big Data geht auch im Kleinen.

Udo Schumacher hatte letztens ein Geburtstaggeschenk für seinen Sohn gesucht. Spielzeug sollte es sein. Da ist es immer gut, wenn man zum Spezialisten geht. Also hat sich Schumacher auf der Website von Vedes umgeschaut, Verbundgruppe für den Spielwarenhandel. Bestellt wurde erst einmal nichts, aber er bekam danach ein Faltblatt zugeschickt, das sehr schön beschreibt, welche Probleme der stationäre Handel noch mit den neuen Zeiten hat.

"Das Faltblatt war total unpersönlich gehalten und unterschrieben von der Vedes-Zentralregulierungs GmbH", beschreibt Schumacher das Papier. Und es wurde noch ein Profi-Tipp mitgeliefert: Wenn er wissen wolle, wo der für ihn nächste Vedes-Händler ist, dann brauche er nur auf der Website Vedes.com nachzusehen.

Wow.

Ein schlaues Unternehmen hätte Schumacher aber gleich anhand seiner Hamburger Adresse die passenden Spielzeughändler in der Umgebung mitgeliefert.

Mindestens.

Willkommen in der Welt des mittelständischen Einzelhandels, wo aktuell viel von Digitalisierung und Big Data geredet wird - aber kleine Praxistests zeigen, wie die Wirklichkeit aussieht.
 

Große Onlinehändler können es

Udo Schumacher ist Werbe- und Kommunikationsprofi, er führt die Hamburger Agentur Ressourcenmangel, die unter anderem Media Markt, BMW und Mars Deutschland betreut. Datengetriebener Empathie ist eines der großen Themen, mit denen sich Schumacher beschäftigt. Es geht um die Frage, wie ein Unternehmen sich aufgrund von Daten auf Kunden einstellt und mit ihnen kommuniziert. 

"Es gibt kaum etwas Wichtigeres als Kundendaten", sagt Schumacher. "Amazon und Zalando beherrschen dieses Thema schon gut, aber gefühlt kommt es unten nicht an." Mit unten meint er den stationären Handel, und dort vor allem die kleineren, inhabergeführten Geschäfte. Wie Vedes-Händler. 

Drum sammle, was du analysieren willst

Doch wer seine Kommunikation per Daten steuern will, muss erst einmal welche haben. Also sammeln. Da geht es schon los. Beliebt ist das Eintippen der Postleitzahl des Kunden an der Ladenkasse. "Aber was erfahre ich dadurch?", fragt Schumacher. Nur, dass irgendwer irgendwoher kommt. Wer es spezifischer wissen will, etwa, warum er gerade dieses Geschäft aufgesucht hat, weil ihm im besten Fall die Werbung angesprochen hat, oder welche Wünsche er eigentlich hatte, der kommt mit der Postleitzahl nicht weit.
Kommunikationsprofi Schumacher: Daten machen den Erfolg
© Ressourcenmangel
Kommunikationsprofi Schumacher: Daten machen den Erfolg
Es geht um Daten, die erlauben, mit einem Kunden sehr früh in Kontakt zu treten. Beispielsweise hätte Schumacher von Vedes gefragt werden können, wann der Sohn Geburtstag hat - um ihm dann eine Liste mit passendem Spielzeug mitzuschicken. Und im nächsten Jahr dann wieder. 

Doch das wäre ja schon Datenmanagement für Fortgeschrittene. Wir starten sicherheitshalber in der Kategorie "Anfänger". Udo Schumacher rät Händlern, zu Beginn drei grundsätzliche Fragen zu beantworten:

1. Lohnt es sich für mein Geschäft überhaupt, Daten zu sammeln?

Bei einem Ein-Euro-Shop bringt das eher nichts.

2. Welche Daten habe ich schon?

Entsprechend kann ich darauf aufbauen.

3. Welche Möglichkeiten habe ich, charmant Daten zu sammeln?

Kunden müssen einen Mehrwert bekommen. Niemand gibt einfach so Informationen zu seiner Person preis.

Eine gute Möglichkeit, erste Daten anzulegen, ist ein Gewinnspiel. Man kann auch mit Partnerläden übergreifende Kundenbindungsaktionen initiieren. "Die Verbraucher müssen einen Anreiz bekommen, ihre Daten herzugeben", sagt Kommunikationsprofi Schumacher.

Facebook als Datensammelbüchse? Aber sicher!

Eine gute und einfach Möglichkeit, Kundendaten- und wünsche zu sammeln, ist auch ein Facebookauftritt. "Daran kommt man heute nicht mehr vorbei", mahnt Udo Schumacher. Ja, ja, das macht Arbeit. Aber wer sich diese Arbeit nicht macht, hat bald keine mehr, zumindest nicht in seinem eigenen Laden.

Das sagt einem auch gerne der legendäre Claus Böbel, Metzgermeister aus dem fränkischen Kaff Rittersbach. Böbel stand einst vor der Entscheidung aufzuhören oder den großen Wurf wagen. Denn ein paar Hundert Einwohner sind nicht gerade die Basis, um ein Fachgeschäft am Leben zu halten. 

Mit der Wurst ins Internet

Böbel wagte den Wurf - im Internet. Website, Webshop, das volle Programm. Von Rittersbach ging es in die große, weite Welt. Der Metzger wurde zum Meister der Wurstvermarktung, sein Laden brummt heute. Wie das geht, erzählt er heute auf zig Vorträgen im Jahr.

Und als Meister der Mitteilsamkeit schwört er auch auf Facebook. "Wer gut kommuniziert, verkauft auch gut", sagt er und postet, was das Zeug hält. Über sich, seine Auftritte, Wurst, Kotelettes, seinen Laden und vieles mehr. DAS ist Kundenbindung. Denn die Community ist ebenso gesprächig und teilt wiederum gerne mit, was sie mag. Da kommen auch ganz hübsche Daten zusammen - gesammelt auf die sanfte Tour.

Metzgermeister Böbel will es halt wissen

Wer Böbel einmal auf einem Kongress erlebt hat, ist verblüfft, wie einfach das alles sein kann. Da steht ein Naturtalent der Kommunikation auf der Bühne, grasgrünes Hemd, unmodische Frisur, fränkischer Dialekt - und schmettert seine Botschaft in den Saal: Einfach mal machen. Und die Anzugträger im Auditorium kichern beklommen, weil sie von der volkstümlichen Direktheit Böbels überfordert sind. Der Metzgermeister hat seinen stationären Laden durch die Möglichkeiten des Internet nicht nur gerettet, sondern aus ihm eine Goldgrube gemacht. Er weiß genau, was seine Kunden wollen. Weil er es wissen WILL. Der Vedes-Flyer für Udo Schumacher vermittelt nicht das Gefühl, dass dort irgendeiner irgendetwas wissen will. Man verlässt sich darauf, dass der Kunde schon kommt.

Händler müssen Kundenversteher sein

Das tut er selbstverständlich nicht, wenn er derart lieblos angesprochen wird. Vedes versäumt mit diesem Flugblatt gleich zweierlei: Mit dem Kunden wird weder Kommunikation aufgebaut, noch wird sich darum bemüht, seine Wünsche zu verstehen.

Aber der bessere Händler hat nun eifrig Gewinnspiele gemacht und darüber einen ordentlichen Berg Kundendaten gesammelt - und weiß schon wieder nicht weiter. Wie sortiere ich das alles? Die Lösungen: Excel-Dateien oder, für Fortgeschrittene, einpflegen in ein CRM-System.

Menge ist gut, aber Analyse ist besser

Das ist aber auch noch nicht der wahre Jakob, denn die Menge machts ja nicht. Die Daten müssen nach Informationen aufgeschlüsselt werden: Geschlecht, Jahrgang, saisonale Kaufgewohnheiten, Interesse an Veranstaltungen oder regelmäßigen Nachrichten aus dem Laden. "Dafür gibt es spezielle Software", rät Kommuniktionsprofi Schumacher. Gewiss, das kostet alles Geld und muss kalkuliert werden - inklusive Personalaufwand.

 „Es geht aber weniger um die richtige Software, als um ein sinnvolles Konzept. Wo können Daten helfen, Kunden besser zu verstehen und damit langfristig besser zu bedienen."
Gute Datensauger sind auch Apps - theoretisch. Denn ob sich so etwas für kleine Händler lohnt, ist zweifelhaft. Udo Schumacher rät davon ab. Erst einmal ist es enorm schwierig, dass man als Händler in dem riesigen App-Store überhaupt auffällt. "Und dann muss eine App dem Kunden schon sehr gute Vorteile bieten." Will der Händler das alles stemmen, muss er viel Geld investieren. Besser Finger weg.

Das Modethema Beacons ist schon keines mehr

Ähnlich sieht es bei Beacons aus. Der Technikneuerung, die vor zwei, drei Jahren auf jedem Kongress gefeiert wurde, als sei sie die neue Vollkaskoversicherung für den Einzelhandel. Mittlerweile ist es deutlich ruhiger darum geworden, wirklich durchgesetzt haben sich Beacons doch nicht. Dabei können die kleinen Bluetooth-Sender schon eine Menge Daten liefern. Udo Schumacher berichtet von deren Einsatz bei der Modekette Esprit, wo in einigen Testläden mehrere Beacons installiert worden sind. Die Filialen wiederum wurden in Zonen unterteilt, und man konnte dann genau messen, wie lange Kunden sich in welchem Bereich aufhielten. Und dass sie im schlimmsten Fall dann doch nichts gekauft hatten. 

Das Spielzeug dann bei Amazon gekauft

Wer schon registrierter Kunde war, konnte dann per Newsletter darauf aufmerksam gemacht werden. "Und die Wahrscheinlichkeit, dass er darauf anspringt, ist groß", versichert Schumacher.Und wie ist jetzt seine Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für seinen Sohn ausgegangen? 

Unentschieden. Ein Teil wurde im örtlichen Kaufhaus gekauft, ein anderes dann doch bei Amazon. Vedes war es jedenfalls nicht.

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