Jost Wiebelhaus stellte innerhalb weniger Stunden um von Stationär- auf Onlinehändler. Und: Es funktionierte. Denn als Laufsporthändler konnte er die Kunden mit Ausrüstung für eine der wenigen erlaubten Freizeitbeschäftigungen während der Lockdown-Zeit versorgen. Der Frankfurter Fachhändler wurde sogar zu einer kleinen Berühmtheit in der Branche.
Was hat sich für Sie seit dem 16. März verändert, dem Tag, an dem die meisten Läden im stationären Handel geschlossen werden mussten?
Für uns sehr viel. Als rein stationärer Händler ohne eigenen Onlineshop hätten wir ja ab diesem Tag keinen Cent mehr Umsatz gemacht. Also mussten wir schnell reagieren. Ab Tag eins des Lockdowns haben wir einen Lieferservice aufgebaut, wir haben eine Telefon-Hotline eingerichtet, die Kunden darüber sowie online beraten und die Schuhe per DPD in erster Linie im Rhein-Main-Gebiet, aber auch deutschlandweit verschickt. Kunden, die im Umkreis von acht Kilometern unseres Geschäfts leben, wurden von uns per Fahrrad beliefert. Alles lebte von unserer starken Präsenz in den sozialen Netzwerken, wir hatten dafür extra ein Video gedreht, in dem wir das neue Angebot vorgestellt hatten. Das kam sehr gut an, und wir haben gemerkt, wie großartig unsere Kunden sind, die wir in den 18 Jahren unseres Bestehens an uns gebunden haben.

Wir fühlten uns wie ein Start-up, denn plötzlich mussten wir uns mit einem neuen Geschäftsmodell beschäftigen. Dinge wie Lieferservice und Beratung per WhatsApp waren neu für uns. Wir haben schnell eine kleine Versandstraße aufgebaut, also eine Logistikkette im Kleinen. Hier wurde in Dreier-Teams gearbeitet, die die Bestellungen sortiert, Zahlungseingänge registriert und die Auslieferungen per Fahrrad organisiert haben. Die Zeit war für alle herausfordernd, aber auch schön. Denn die Arbeit hat das Team zusammengeschweißt. Alle Mitarbeiter mussten ja neue Aufgaben übernehmen. Bisher war die Stärke meiner Leute das direkte Kundengespräch - nun waren Onlineberatung und Verpacken, Versenden oder gar Ausfahren von Ware gefragt. Zu unserer Arbeiszeit von 10 bis 19 Uhr waren wir alle gut im Einsatz. An einem Tag konnte ich erst 23 Uhr Feierabend machen und hatte deswegen beschlossen, dass es sich nicht mehr lohnt, jetzt noch nach Hause zu fahren. Also habe ich im Laden geschlafen, zum Glück steht bei uns eine Couch. Es gibt zwar bequemere Betten, aber ich war so müde, mir war alles egal. Zum Glück haben wir im Laden auch eine Dusche, so dass ich am nächsten Tag frisch weiterarbeiten konnte.
Was war in der Lockdown-Zeit Ihr schlimmstes, was war Ihr schönstes Erlebnis?
Fangen wir mit drei schönen Erlebnissen an. Hier hat mich der Teamgeist beeindruckt, es war großartig, wie wir unsere Arbeit in dieser schwierigen Zeit so hinbekommen haben. Schönes Erlebnis Nummer zwei war, wie treu und loyal unsere Kunden waren. Manche hatten unseren Fahrradkurieren als Dankeschön Schokolade und Pralinen geschenkt, als sie zu später Stunde beliefert worden sind. Und schließlich war ich verblüfft über die Medien und deren intensive Berichterstattung über uns. Der Höhepunkt für mich war meine Teilnahme am "Digitaltalk" von Marcus Diekmann von Rose-Bike. Dass ich als kleiner Fachhändler dabei eine Stunde mit dem deutschen Amazon-Chef Ralf Kleber reden durfte, hatte ich mir auch nicht vorstellen können. Das schlimmste Erlebnis: Es war eine harte Zeit mit enorm viel Arbeit, ständig ging irgendwas Berufliches durch den Kopf, Abschalten war kaum möglich, auch dann nicht, als ich die knappe Zeit mit meiner Familie verbringen konnte. Meine Frau und unsere zwei Kinder freuen uns deswegen jetzt auf den gemeinsamen Sommerurlaub an der Ostsee, der ja, Stand heute, möglich sein wird.
Was haben Sie dabei gelernt, was hat sich bei Ihnen verändert?
Gelernt haben wir, dass man auch nach 18 Jahren als Händler ein Start-up sein kann. Eine Geschäftsidee bei Null umsetzen, das ist kernig, erst recht in einer Krise. Wieder stimmte der alte Spruch: "Better done than perfect." Einfach machen. So ein eilig aufgebauter Versandservice kann nicht sofort rund laufen, aber nach zwei, drei Tagen hatte sich alles eingespielt. Der Lieferservice wurde derart gut angenommen, dass wir ihn auch jetzt weiter anbieten, obwohl der Laden wieder geöffnet ist. Das gilt auch für Online-Beratung und -Terminvergabe im Laden. Wir sind jetzt etwas digitaler geworden, keine Frage.
Konnten Sie trennen zwischen persönlichen Sorgen und den Sorgen ums Unternehmen?
Das war schwer, und es ist mir selten gelungen. Ich glaube, hier ging es jedem Unternehmer gleich. Alle hatten ja persönliche Ängste, mussten aber auch wieder stark sein, um sich um die besorgten Mitarbeiter zu kümmern.
Wie geht es Ihnen, seitdem die Geschäfte wieder geöffnet werden dürfen?
Da die meisten Sportarten wie Fußball, Volleyball nicht möglich waren, wollten die Deutschen laufen, um fit zu bleiben. Denn das war und ist ja erlaubt. Es gab deswegen einen großen Nachholbedarf an Laufsportartikeln, und weil das Wetter mitspielte, hatten wir einen sehr guten Neustart. Wir hatten sofort viele Kunden, auch viele Neukunden.
Unser Geschäft ist ums Eck der Frankfurter Zeil, also in der Innenstadt. Ich wünsche mir, dass Staat und Städte an Konzepten arbeiten, die für attraktive Innenstädte sorgen. Es muss sich für die Kunden lohnen, den stationären Einzelhandel vor Ort aufzusuchen. Hier gibt es wegen der Coronakrise einen enormen Handlungsbedarf, einige große Unternehmen werden erhebliche Probleme bekommen, um sich zu behaupten.