Tempo, Tempo, Tempo! Unsere Übersicht verdeutlicht, wie  der Berliner Inkubator seinem Namen momentan mehr als gerecht wird, indem er nach dem „Just to be done“-Prinzip um den Globus jagd, um potenzielle Kunden in aller Welt mit den Vorteilen des Web-Shoppings vertraut zu machen.

Zwar bewegen sich andere Retailer auch auf internationalem Parkett, die  Aggressivität der Berliner sticht hierbei jedoch in einem besonderen Maße hervor, so dass deren Expansions-Politik eine  besondere  Beachtung verdient.

Kurzfristiger Goldrausch oder langfristige Strategie

Die Eroberung des Erdballs mit launigen Eigenmarken auf der Basis geklonter Konzepte, erscheint vielleicht auf den ersten Blick als hektische Betriebsamkeit in Reaktion auf einen Wachstumsdruck seitens der Investoren. Wenig spannend? 

Ein Blick auf die Entwicklung der E-Commerce-Umsätze in Deutschland veranschaulicht, worauf das Engagement der Berliner abzielt: Zum einen spekuliert man darauf, dass sich ein vergleichbarer Boom in bisher weniger entwickelten Märkten wiederholen wird, zum anderen hat man gelernt, dass es sich immer noch lohnen kann, auf dem bereits entwickelten und hart umkämpften Parkett in Nord- und Südamerika Fuß fassen zu wollen.

Getragen vom Erfolg der Marke Zalando in Europa –mit der man sich erstmals als ernsthafter Player von seinem Image als reine Clone-Company befreien konnte und im Fashion-Segment sogar einige Wettbewerber vor sich her treibt– schaffte es das Unternehmen bereits, einen vergleichbaren Erfolg in diesem Segment unter der Marke Dafiti in Brasilien zu wiederholen und wird sich auf dem südamerikanischen Kontinent in diesen Warengruppen künftig mit dem Handelsriesen Otto messenund  im Segment Elektronik – über das Amazon-Look-a-like  Bazaya (Mexiko, Kolumbien, Peru, Venezuela)  –  Amazon selbst angreifen, das für den 01.09.2012 den Markteintritt in Brasilien plant.

Fokus auf Umsatztreiber und dennoch ein Gespür für neue Geschäftsmodelle

Auffällig ist, dass die Berliner sich in ihren internationalen Engagements überwiegend an den Umsatztreibern auf den europäischen Märkten orientieren und die Angebotspalette in Fashion und Elektronik jeweils lediglich an die lokalen Kundenbedürfnisse anpassen.

Aber auch Außenseiter kommen zum Zug. So forciert das Unternehmen nach seinem Einstieg bei 21Diamonds mittlerweile auch im Schmuck-Handel eine Expansion in Richtung Südamerika. Dieses Segment wird auf Seite deutscher Konsumenten zwar oftmals noch als Nische im E-Commerce wahrgenommen (da Branchengrößen wie Christ oder Douglas lange gezögert haben, ihre teuren Outlets in Premiumlagen durch eine  Multichannel-Strategie zu kannibalisieren), jedoch gilt dieser Markt als ausgesprochen attraktiv: Die Fertigung im hochpreisigen Segment folgt dem Pull-Prinzip, ist also auftragsbezogen und entsprechend kostengünstig.

Die Kostenstruktur bei Produkten die vorgehalten werden (z.B. Schmuck-Linien von Modemarken), lässt sich – bedingt durch einen geringen Materialbedarf und kleine  Verpackungs-/Versandeinheiten – ebenfalls schlank halten. Da Schmuck-Artikel stark emotional besetzt, die Produkte oftmals schlecht vergleichbar sind und die Preissensibilität entsprechend gering ist, gilt dieses Warensegment – insbesondere die Lizenzprodukte von Modemarken –  als ausgesprochen margenstark. Ein vielversprechender Wachstumsmarkt, den Rocket Internet hier anvisiert.

In Asien lockt nicht nur ein dysfunktionales Wettbewerbsumfeld, sondern der Mobile Commerce

Während bei vielen der internationalen Ventures das Wettbewerbsumfeld, Kundenbedürfnisse, oder „vernachlässigte“ Warengruppen  im Vordergrund stehen und gemäß der attraktivsten E-Commerce-Segmente in Europa eine Wette auf deren zukünftig ebenfalls positive Entwicklung in anderen  Märkte abgeschlossen wurde, sind die Samwer-Engagements in Asien unter einem veränderten Vorzeichen zu betrachten: Nicht nur die Marktdurchdringung mit Mobiltelefonen ist in den asiatischen Ländern sehr hoch, sondern auch das mobile Internet bereits weit verbreitet.

Entgegen der Annahme, das mobile Web sei eine Entwicklung westlicher Technologiekonzerne, hat dieses seinen Ursprung in Japan und hat von dort aus frühzeitig andere  asiatische  Länder erobert. Ein ideales Umfeld für die Berliner, mit der Expertise, die man sich im Bereich mobiler Webinterfaces in den letzten Jahren erarbeitet hat (so ist z.B. ist der mobile  Zalando-Webshop unter iOS bzgl. Benutzerführung, Geschwindigkeit und Bedienbarkeit und Anpassung der Auswahlkriterien positiv hervorzuheben), in einem dafür aufgeschlossenen Marktumfeld auftrumpfen zu können. Bei diesen Ventures steht also nicht zwangsläufig eine Zukunftswette im Vordergrund, sondern vielmehr die Möglichkeit, die eigenen Stärken gegenüber potenziellen Wettbewerbern direkt ausspielen zu können.

Was kostet die Welt

Die Kosten für die jeweiligen Unternehmungen in den Segmenten Möbel und Schmuck, folgen in bestem Sinne einer „Lean Production“ und sind deshalb als überschaubar anzusehen. Sofern Märkte noch gänzlich unentwickelt sind, ist man in diesen auch lediglich mit Amazon-Look-A-Likes vertreten, über die margenstarke  Consumer-Elektronik verkauft werden soll.

Dabei muss jedoch nicht über eine kostenintensive eigene Infrastruktur distribuiert werden, sondern kann  –dank moderner Kontraktlogistik– über die bereits bestehenden Strukturen lokaler oder europäischer Fulfillment- Dienstleister produktiv gegangen werden. 

Da dieses Geschäft entsprechend wenig eigene Ressourcen und Kapital bindet und Bestellungen zudem ebenfalls „by order“ nach dem Pull-Prinzip bei den Dienstleistern auflaufen, ist die Annahme, dass ausgerechnet diese Amazon-Clone das Fundraising-Budget überproportional belasten würden, als unbegründet anzusehen: So wie die Amazon-Kopie Lazada für den mittleren Osten, werden auch die anderen Klone im Elektronik-Bereich nicht über eigene Ressourcen bewirtschaftet, sondern über externe Dienstleister, die Fulfillment-Services im Kundenauftrag erledigen. Ein Dropshipping-Geschäft, das aufgrund der Provisionszahlungen zwar wenig Gewinn erwirtschaftet, jedoch dank geringer Kapitalbindung kostenseitig auch nur eine geringe Belastung darstellt. Für Rocket Internet steht bei diesen Klonen vielmehr der „First come first serve“-Gedanke im Vordergrund. Keinesfalls ist also davon auszugehen, dass das Unternehmen in den neuen Märkten zwangsläufig zeitgleich zum jeweiligen Markteintritt mit einer eigenen und Infrastruktur vertreten ist, so wie man dieses von Amazon (ausschließlich eigene Distributionscenter) gewohnt ist. 

Skalierung oder imperiale Überdehnung

Fügt man die losen Enden der weltweiten Samwer-Ventures zusammen, erscheint keine der Aktivitäten als ein Akt  überhasteter und/oder überteuerter Großmannssucht.

Die Marktvolumina scheinen gegeben, man setzt seine Stärken gezielt ein (Fashion-Handel als Umsatztreiber und Amazon-Kopien, mit denen man gänzlich weiße Flecken auf der Landkarte besetzt und damit seinen Ursprüngen als Clone- Company folgt, indem man hofft, Jeff Bezos eines Tages locken zu können…). Des Weiteren versucht man, sprachliche und kulturelle Differenzen zu den neuen Märkten zu überbrücken, indem man z.B. einen Brückenkopf von Portugal zu den Märkten in Südamerika schlägt. Sofern man ein weiteres Tech- and Development-Center in UK errichtet, um von dort aus die Märkte in den Commonwealth-Staaten mit abzudecken, ist also alles in Butter?

Zwar bedient mittlerweile auch der Bildungsmarkt die hohen Ansprüche, die  ein globaler E-Commerce an das Management stellt, ein derart großes Portfolio birgt jedoch Risiken: Im Kontext einer globalen Ökonomie und eines investorengetriebenen Wachstumsdrucks, für jedes Venture die jeweils richtige Entscheidung treffen zu können, stellt eine große Herausforderung dar: Wer behält den Überblick um zwischen Skalierung oder imperialer Überdehnung zu unterscheiden?

Fazit

Es sind also nicht speziell einzelne Unternehmungen, die eine Gefahr für das globale Abenteuer der Berliner bedeuten, sondern vielmehr die Komplexität und der entsprechende  Aufwand, den es mit sich bringt, ein derartig umfangreiches Portfolio überhaupt noch beherrschen zu können. Das Risiko für Rocket Internet besteht in erster Linie darin, die Übersicht zu behalten und im selbst auferlegten Eiltempo seiner Wachstumsoffensive, eine seiner ureigenen Kernkompetenzen nicht aus den Augen zu verlieren: In Einzelfällen vorausschauend entscheiden zu können, wo sich eine weitere Finanzierung noch lohnt, und wo es bereits  Zeit für einen Exit wäre.