Auf der Suche nach dem Topf voll Gold: Rund um den Amazon Marketplace hat sich ein lukratives Business entwickelt, das FBA-Händler und ihre Eigenmarken aufkauft und weiterentwickelt. Wie sich Händler für die Aggregatoren interessant machen und was das Geschäft derzeit erschwert, erklärt Gastautor Pirmin Rehm von Altitude.
Mit dem Boom kam das Geschäftsmodell der Seller-Aggregatoren – jenen Firmen, die ihr Geld damit verdienen, dass sie FBA-Businesses aufkaufen, um das ohnehin zweistellige Umsatzwachstum mit Hilfe von Synergien noch weiter zu steigern.
Doch wie funktioniert das Geschäft, was müssen Händler tun, um sich für die Seller-Aggregatoren interessant zu machen und wie wirkt sich die aktuelle Krise auf das gesamte Geschäftsmodell aus?

Das Wachstum ist endlich
Geldgeber gab und gibt es angesichts der großen Fonds und Private-Equity-Investoren genug – und FBA-Aggregatoren wie Thrasio, Razor Group, Seller X oder Berlin Brands Group haben es so in den letzten ein, zwei Jahren geschafft, das Eigenmarken-Business vieler profitabler Marken unter einer Company zu organisieren, mit dem mittelfristigen Ziel, das Konstrukt dann weiterzuverkaufen oder an die Börse zu bringen.Doch nun droht eine Phase der Konsolidierung. Denn gerade die letzten Monate haben gezeigt, dass das durch die Corona-Krise angefachte E-Commerce-Wachstum nicht endlos ist und der Erfolg der Seller-Aggregatoren auch nicht bedingungslos. Lieferkettenprobleme, Inflation sowie Kaufzurückhaltung und Verunsicherung vieler Verbraucher sind die wichtigsten Gründe dafür.
Erste Entlassungen deuten eine Zäsur an
Bei Thrasio, einem großen US-Aggregator, der lange eine Art eine Vorreiterrolle innehatte, gab es bereits Entlassungen, und auch deutsche Branchenvertreter sprechen von einer Zäsur angesichts des nachlassenden Wachstums. Peter Chaljawski, Gründer der Berlin Brands Group (BBG) erklärt etwa gegenüber Medien, man sehe aktuell statt des anvisierten Wachstums eher eine Seitwärtsbewegung. Auch hier stehen aktuell Sparmaßnahmen im Fokus, fast jeder zehnte Mitarbeiter muss gehen. All das bedeutet aber nicht, dass das Geschäftsmodell grundsätzlich gescheitert ist, sondern es heißt eher, dass Seller-Aggregatoren in Zukunft bei ihren Investments noch genauer hinschauen und auswählen.Welche KPIs für Aggregatoren entscheidend sind
Grundsätzlich sind FBA-Aggregatoren durch Venture Capital und Fremdkapital finanziert. Das hat zur Folge, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Lebenszyklus ein "Exit Event" angestrebt wird, bei dem das jeweilige Handelsunternehmen an größere Unternehmensgruppen verkauft oder an die Börse gebracht wird.Wer die eigene Marke hier einbringt, gibt sie also nicht in die Hände eines kleinen Familienbetriebs, der die Marke mit Herzblut und persönlichem Interesse weiterverwaltet, sondern an ein streng kalkulierendes Finanzkonstrukt, das den Wert anhand von Financial KPIs möglichst schnell möglichst hoch treiben bringen will.
Im Vorfeld ist daher entscheidend, dass ein Händler die grundsätzlichen Kriterien erfüllt: Mindestens 20 bis 25% EBIT-Marge sind ein Muss, ebenso mindestens 20 bis 30% Year-over-Year-Wachstum und ein Umsatz im Millionenbereich. Gleichzeitig spielen auch Kriterien wie die Anzahl der betreuten Amazon-ASINs, auf die sich die Umsätze verteilen, eine Rolle. Möglichst wenige Listings und ASINs mit jeweils großen Umsätzen sind dabei besser.
Zugeständnisse bei Branchenfokus und Jahresumsatz
Auch die Zukunftssicherheit und Langlebigkeit von Produkten spielen bei der Bewertung eine Rolle. Einige der Seller-Aggregatoren haben bevorzugte Branchen, in denen sie bereits über Know-how und Vergleichszahlen bereits bestehender Beteiligungen verfügen – ein Plus, wenn es darum geht, schnelles Wachstum zu generieren.Doch der Markt lief vor allem in den letzten Monaten heiß – ausreichend Investorengeld war vorhanden – sodass einige der Seller-Aggregatoren vor allem beim Branchen-Fokus und den Deal-Types (siehe unten) zu Zugeständnissen bereit waren.
Beispielsweise rückten so auch kleinere Targets (500.000 bis 700.000 Euro Jahresumsatz) in den Fokus, wenn diese besonders stark wachsen (mindestens 40% YoY) oder branchenmäßig gut zu bestehenden Beteiligungen des Aggregators passten. Aktuell dürfte hier die Luft wieder etwas dünner für neue Deals sein.
"Amazon-Listings sind wie ein digitales Real Estate"
Shopbetreiber, die den Entschluss gefasst haben, ihre Marke zu veräußern, sollten die eigenen Geschäftszahlen gut und übersichtlich aufbereiten und mit verschiedenen Aggregatoren sprechen, die die eigene Branche im Portfolio haben.Denn eine Marke, die die genannten Kriterien erfüllt, ist auch für andere Aggregatoren interessant. Und da die Multiples für Verkäufe sich zwischen 4x und 8x EBIT bewegen, kann es sich lohnen, Vergleichsangebote einzuholen.
Verschiedene Formen der Übernahme
Die Ausgestaltung der Deals kann auf mehrere Arten erfolgen. Die für Aggregatoren beliebteste Deal-Form ist der Kauf der Marke inklusive der damit verbundenen Amazon-Listings.Diese Vorgehensweise ist strukturell am einfachsten und schnellsten umzusetzen und gibt dem Aggregator Kontrolle über das, was wirklich zählt, nämlich das Amazon Listing („Amazon Real Estate“) und die Marke. Andere Assets wie die eigenen Mitarbeiter oder die Infrastruktur bleiben dabei außen vor.

Denkbar sind zudem Mischformen, beispielsweise der Kauf des Accounts in den USA oder aber nur der Kauf der Marke und der ASINs in Deutschland und der EU. Auch die Übernahme von Mitarbeitern und Infrastruktur wie Warehouses ist möglich. Nicht zuletzt die Übernahme von KW Commerce durch Seller X zeigt, dass auch gewachsene, komplexe Strukturen übernommen und integriert werden können.
Amazon toleriert das Aggregatoren-Business - noch
Doch es wäre fahrlässig, die Rechnung ohne den Wirt zu machen – und der ist bekanntermaßen Amazon als Betreiber des Marketplace. Vor allem Investoren hatten in der Anfangszeit der Seller-Aggregatoren Bedenken, ob Amazon diese Zusammenschlüsse und Übernahmen erlauben wird und ob der Marktplatzbetreiber aus Seattle die Aggregatoren als Chance oder Gefahr sieht.Auch wenn sich Amazon für das Treiben der Seller-Aggregatoren zunächst wenig interessiert hat, beobachtet man dies mittlerweile genauer. Doch so lange das Geschäft der Aggregatoren das Amazon-Flywheel weiterdreht und für Kunden mehr Auswahl, bessere Qualität, günstigere Preise und einen höheren Prime-Anteil bringt, wird Amazon das Geschäft tolerieren.
Ob Amazon jedoch die Berichterstattung über Aggregatoren gefällt, ist eine andere Frage: Denn ein Narrativ der Plattform ist es ja, dass jede Ein-Personen-Marke mit den Retail-Größen konkurrieren und sich seinen Teil vom Markt erschließen kann. Wenn aber große Finanzkonstrukte mit viel Geld und Exit-Absichten immer mehr Marken aufkaufen, könnte das diesem Image langfristig schaden.
Ausblick: Aggregatoren bläst der Wind ins Gesicht
Als sicher gilt, dass sich die Deals nicht nur für die FBA-Aggregatoren, sondern auch für Händler und Markenbetreiber lohnen können, auch wenn es für beide Seiten in Zukunft schwieriger wird, attraktive Margen zu erwirtschaften. Händler können so, ähnlich wie Start-ups anderer Branchen, einen "Exit" schaffen und durch einen Verkauf eine neue Perspektive fürs eigene Business gewinnen.Gleichzeitig schließt ein Verkauf aber auch nicht aus, dass man sich als Händler weiter mit neuen Projekten auf Amazon platziert, ganz im Gegenteil. Und Aggregatoren halten den Kontakt zu Händlern, die verkauft haben, da diese das perfekte Rüstzeug besitzen, um erneut ein erfolgreiches Business aufzubauen.