Wholesale hat auf Marktplätzen schon immer funktioniert. Doch ist es heute wirklich noch die beste Vertriebsstrategie? Selten, glaubt Etailment-Gastautor Tobias Ring von Scayle. Er sagt: Mit der Verantwortung für die Ware geben Marken auch die komplette Kontrolle an die großen Plattformen ab und erklärt, warum Hybrid-Modelle für eine ausbalancierte D2C-Strategie häufig die beste Wahl sind.

Amazon, Zalando und About You haben sie, Marken wollen sie: Reichweite und direkten Kundenzugang. Selten können Marken jedoch in direkter Konkurrenz mit den großen Plattformen bestehen. Dafür sind Plattformen für Kunden zu attraktiv: breites Sortiment, regelmäßige Angebote, kostenloser und schneller Versand sowie bis zu 100 Tagen Rückgaberecht – für Plattformen sind das lediglich "Hygienefaktoren".

Wenn Marken Plattformen jedoch optimal für ihr Marktplatz-Geschäft nutzen, entsteht erst gar keine Konkurrenzsituation. Und der erste Schritt hierfür liegt in einer passgenauen Strategie, wie Produkte dort verkauft werden sollen: über Wholesale, Dropshipping oder ein Hybrid-Modell? Was auf den ersten Blick wie eine risikoarme Strategie erscheint, kann sich jedoch insbesondere für wachsende Marken sehr schnell als Nachteil erweisen.
Auf den direkten Kundenzugang der großen Online-Plattformen können Marken nicht verzichten. Um "im Windschatten" der Marktplätze zu wachsen, müssen sie deren Möglichkeiten geschickt nutzen.
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Auf den direkten Kundenzugang der großen Online-Plattformen können Marken nicht verzichten. Um "im Windschatten" der Marktplätze zu wachsen, müssen sie deren Möglichkeiten geschickt nutzen.

Wholesale: wenig Risiko, kaum Kontrolle

Das vertrauteste Vertriebsmodell auf Marktplätzen ist der Wholesale. Dabei kauft die Plattform die Ware an und übernimmt damit das gesamte betriebswirtschaftliche Risiko. Ob Lagerung, Verkauf, Lieferung oder Retouren – die Plattform hat zunächst einen höheren Investment- und Ressourcenaufwand. Bleibt Ware liegen oder kann nach einer Retour nicht weiter verkauft werden, sind das Probleme der Plattform, nicht der Marke.

Was im ersten Moment für viele Marken verführerisch klingt, hat jedoch eine nicht zu unterschätzende Kehrseite: Sie verlieren so die komplette Kontrolle über ihre Ware. Im schlimmsten Fall bedeutet das: Die Plattform verkauft Produkte günstiger als der Marken-Shop und hat vielleicht sogar noch begehrte Bestseller auf Lager, die im Marken-Shop längst vergriffen sind.
Die Folge: Durch die guten Preise und das komfortable Einkaufserlebnis, beispielsweise aufgrund langer Rücksendefristen, steigt die Bindung der Zielgruppe an die Plattform – nicht aber an die Marke.

Hinzu kommt eine weitere Herausforderung für Marken, die komplett auf Wholesale setzen: In Krisenzeiten reduzieren Plattformen ihre eigenen Bestände und fahren das Wholesale-Geschäft zurück, um sich selbst abzusichern. Marken können also weniger von ihrem Sortiment auf die Plattform bringen und bleiben mitunter auf ihrem Sortiment sitzen oder büßen Sichtbarkeit ein.

Dropshipping: hohes Risiko, volle Kontrolle

Ein anderes Marktplatz-Modell ist ebenfalls sehr beliebt: das Dropshipping. Die Einstiegshürden sind hier niedrig, da sich Marken schnell eine Plattform-Präsenz sichern, ohne Kontrolle abzugeben. Beim klassischen Dropshipping werden alle Produkte direkt von der Marke über die Plattform verkauft und selbst versendet.

Die größten Vorteile hier sind die absolute Kontrolle über die Preisstrategie und die Entscheidungsfreiheit, welches Sortiment auf welcher Plattform und in welchem Land genau verkauft werden soll. So sind beispielsweise exklusive Sortimente nicht allein den Plattformen vorbehalten.

Online-Marktplätze schaffen ein One-Stop-Shopping-Erlebnis. Händler sollten dabei aber dem eigenen Markenversprechen treu bleiben.
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Plattformen

Marktplätze jenseits von Amazon: Die richtige Strategie finden

Doch auch hier gibt es Nachteile für Marken. Wer über Dropshipping auf Marktplätzen verkauft, trägt das volle Warenrisiko. Marken müssen sich selbst um alle Bestellungen kümmern und sollten dies auch unter Einhaltung der Plattformstandards tun – außergewöhnlich lange Lieferzeiten oder eine weniger kulante Retourenpolitik fallen auf einer Plattform mit maximalem Komfort sofort auf.


Das Resultat: schlechte Bewertungen auf der Plattform und vielleicht sogar auf anderen Portalen. Zudem sind die Logistikkosten im Dropshipping extrem hoch, da meist nur jeweils einzelne Artikel verschickt werden. Und diese Kosten muss die Marke eins zu eins tragen.

Plattformeigene Modelle

Inzwischen gibt es auch noch eine dritte Möglichkeit, um auf großen Marktplätzen zu verkaufen: sogenannte "Fulfillment by"-Modelle. Marktplatzpartner können hierbei das Logistikangebot der Plattformen nutzen, z.B. deren Warenhäuser und Versandnetzwerk. Somit profitieren sie unmittelbar von niedrigeren Versandkosten, da diese aufgrund eines höheren Umschlags insgesamt bessere Konditionen erhalten.

Der Versand wird für Endkunden zudem wesentlich bequemer, z.B. schnellere Lieferungen und genauere Lieferprognosen. Aber auch der Zugang zu internationalen Märkten kann so schnell gesichert werden. Gleichzeitig behalten Marken die volle Kontrolle, z.B. über ihre Produktstrategie oder Preisgestaltung.

Das Verkaufsrisiko und die Verantwortung für die Einlagerung der Produkte in den Warenhäusern der Plattform liegt bei diesem Modell auf Seiten der Marke. Jedoch ist das Risiko gemindert durch die Nutzung von Synergien, beispielsweise beim Warenversand ins Ausland.

Hybrid-Modelle

Große Marktplätze bieten inzwischen meist alle drei Modelle an, daher sollten Marken diese auch gezielt nutzen, um ihr Risiko so gering wie möglich zu halten und dabei gleichzeitig alle Potenziale voll auszuschöpfen. In welchem Verhältnis dies geschieht, müssen Marken genau in ihrer D2C-Strategie ausloten.

Auch wenn früher Wholesale das unumstrittene Vertriebsmodell der Wahl war, so haben viele Marken bereits erkannt, dass Ownership und Kundenverantwortung Hand in Hand mit Kundenloyalität und höherem Umsatz gehen.

Auch der Logistikansatz spielt eine entscheidende Rolle. Plattformen können aufgrund bereits existierender Prozesse und Strukturen bessere Versandbedingungen zu günstigeren Tarifen anbieten. Ein internationales Marktplatz-Geschäft kann so leicht mit Dienstleistern vor Ort und präferierten Versandarten umgesetzt werden. Dazu zählen je nach Region z.B. Paketshops oder eine Lieferung per Nachnahme.

Beim "Fulfillment by"-Modell nutzen Marktplatzpartner Warenlager und Versandnetzwerke der Verkaufsplattformen und profitieren von deren günstigen Konditionen.
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Beim "Fulfillment by"-Modell nutzen Marktplatzpartner Warenlager und Versandnetzwerke der Verkaufsplattformen und profitieren von deren günstigen Konditionen.
Auch für Omnichannel-Händler gibt es interessante Möglichkeiten, das Kundenerlebnis mit Connected-Retail zu steigern, indem Ware direkt aus der eigenen Filiale verschickt wird.

Fazit

Wenn Marken alle Möglichkeiten geschickt nutzen, die Plattformen bieten, können sie "im Windschatten" dieser Plattformen wachsen. Die gestiegene Aufmerksamkeit, Reichweite und das komfortable Kundenerlebnis können Kunden dann in die eigenen Onlineshops und in die Filialen vor Ort ziehen – und das ermöglicht einen direkten Kundenzugang.

Mit einem Hybrid-Modell können Marken insgesamt wesentlich flexibler agieren und ein deutlich breiteres Sortiment auf die Plattform bringen. Grundsätzlich gilt hier: Topseller lassen sich gut über Wholesale platzieren. Midtail und Backfill für Topseller eignen sich gut für plattformeigene Modelle. Und Longtail-Produkte sollten Marken für Dropshipping einplanen, um sich größtmögliche Flexibilität zu sichern.

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