B2C und D2C kennt im Handel jeder - aber D2A? Der Verkauf im Metaverse "direct to Avatar" ist für die meisten Neuland - und stellt nicht nur das Marketing vor Herausforderungen, wie sich beim Kongress "Metaverse Now" vor wenigen Wochen in Berlin gezeigt hat. Wir stellen die wichtigsten Erkenntnisse vor.
Band Coldplay – und verteilte virtuelle Kapuzenpullis für die Avatare der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
„Die Leute haben die BMW-Hoodies dann auch auf Veranstaltungen in anderen Metaversen getragen“, sagt Schörner. „Sie haben sich erkannt, versammelt und miteinander gequatscht.“ Für Schörner, Head of Digital Content Creation & BMW Metaverse der BMW Group, war das ein Höhepunkt ihres Metaverse-Marketings. Die Geschichte steht aber auch beispielhaft für einige Ecksteine der gegenwärtigen Metaversums-Landschaft, wie sich auf dem Kongress „Metaverse Now“ zeigte, den „Der Handel“ gemeinsam mit dem Technologie-Konzern Meta in Berlin veranstaltet hat:

1. Metaversen sind soziale Räume
Getrieben von der Gaming-Community, entwickeln sich virtuelle Welten zu echten Räumen sozialer Interaktion. Und das bedeutet für Marken und Händler, dass sie dort auf Publikum treffen. Die US-amerikanische Burger-Kette Wendy’s zum Beispiel hat ein eigenes Metaverse programmiert, das „Wendyverse“, und es an „Horizon Worlds“ von Meta angekoppelt.„Wendy’s sieht sich als Gaming-Brand und tritt auch auf den entsprechenden Conventions auf“, sagt Jake Bruene, Creative Strategist Restaurants & Travel bei Meta. „Das Wendyverse ist daher ein großer Spielplatz mit der Grundidee: Was würdest du tun, wenn es die Gesetze der Physik nicht gäbe?“ Es gehe darum, der Community einen Ort zu bieten, an dem sie sich treffen und spielen könne – beispielsweise lassen sich Pinsel kaufen, um die virtuelle Welt zu bemalen.
Für die, die keine Virtual-Reality-Brille haben, läuft das Wendyverse auch als 360°-Video. E-Commerce-Funktionen stünden bisher nicht im Vordergrund und würden gerade erst gebaut, als Beispiel nennt Bruene Codes, die sich in der Wendy-App gegen Waren tauschen lassen. Vorrangig geht es um Interaktion.
2. Im Metaverse wird konsumiert
Die Hoodies von BMW fanden offensichtlich Absatz, auch wenn es „nur“ Daten waren. Oliver Lange, Head of H&M Beyond, berichtet Ähnliches: Die Besucher eines von H&M Philippines veranstalteten Metaverse-Konzerts sagten anschließend, sie hätten gerne etwas gekauft – woraufhin der Modehändler genau in diese Richtung weiterdenkt.Und Denis Horvat, Co-CEO des Sportartikel-Händlers Kickz.com, hat seine Kundschaft per Fokusgruppen-Interviews nach ihrer Kaufbereitschaft gefragt. „Das Feedback ist eindeutig – Kids wenden extrem viel Zeit auf, um ihre Avatare auszustatten“, sagt er. „Selbstdarstellung ist megawichtig. Das ist für uns der Weg in die Zukunft.“
3. Geld wird im Metaverse noch nicht verdient
Mehr als eine Marschrichtung sind diese Erkenntnisse noch nicht. Keiner der Referenten und Besucher von „Metaverse Now“ berichtete von nennenswerten Handelsumsätzen oder gar Gewinnen.Im Gegenteil: „Es ist noch nicht der Zeitpunkt, um Geld zu verdienen, sondern der zu verstehen, wie das funktioniert und was möglich ist“, sagte Pia Schörner von BMW deutlich. „Geld verdienen kommt später.“ Ausnahmen gibt es im Bereich der Luxus-Accessoires und dort, wo virtuelle Ausrüstung und Fähigkeiten an Nutzer verkauft werden – im Direct-to-Avatar-Geschäft (D2A).
4. Early Adopter sein wird sich trotzdem lohnen
„Viele halten das Metaverse noch für eine Spielerei“, sagt Sargon Korkis, Vice President Digital Experience Services bei Capgemini Germany. Er nennt das „Lack of vision” und „Lack of commitment“ – und beklagt es: „Die digitale Experience wird zum kritischen Differentiator zwischen Marken“, prognostiziert er. „Und die Zyklen werden kürzer und radikaler.“Es sei daher wichtig – auch für Händler –, sich jetzt damit auseinanderzusetzen und nicht erst, wenn die Nachfrage steigt. Oder wie es Marilyn Repp sagt, stellvertretende Geschäftsführerin des Mittelstand-Digital Zentrums Handel beim Handelsverband Deutschland: „Wer früh dabei ist, hat die wichtigen Erfahrungen.“

5. Händler brauchen Investitionsbereitschaft und eine Balance aus Strategie und Ausprobieren
Alle Metaversen basieren auf dem Prinzip, dass Händler und Marken Fläche kaufen und dort eine Präsenz aufbauen. Das kostet Geld, von Universum zu Universum unterschiedlich viel, hinzu kommen die Kosten für die professionelle Programmierung. „Man braucht Designer und Handwerker – wie im echten Leben“, sagt Kristian Kerkhoff, Co-Gründer und Managing Partner der Digitalagentur Demodern. Und wie in jedem Onlineshop.Wie ein Onlineshop oder als Nachbau eines physischen Geschäfts sollte ein Laden im Metaverse allerdings nicht funktionieren. Es gilt genau festzulegen, welche Zielgruppen und Communitys erreicht und welche Werte transportiert werden sollen, sagen mehrere Referenten. Und dann passende Erlebnismöglichkeiten zu schaffen und die physischen zusammen mit digitalen Produkten zu denken.
Der Rest allerdings ist Versuch und Irrtum. Sargon Korkis von Capgemini bringt es auf die Formel: „Try fast, fail fast, learn fast.“ Marilyn Repp sagt es auf Deutsch: „Losrennen. Und wenn es nicht funktioniert: einstampfen.“
6. Wer Erfolg haben will, muss etwas bieten
In einem sind sich alle Experten einig: Ein bloßer Laden ist wie ein Flohmarkt, der darauf wartet, dass jemand vorbeikommt. „Im Metaverse muss ich immer etwas bieten, sonst gibt es wenig Grund, zu uns zu kommen“, so Pia Schörner von BMW. „Das haben wir mit Joytopia gelernt. Allerdings können wir nicht jeden Tag Coldplay auftreten lassen.“7. Handel setzt technische Interoperabilität voraus
Es gibt nicht nur ein Metaversum, sondern viele – unter ihnen „Horizon Worlds“ von Meta. BMW mit „Joytopia“ und H&M mit „Celestial Spaces“ machen vor, dass sich prinzipiell jedes Unternehmen einen eigenen virtuellen Raum programmieren kann. Damit sich aber Handel lohnt, müssen die verschiedenen Metaversen durchlässig füreinander werden, fordern die Experten.Es braucht „die Möglichkeit, über denselben Account den eigenen Avatar in verschiedenen virtuellen Erlebniswelten zu nutzen“, wie es Oliver Lange von H&M definiert. Denn wer im einen Metaverse eine Uhr oder einen Pullover kauft, will beides überall tragen.
8. Interoperabilität wird kommen - die Technik ist noch jung
„Wir haben sieben bis 15 Jahre abgesteckt“, sagt Stefan Edl, Head of Premium Luxury Brands & Commerce D2C & Retailers DACH von Meta. „Wir stehen noch ganz am Anfang.“Der Vergleich mit dem Mobilfunk drängt sich auf: So wie der sich vom ersten analogen Netz C1 bis zur jüngsten Generation 5G mit digitaler Echtzeitübertragung entwickelte, wird auch die Metaverse-Technik vorankommen – nur rascher. Frank Steinicke, Professor für Informatik an der Universität Hamburg, rechnet durch die Verdoppelung von Rechenleistung alle anderthalb Jahre damit, dass in 15 Jahren tausendfach stärkere Rechnersysteme und Netze zur Verfügung stehen werden als heute. „Dann werden viele Dinge plötzlich funktionieren.“
9. Und dann? Das ist noch offen
Aber es könnte alles ganz anders werden. „Wollen Kunden überhaupt noch das physische Auto?“, fragt zum Beispiel Pia Schörner von BMW. Und auch Kristian Kerkhoff von Demodern wird grundsätzlich: „Braucht ein Händler wirklich 2.000 Ladengeschäfte? Oder reicht vielleicht ein einziger Shop im Metaverse?“Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.