Es kann gar nicht genug Internet-Marktplätze geben. Karstadt-Kaufhof will ja auch einer werden. Und Real greift jetzt in der Europa-League an. Der Kunde weiß gar nicht mehr, wo er noch seine Daten hinterlegen soll. Wenn er überhaupt noch weiß, warum er überhaupt einen neuen Anbieter braucht.
Es ist schwer in dieser Woche, nichts zum Jubiläum des Mauerfalls zu sagen oder zu schreiben. Am Abend des 9. November 1989 begann der Zerfall, nein, die systematisch betriebene Auflösung der DDR. Um zu verstehen, was mit diesem kleinen, grauen und nicht immer gut riechenden Land damals gemacht wurde, sollte man staatstragende Jubelprosa sowie fiesen "Wind-of-change"-Kitsch meiden. Stattdessen empfehlen wir hier zweierlei.
1. Das Buch von Dirk Laabs, der in "Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand" beschreibt, wie dampfwalzenartig, chaotisch und mit einer, nun ja, großzügigen Auslegung des Rechts, der Westen über die ostdeutsche Wirtschaft rollte. Das betraf auch Handelslandschaft, wie das Beispiel der damaligen Tengelmann-Tochter Kaiser's zeigt, die sich ratzfatz alle attraktiven Verkaufsstellen im Bezirk Schwerin der DDR-Handelsgesellschaft HO einverleibte. "Das Staatsmonopol wurde durch das Tengelmann-Monopol ersetzt", schreibt Laabs.

2. Die ARD-Dokumentation "Der lange Abschied von der DDR, Weißenfels von 1990 bis 1995". Im Mittelpunkt des Films steht ein Kurzwarenhändler der Stadt, der in Weißenfels das war, was stationäre Einzelhändler heute sein sollen: Versorger, Berater, sozialer Treff, irgendwie ein wärmendes Lagerfeuer. Die Dokumentation zeigt, wie dieses Feuer erlischt, der Händler seinen Laden erst ausverkaufen, dann dichtmachen muss, wie er weinend am Schreibtisch sitzt und auch ein Glas Schnaps seine Gemütslage nicht verbessert.
Wenn in Weißenfels die DDR abgeschaltet wird
Heute ist das Sterben des stationären Handels ein gesamtdeutsches Problem, und das Sterben des inhabergeführten Fachhandels als großen Verlierer des Strukturwandels sowieso. Der Marktanteil dieser Betriebsform liegt nur noch bei etwa 16%, und in ein paar Jahren wird es noch weniger sein. Die Innenstädte werden austauschbare Schaufenster der ewig Gleichen der Groß-Filialisten - bestenfalls. schlimmstenfalls wird kaum noch stationärer Handel jenseits von Lebensmitteln stattfinden, weil die Menschen alles im Internet einkaufen.
Die Warenhäuser als Sehnsuchtsorte der Konsumenten
Doch René Benko will die Innenstädte retten. Zumindest glaubt er an deren Zukunft, und zwar zu "1000 Prozent", wie er dieser Tage auf einer Veranstaltung der Berliner Industrie-und Handelskammer sagte. "Die Kombination aus starker lokaler Präsenz und den eigenen Läden und hoher Online-Kompetenz wird die Zukunft werden." Damit dürfte Benko weniger den Fachhandel meinen, der online längst abgehängt ist, und den auch die diversen lokalen Portale nicht retten, sondern das Unternehmen, das ihm gehört: Galeria-Karstadt-Kaufhof.
Und online?
Da sind Karstadt und Kaufhof gerade noch besser als die Online City Wuppertal, DEM Musterbeispiel für Local Commerce.
Highspeed-Internet gegen 56k-Modem
Aber jetzt kommt Benko und schiebt die Regler auf volle Verknüpfung: "Wir haben 1,7 Millionen verschiedene Artikel, davon war in der Vergangenheit nur ein Bruchteil im Netz verfügbar." Das soll so nicht bleiben. Alle Filialen von Karstadt-Kaufhof sollen auf das Modell "Shipment-from-store" umgestellt werden. "Wenn Sie online bestellen, und Sie sind in Rosenheim, dann kriegen es auch tatsächlich aus der Rosenheimer Filiale geliefert."
Sie erinnern sich? Das klang so: Krrrrrrrrrrrrchhhhhhhhhhhzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzpfffffffiiiiiiiiiiiiks.
John Lewis war schon im Internet stark, als Karstadt seinen Webshop sogar verkleinert hatte. Und: Wer einmal allein eine beliebige John-Lews-Filiale besichtigt hat, wird sich fragen, wie dieses Niveau Karstadt-Kaufhof schaffen will, beziehungsweise, welcher verwegene Investor so viele Milliarden in die überalterten deutschen Warenhäuser stecken möchte.
Den Knopf online bestellen?
Womit wir beim Sortiment angekommen sind. Gibt es Gründe, bei Karstadt-Kaufhof einzukaufen, außer, es fehlt ein Knopf, man braucht schnell Socken oder einen Koffer? Warum man solche glanzlosen Sofortbedarfsgüter online kaufen, dann daheim darauf warten und nicht lieber schnell in eine Filiale gehen soll, muss René Benko noch erklären.
Ob der Modekunde von Zalando, hier auch seine Klamotten von Karstadt-Kaufhof kaufen möchte, wüsste man auch gerne. Seit Mai läuft ja eine verstärkte Zusammenarbeit beider Unternehmen, die Läger des Warenhauses wurden mit dem Zalando-Shop verknüpft. Es ging anfangs nur um einige Testhäuser, bei Erfolg sollten noch mehr Verknüpfungen hergestellt werden. Hat jemand davon etwas gehört?"Wenn Benko glaubt, dass er Unternehmen gar zu einer eigenen, ernstzunehmenden Onlinedestination aufbauen kann, dann glaubt er auch daran, dass die österreichische Fußballnationalmannschaft eines Tages Weltmeister wird."
Ohne Sexappeal an der Peripherie
So gut viele Absichten sind - das Problem ist, dass der Onlinemarkt längst verteilt ist. Amazon, Otto, Ebay und Zalando bestimmen das deutsche Massengeschäft, Karstadt-Kaufhof kann hier allenfalls als Marktplatzbeschicker einen Stand an der Peripherie aufmachen, aber weil ihm beim Thema Sortiment der Sexappeal fehlt, wird es dabei bleiben.

Klotzen, dann klicken
Übertragen auf den Onlinehandel hieße das: "Wer hier nicht mit Marketing klotzt, wird nicht geklickt."
Oder hat jemand gemerkt, dass die Schweizer von Digitec Galaxus seit einer Weile auch in Deutschland aktiv sind?
Was auch die famosen Marktplatzvisionen von Real auf eine harte Probe stellen wird. International Marketplace Networt (IMN) heißt das Konstrukt mit den Rumänen von eMag und dem italienischen Elektronikhändler ePrice sowie dem französischen Onlinekaufhaus cDiscount. Das neue Netzwerk soll 30.000 Händlern Zugang zur 230.000 potentiellen Kunden in Europa verschaffen - und wird als Angriff auf Amazon interpretiert. Die Attraktion für Händler soll sein: Keine weiteren Gebühren für die Anbindung an die zusätzlichen Marktplätze. Über die Verkaufsgebühren wird allerdings nichts mitgeteilt.
Der geknebelte Amazon-Händler weiß, was er hat
Gewiss, die sind bei Amazon knackig. Doch da weiß ein Marktplatzbeschicker, was er hat. Er wird geknebelt, kann sich aber einer erstklassigen Reichweite sowie der Markenbekanntheit sicher sein, die die Rumänen von eMag in Deutschland sich erst noch erarbeiten müssen. Genau wie das Netzwerk sich erst noch eine zentrale Logistik erarbeiten muss, ohne die so ein paneuropäischer Marktplatz nichts wert ist.

Aber es gibt Hoffnung: Denn der Händlerbund (sozusagen die Bürgerintiative aller Amazonkritiker) hat in einer Umfrage unter 1.077 Onlinehändlern ermittelt, dass Real für den fairsten, Amazon für den unfairsten Marktplatz gehalten wird. Doch fair geht nicht immer vor, denn beim Umsatz ist die Nummer eins: Amazon. Real liegt dann nur noch auf Rang drei.
Dass man mit Fairness eben nicht viel verdient, hatten sie ja auch in der DDR ab 1989 gemerkt.
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