Ein Bürgermeister in Bad Hersfeld zeigt, wie man eine Stadt und seinen Handel digitalisiert. Damit verwirrt er die Traditionalisten vor Ort. Aber das ist ihm egal, denn über der Stadt thront der größte Prozess-Beschleuniger, den es im Handel je gab. Und der ist für den Bürgermeister das Maß der Dinge.

Und plötzlich verstauben keine Akten mehr in den Schränken
Fehling digitalisierte die Stadtverwaltung, und entleerte damit die Aktenschränke in den Amtsstuben, die Bürger können online gegen Strafzettel Einspruch einlegen oder Gewerbescheine beantragen, 2016 wurde zum Bad Hersfelder Weihnachtsmarkt das öffentliche W-LAN live geschaltet. Zudem kann alle Welt auf der Internetseite badhersfeld.urbanpulse.de in Echtzeit die Daten lesen, die die Stadtverwaltung ständig für die Bürger ermittelt wie Grad der Luftverschmutzung oder Anzahl der freien Parkplätze im Stadtgebiet. Und wenn möglicherweise ab 2022 autonom fahrende Busse die Leute aus der Innenstadt zum geplanten Kaufland-Center bringen, dann ist Fehlings Großprojekt von einer Smart City schon sehr weit gediehen.
Von Amazon lernen heißt, Kunden frühzeitig identifizieren
Was seine stationären Händler von Amazon lernen können, hat er einem letztens gesagt. Dass es Unsinn ist, wenn der Kunde erst am Ende seines Kaufprozesses per Kundenkarte seine Vorlieben offenbart und damit dem Händler keine Möglichkeit mehr gibt, darauf einzugehen. "Bei Amazon identifiziere ich mich am Anfang. Im klassischen Einzelhandel am Ende."Das ist in der Tat Unsinn.
Seine Idee: In den Läden Terminals aufstellen, wo die Kundenkarten gescannt werden können, es kommt dann die Lieblingsverkäuferin und beginnt mit dem Einkaufsfestival.

"Digitalisierung ist keine Party"
"Digitalisierung ist keine Party" schrieb Panos Meyer in einem Gastbeitrag für das Manager-Magazin. Der Text des Geschäftsführers der Digitalagentur Cellular kann als eine Art Grundgesetz für dieses Thema gelten. All die Schwätzer und Wichtigtuer, die das Wort "digital" als lässigen Lifestyle übersetzen, aber die praktische Anwendbarkeit völlig außer acht lassen, müssen ihn lesen.Immer wieder: "Wer die digitale Transformation seines Unternehmens ernsthaft angehen will, muss zunächst sehr grundsätzlich seine eigenen Strukturen analysieren und überdenken, analoge Prozesse in digitale transformieren und anschließend auf Basis dieser Introspektion neue Geschäftsmodelle entwickeln. Wer Beratern glaubt, die etwas anderes behaupten, braucht nicht einmal Wettbewerber, um langfristig unterzugehen."

Die analoge Welt ins Smartphone packen
Wenn Media-Markt seit dieser Woche im Markt in Gründau-Lieblos Instore-Navigation per Smartphone testet, dann ist das nur richtig (leider vielleicht auch eine Möglichkeit, Personal einzusparen, aber das ist jetzt ein anderes Thema). Die Herausforderung wird allerdings sein, die Kunden zum Download der dafür notwendigen App zu motivieren.
Gute Laune machen andere Sachen
Digitalisierung ist dann gut, wenn sie praktisch ist, also, wenn sie sie verstanden wird, dass sie Prozesse erleichtert, verschnellert, vereinfacht. Es geht vor allem darum, das Analoge mit dem Digitalen zu verbinden, um es leichter zu machen, so, wie es Bürgermeister Fehling in Bad Hersfeld will. Es geht nicht um bling, bling. Oder wie Panos Meyer (Sie sollten ihm bei Twitter folgen) schreibt: "Je stärker wir uns eine Gute-Laune-Digitalisierung als Scheinwirklichkeit aufbauen und je mehr Konzerne ihr Heil in einem bunten Fassadenanstrich suchen, desto böser wird das Erwachen in einigen Jahren sein."Digitalisierung strengt an. Zumindest, wenn man sie richtig angeht. Aber der Weg vom Mittelalter ins Zeitalter der Aufklärung war auch kein leichter.