Statistiken können zugleich verwirren und vereinfachen, hat der amerikanische Schriftsteller Darrell Huff geschrieben. Der Meister hätte an manch aktuellem Zahlenwerk zum Onlinehandel seine Freude. Oder auch nicht. 

Jeder, der sich mit Statistiken beschäftigt, kennt Darrell Huff und seinen Klassiker "How to lie with statistics". Huff war US-amerikanischer Journalist und Schriftsteller. Seinen Bestseller stellte er 1954 vor, und darin beschreibt er, wie grandios man mit Statistiken etwas vorgaukeln kann, was statistisch zwar korrekt, aber mehr auch nicht ist. "Die geheime Sprache der Statistik, die in einer faktenorientierten Kultur so ansprechend ist, wird eingesetzt, um zu sensationieren, aufzublasen, zu verwirren und zu vereinfachen", hat Huff unter anderem geschrieben. 

Redaktionen bekommen wöchentlich jede Menge Statistiken angeboten, Umfragen, Erhebungen oder "Studien". Da wird dann etwa behauptet, dass Deutsche Sehnsucht nach irgendwelchen technischen Superdingen im Einzelhandel hätten - verbreitet werden solche Erkenntnisse gerne von Anbietern solcher Techniklösungen.

Hammer: Wenn Katzenbesitzer Katzenfutter kaufen

Populär sind auch großspurig international angelegte Erhebungen zum Einkaufsverhalten der Menschen, wofür dann mal 3.000 Konsumenten befragt werden - jedoch in fünf oder mehr europäischen Ländern. Bleiben dann für das jeweilige Land ein paar Hundert Probanden, deren Meinungen aber zu Überschriften wie "87 Prozent der Deutschen wollen dies und das" aufgeblasen werden.

Es gibt auch aktuelle Spitzeninfos wie: "Beim alltäglichen Einkauf im Supermarkt landet bei 25,2 Prozent der Katzenbesitzer Futter im Einkaufskorb." 

Nun schreiben wir wieder einmal Januar, statistisch und Kraft unserer Erfahrungen unstrittig ist, dass in diesem Monat ein neues Jahr begonnen hat. Traditionell werden jetzt Bilanzen gezogen und Prognosen aufgestellt. Was war? Was kommt (wenn nichts dazwischenkommt)? 

Zahlen, die manche Stirn furchen lassen

Auch der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) hat wieder seine Rückschau gehalten - und die Umsätze des Onlinehandels im vergangenen Jahr ventiliert. Deutliches Plus, Wachstum, jaja, alles klar. Was sonst? 
Steffen Gerth, Redakteur bei Der Handel und Etailment
© Aki Röll
Steffen Gerth, Redakteur bei Der Handel und Etailment
Dass dieses Zahlenwerk jedoch manche Stirn furchen lässt, ist nicht neu. Die Branche erinnert sich belustigt an den hübschen Streit zwischen dem E-Commerce-Professor Gerrit Heinemann und Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. 

Die Friedenspfeife hat gequalmt

Während der eine von "Zahlensalat" spöttelte, meckerte der andere mit Verweis auf die solide  Erhebungsmethode, dass das nicht stimme. Es hat schön gekracht zwischen beiden Fraktionen - mittlerweile ist die Friedenspfeife herumgegangen, um man tut so, als ob man sich wieder lieb hat.

Auch wenn sich deren Qualm verzogen haben mag, liegt immer noch (oder wieder) Nebel über den Zahlen und dem, was wir da in diesem Januar lesen. Warum nämlich der Umsatz der deutschen Pure Player im Jahr 2018 nur 9,77 Milliarden Euro betragen haben soll, will uns nicht einleuchten.
So wenig?

Amazon ist nicht Amazon

Tja, weil nämlich sämtliche Amazon-Umsätze denen der Marktplätze  zugerechnet werden, die damit auf insgesamt das neue Rekordhoch von 30,62 Milliarden Euro kommen.
Hmm, aber darf man das so einfach?
Denn Amazon ist AUCH Marktplatz, aber nicht NUR, weil der Riese nämlich auch Pure Player ist - mit eigenem Fullfilment, eigenen Marken, eigenen Produkten. Folglich entstehen hier zwei Umsatzgrößen, die man auseinander halten muss. So wie etwa wie man bei Rewe auch nicht das Geschäft mit den Vollsortimenter-Supermärkten, der Discount-Linie Penny und den Baumärkten Toom in einen Topf wirft.  

Rechnen wir mal ein bisschen:
Hier auf Seite 70 kann man übrigens bequem und offiziell nachlesen, dass Amazon allein 2017 (für dieses Jahr gibt es bereits valide Zahlen) in Deutschland rund 15 Milliarden Euro (rund 17 Milliarden Dollar) umgesetzt hat. Jetzt ist eine Zuordnung naturgemäß schwierig, weil Amazon das Marketplace-Geschäft mit seinem Gesamtumsatz, Privisionen und Gebühren nicht einzeln anzeigt, sondern alle Services, Amazon-Cloud AWS, Prime - salopp gesagt, in seinen Töpfen verschleiert.
Man macht aber nach Durchsicht unterschiedlichster Zahlenwerke und Zahlenspielereien in der Tendenz nicht viel verkehrt, wenn man das Eigenhandelsgeschäft im Umfeld von 10 Milliarden Euro verortet, und das Marktplatz-Handelsvolumen über 15 Milliarden Euro taxiert.
Die Top 10 der erfolgreichsten Onlineshops in Deutschland
© Statista/EHI-E-Commerce Markt Deutschland 2018
Die Top 10 der erfolgreichsten Onlineshops in Deutschland
Würde man also das Eigenhandelsgeschäft von Amazon den Pure Playern zuschlagen, kämen diese flott auf 20 Milliarden Euro und mehr Umsatz. Das Segment würde dann in etwa auf Augenhöhe mit Multichannel-Versendern liegen.
Das wäre keine Botschaft, die so richtig ins kulturelle Umfeld passt und dem eigenen historischen Narrativ wiedersprechen würde, dass die die Umsätze der Pure Player seit jeher eher unterschätzt. 
© bevh
Aber der bevh stützt seine Ergebnisse auf eine Verbraucherbefragung, seit 2018 mit einem neuen Partner, dem Marktforschungsunternehmen Beyondata (Berlin). Und das erkundigte sich von Januar bis Dezember vergangenen Jahres bei 40.000 Menschen aus Deutschland im Alter ab 14 Jahren über deren "Ausgabeverhalten im Online- und Versandhandel und zu ihrem Konsum von digitalen Dienstleistungen", wie es heißt.

Wie will man Amazon einstufen?

Gut, die Frage ist ja immer, wie gefragt wird, um eine Antwort zu bekommen - die man vielleicht gerne hätte. Es ist aber auch ein methodisches Manko. Kunden wissen ja oft nicht einmal bei der Bestellung, ob sie nun bei Amazon direkt oder einem anderen Händler auf Amazon einkaufen. Und erleben dann hinterher womöglich ihr blaues Retouren-Wunder. Wie sollen sie sich später bei einer Befragung genau daran erinnern? Und können sie das überhaupt unterscheiden? Aber nur weil der Kunde das nicht trennen kann, sollte man dann nicht dessen Eintopf servieren. 

Karstadt-Kaufhof-Tüten: Da wird zusammengetragen, was zusammengehören soll.
© Crescenti
Karstadt-Kaufhof-Tüten: Da wird zusammengetragen, was zusammengehören soll.
Nächste Woche erwarten wir die nächsten Statistiken für die Handelsbranche. Am Donnerstag gibt der Handelsverband Deutschland (HDE) in Berlin den jährlichen Bericht zur Lage der Handelsnation ab. Bei den Umsatzzahlen befragt der HDE ausschließlich Unternehmen aus dem Einzelhandel. Der HDE wagt darüber hinaus auch eine Bewertung der Großwetterlage und nutzt hier Erkenntnisse aus dem eigenen Konsumbarometer, vom Statistischen Bundesamt sowie Wirtschaftsforschungsinstituten. 

Auch der Händlerbund fragt - nur eine Antwort fehlt

Vielleicht hat sich bis dahin auch der Händlerbund gemeldet, die Konkurrenz zum bevh, der jedoch eher als Dienstleister zu verstehen ist. Noch können hier Händler online mitteilen, wie die Geschäfte 2018 gelaufen sind, sehr gut, naja oder zum Davonlaufen. Auch nach Retourenmengen wird sich erkundigt - und ob man mit dem Weihnachtsgeschäft zufrieden war. 

Man hat sich durch diesen Fragebogen schnell durchgeklickt - eine nicht ganz unerhebliche Auskunft wird nie eingeholt: Wie hoch in Euro und Cent waren denn nun der Umsatz des jeweiligen Händlers und damit der Branche? Eine Zahl, die von großem Interesse sein sollte, wie man vermuten könnte. Aber vielleicht wird dieser Wert ja noch anderweitig erhoben, wir erwarten mit Spannung die nächste Woche.

Jetzt wird entschlossen saniert beim Kaufhof

Vielleicht ist ja bis dahin auch die Kaufhof-Belegschaft schlauer, was mit ihnen passieren wird. Denn wenn neuerdings davon die Rede ist, dass die Sanierung des Warenhausunternehmens doch knackiger ausfallen werde, als gedacht, sollte man mit stürmischen Zeiten rechnen. Die Geschäfte (auch an Weihnachten) in den Filialen sollen 2018 nicht so toll gewesen sein, und, welch Überraschung, auch online sei es bergab gegangen. Es können ja ohnehin nur noch Fetischisten sein, die online bei Kaufhof etwas bestellen. 
© etailment
Und nun? Führe kein Weg an "einer entschlossenen Sanierung" vorbei, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen, der ganz nah dran sei an der Kaufhof-Sache. So eine wie die "entschlossene Sanierung", die 2014 die Rettung von Karstadt eingeleitet hat. Oh. Moment.
Der Eigentümer Hudsons Bay müsse jedenfalls frisches Geld bereitstellen, zwischen 150 und 170 Millionen Euro, und am besten dann noch einmal 200 Millionen, heißt es. Am Ende könnten es dann fast 400 Millionen Euro sein, die der Kaufhof braucht. So einen Batzen will heute noch jemand in ein siechendes Warenhausunternehmen stecken? Wie wahrscheinlich ist das? Statistisch gesehen?

Der Kampf geht los

Also "entschlossene Sanierung". Nur: Was heißt das? "Wir kämpfen um jede Filiale", hatte René Benko in dem denkwürdigen "Handelsblatt"-Interview gesagt. Damit konnte der Mann, dem Karstadt gehört, und der jetzt auch die operative Kontrolle bei Kaufhof hat, erst einmal beeindrucken.

Doch so ein Satz des Herrschers über Warenhausdeutschland ist vor allem taktisch brillant gewählt, denn er annonciert ein ehrliches Interesse, lässt jedoch offen, wie intensiv dieser Kampf und lässt Benko moralisch gut dastehen, wenn er möglicherweise bald sagen wird: "Wir haben bei einigen Filialen leider den Kampf verloren." 

Ins Boot Camp bei Edeka-Lieferanten

Jetzt verschmelzen Karstadt und Kaufhof erst einmal erwartungsgemäß den Einkauf. Die Synergiefestspiele haben begonnen, und es werden insgesamt Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe erwartet, auch durch bessere Einkaufskonditionen, schreibt die "Lebensmittel Zeitung".

Wenn jetzt Karstadt und Kaufhof gemeinsam am Tisch mit Herstellern über Einkaufskonditionen reden, denn sollten die vielleicht einen Weiterbildungskurs besuchen. Vielleicht bei Unternehmen, die versuchen, bei Edeka Ware unterzubringen und Erfahrungen haben mit solchen Verhandlungen. Das wäre dann eine Art Bootcamp, und danach ist man entweder ein mentales Wrack oder imstande, einen fahrenden Güterzug per Willenskraft zum Stehen bringen.

Meinungen für Leute, die sich eine Meinung zutrauen

Statistisch können wir das alles selbstverständlich nicht belegen. Uns reicht, wenn wir am Ende wieder mal recht behalten werden. So wie es im Fußball neuerdings Unterschiedsspieler gibt, ist Etailment die Unterschiedsredaktion. Hier gibts Meinungen für Leute, die sich eine eigene Meinung zutrauen. 

Gemäß dem Satz von Darrell Huff: "Ein Unterschied ist nur dann ein Unterschied, wenn er einen Unterschied macht."

Schönes Wochenende.

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