Metro ist seine Tochter Real endlich los. Nun wird gerätselt, was aus dem SB-Warenhausunternehmen wird. Die russischen Käufer können sich erstmal über einen guten Deal freuen, denn die aktuelle Lage bei seiner Neuerwerbung ist verblüffend gut. Das ist aber einer wachsenden Krise geschuldet.

Die Welt der Floskeln kennt auch diese: Jede Krise ist eine Chance. Deswegen muss in dieser Woche (wie vielleicht auch in den folgenden) mit dem Coronavirus begonnen werden. Das Thema Hamsterkäufe und mehr wurde überall bereits hinreichend thematisiert - dass der Lebensmitteleinzelhandel ein Profiteur dieses Konsumenten-Irrsinns ist, vielleicht weniger. Und noch weniger, dass selbst ein kriselndes Unternehmen  von dem aktuellen Einkaufsrausch profitiert:

Real.

Gerade wurde die bisherige Metro-Tochter nach langem Gezerre und viel Rauschen an den Investor SCP verkauft, hinter dem die russische Familie von Felix Jewtuschenkow steckt. Verdi brachte sich am Dienstag in Stellung, zog ein Fazit, tadelte und forderte. Stefanie Nutzenberger, das für den Einzelhandel zuständige Vorstandsmitglied der Gewerkschaft, bezeichnete die Bilanz des Verkaufsprozesses als "desaströs". 
Notfallpaket bei Real.de
© Real
Notfallpaket bei Real.de
Infolge dessen habe das Unternehmen immer mehr an Wert verloren. Sie wetterte gegen den in dieser Angelegenheit untätigen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und klagte, dass die 34.000 Beschäftigen der SB-Warenhauskette nicht wissen, "ob sie in einem Jahr noch Arbeit haben".

Beste Aussichten für die ersten beiden Quartale

Gewiss, im Real-Kosmos ist die Unsicherheit jetzt groß. Was will SCP mit den 276 Filialen eines angeschlagenen Vertriebsformats anfangen? Erst einmal werden sich die neuen Eigner sagen: "Otschen karascho (Russisch: sehr gut), das sind ja prächtige Zahlen, die wir da geliefert bekommen." Denn bei Real soll man sich mindestens über das erste, sehr wahrscheinlich auch über das zweite Quartal dieses Jahres freuen. Denn hier klingelten und klingeln die Kassen. Hurra, Corona!

Gar als "geil", bezeichnet ein Real-Manager die momentanen Umsätze an den Ladenkassen. Für das EBIT (Betriebsergebnis) in diesem Zeitraum werde eine Steigerung in zweistelliger Millionenhöhe erwartet.

"Im Februar waren wir im gesamten Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr Dank des zusätzlichen Verkaufstages mit 7 bis 10 % im Plus." Achtung: Und das angeblich flächenbereinigt!

Und weil keiner weiß, was das Virus alles noch mit Deutschland macht, ob der Konsument sich Lagerflächen anmietet, um die Mengen an Toilettenpapier, Dosen-Ravioli und Mehl unterzubringen, könnte auch für Real die Aussicht nicht schlecht sein. Krisengewinnler nennt man so etwas.

Kollege Jewtuschenkow wird sich sagen: Wunderbar, da haben wir für einen lächerlichen Preis (die Metro bekommt 300 Millionen Euro an Nettomitteln, erhofft sich aber zusätzlich 1,5 Milliarden Euro aus dem Verkauf des Mehrheitsanteils am chinesischen Geschäft) ein schmuckes Handelsunternehmen bekommen. Bekanntermaßen ist das Coronavirus in Russland und den USA nicht so schlimm, weil die jeweiligen Staatschefs (Putin, Trump) das so behaupten.

"Ich glaube nichts, was derzeit gesagt wird"

Doch SCP wird gewiss andere Pläne für Real haben, als die German Angst zu bedienen - doch wie diese aussehen, weiß eben keiner. "Ich glaube nichts, was derzeit gesagt wird", heißt die Strategie von Orhan Akman, bei Verdi Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel. Das dürfte richtig sein. Denn nachdem bereits Mittwoch bekannt wurde, dass SCP sieben Real-Häuser schon bis Mitte 2021 schließen will (Bamberg, Deggendorf, Augsburg, Papenburg, Rheine, Bad Sobernheim und Wildau bei Berlin), sollte jedes Statement des neuen Eigentümers mit Vorsicht quittiert werden. 
Steffen Gerth ist Redakteur bei Etailement und Der Handel
© Aki Röll
Steffen Gerth ist Redakteur bei Etailement und Der Handel
Der ursprüngliche Plan sah ja aus, dass SCP 30 Real-Filialen mangels Perspektiven dicht machen, 50 weiterführen und das Gros der bisher 276 Häuser an Konkurrenten wie Kaufland oder Edeka abstoßen will.  Zumindest ist das die offizielle Variante.

Die Rechnung von einer schnellen Milliarde Verkaufserlös

Spannend wird das Thema, wenn der Gewerkschafter Akman in einer schnellen Rechnung die finanziellen Chancen für SCP aufzeigt. 65 Real-Häuser sind nämlich Eigenimmobilien, "und wenn man die für jeweils 15 bis 20 Millionen Euro verkauft, dann hat man mehr als eine Milliarde Euro eingespielt".

Verdi ist erst einmal skeptisch, dass SCP mit dem Erwerb von Real Ambitionen im Einzelhandel verfolgt. Und wenn, dann bezweifelt man deren Solidität. Bezogen auf die 50 Filialen, die mindestens 24 Monate weitergeführt werden sollen, fragt Akman rhetorisch, welche Geschäftsleitung diese betreiben soll. "Die von Real, die grandios gescheitert ist?" Er kenne auch niemanden bei SCP, der in der Lage ist, ein Unternehmen mit 50 Warenhäusern langfristig zu betreiben. Den ehemaligen Kauflandchef Patrick Kaudewitz, der nun für SCP tätig ist, hält Akman offenbar nicht für den richtigen Mann. 
Gewerkschafter Akman: "Ich glaube nichts von dem, was derzeit gesagt wird."
© Kay Herschelmann
Gewerkschafter Akman: "Ich glaube nichts von dem, was derzeit gesagt wird."
Das sehen nicht wenige bei Real anders. "Kaudewitz wird sich ein Team zusammenstellen, das vom Einzelhandel etwas versteht", sagt ein Manager der SB-Warenhauskette. "Er kommt von der Fläche, und hier kennt er sich auch aus."

Auskennen ist das eine, ein angeschlagenes Unternehmen aufpäppeln ist etwas anderes. Coronavirus hin oder her. Denn zieht man die Renommierprojekte der Markthallen wie in Krefeld, Braunschweig oder Aschaffenburg ab, wurde in die "normalen" Häuser seit Jahren wenig bis nichts investiert. Es geht dabei nicht einmal um faszinierende Verkaufsflächen, sondern sogar um Banalitäten wie Laderampen, die für die Anlieferung ungünstige Höhen haben sollen.

Der Markt braucht nicht noch mehr Fläche

So eine Ausgangslage wird den Verkaufspreis der Immobilien erheblich tangieren. Interessant wird darüber hinaus, was mit den Häusern passiert, die nicht im Real-Eigentum sind, erst recht mit denen, die 6.000 Quadratmeter und größer sind. Nutzt der neue Eigentümer die Flächen selbst? Teilt er sie auf? Wenn ja, an wen? Und vor allem: Wer braucht noch mehr Handelsflächen im gesättigten deutschen Markt? Die Baumärkte bestimmt nicht, die haben damit zu tun, ihre eigenen Überkapazitäten in den Griff zu bekommen. 

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Sollte Edeka Märkte übernehmen, dann muss gefragt werden, ob die blau-gelbe Genossenschaft die Häuser a) als Regiebetriebe weiterbetreiben oder b) an selbstständige Händler weitergeben will. Vor b) hat Verdi Angst, weil dann für die Mitarbeiter das Ende der Tarifbindung und der Mitbestimmung droht. 

Aber es gibt auch c): Würde Edeka wirklich Großflächen mit SB-Warenhäusern betreiben wollen, wo der Nonfood-Anteil derzeit zwischen 30 und 50% liegt? Bei Real gibt es ja nicht nur Fisch und Fleisch, sondern auch Jacken und Hosen, Fernsehgeräte und E-Bikes - hier sogar mit Beratung. Und damit werden verblüffende Ergebnisse erzielt. Weniger mit den Fernsehern, denn hier geht es vor allem um Umsatz mit Posten, die mitunter kaum eine Woche auf Lager sind. Rein-raus-Geschäft nennt man das.

"Aber mit Fahrrädern und E-Bikes erzielen wir gute Handelsspannen", heißt es aus Real-Kreisen. Textilien allerdings sind Ladenhüter. Hier drücken mitunter hohe Mieten, hohe Personalkosten sowie der Preisdruck der Discounter die eigenen Erträge.

Zudem: Wer schreibt Real heute noch eine Warenkompetenz bei Mode zu?

Zurück zur Frage, wer die Häuser übernehmen will, soll, kann. Kaufland scheint im Norden Deutschlands gesetzt zu sein. Untervermietungen an Drogisten wie Müller, den wie wild expandierenden französischen vertikalen Sportartikelhändler Decathlon, mehr Gastronomie. Ganz gewiss wird Decathlon sogar auch ganze Märkte übernehmen. 
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Und sonst? 

Innerhalb des Realkosmos' fanden viele die vor einer Weile diskutierte Idee charmant, dass Amazon zumindest einige der Häuser übernehmen und zu vielfältigen Servicecentern umbauen wolle. 

Aktuell ist davon kaum noch etwas zu hören. Heißen muss das aber nichts. 

Zu hören ist bisher auch wenig, wer den viel gelobten Online-Marktplatz Real.de kaufen will. Das Gerücht, dass Alibaba hier Interesse habe, hält sich seit einer Weile. Wenn die Chinesen tatsächlich zugreifen sollten, wäre das nicht dumm. Im asiatischen Heimatmarkt sind sie die Nummer eins im Onlinehandel. In Europa, gar Deutschland hingegen lacht Amazon nicht mal mehr über sie, weil sie kein Gegner sind. 

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Dass Alibaba die Amerikaner aus eigener Kraft auf dem konsumstarken deutschen Markt angreifen will, ist, wenn überhaupt, aussichtslos, beziehungsweise mit einem gigantischen Aufwand verbunden. Also bleibt als Alternative: Zukäufe. 

Angst vor Arbeitslosigkeit? "Die Branche braucht gute Leute."

Weniger aussichtslos ist es für viele der 34.000 Beschäftigten von Real, einen neuen Job zu finden. Die Gewerkschafterin Nutzenberger malt hier schlimme Szenarien an die Wand. Wer sich allerdings im SB-Warenhaus umhört, bekommt eine andere Stimmung präsentiert. "80 bis 90 Prozent der Leute kommen anderswo unter", ist sich ein Manager sicher. Grund: Edeka und Rewe legen in ihren Märkten immer mehr Wert auf Qualitätsambiente mit Bedientheken, Gastro und Service. "Deswegen werden 9 von 10 Bewerbern  auch einen neuen Job bekommen", heißt es. "Die Branche braucht gute Leute. Fleischfachverkäufer etwa müssen sich keine Sorgen machen."

Die Frage wird nur sein: zu welchen Konditionen gibt es anderswo Beschäftigung?

Und: Mag für Facherverkäufer aus dem Lebensmittelbereich die Lage nicht schlecht sein - ihre Nonfood-Kollegen werden es deutlich schwerer haben, anderswo einen vergleichbaren Job zu bekommen. Ein örtlicher Fahrradhändler, der vom Aus einer Real-Filiale profitieren könnte, ist vielleicht eine Alternative. Aber eine sehr, sehr, sehr kleine. Nicht jede Krise bietet allen auch Chancen.

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