Vor gut einem Jahr wurde in einer Umfrage festgestellt, dass es den deutschen Konsumenten unheimlich wäre, wenn im Handel die Technik der Gesichtserkennung eingesetzt würde. Seitdem dürfte sich wenig geändert haben. Dabei brächte der Einsatz sowohl Kunden als auch Händlern Vorteile.
Ein Vorgang füllte das nachrichtliche Sommerloch im vergangenen Jahr. Die Kette Real wollte an der Kasse die Gesichter der Wartenden erkennen lassen, um passende Werbung ausspielen zu lassen. Datenschützer und Verbraucherverbände liefen Sturm und alle Beteuerungen, dass die Mustererkennung lediglich das ungefähre Alter und das Geschlecht der Person erfassen würde, aber keine biometrischen Kennzeichen gespeichert werden, halfen nichts. Nach wenigen Tagen gab das Unternehmen dem Druck der Öffentlichkeit nach. Ähnlich kläglich scheiterte ein Experiment von Bayer. Der Konzern wollte ähnliches in Apotheken versuchen.
Es herrscht (zumindest in Deutschland) schon eine interessante Ambivalenz der Menschen hinsichtlich der Verarbeitung biometrischer Kennzeichnen. In der bereits erwähnten Studie vertraten die Konsumenten die Ansicht, es sei durchaus „cool“, wenn man mit dem Fingerabdruck bezahlen könnte. Und kaum ein Smartphone kommt heute ohne einen solchen Sensor aus. Auch bei der Erfassung des Gesichts scheint es offenbar keine Befindlichkeiten (bei Verbrauchern; nicht Datenschützern, die sind stets dagegen) zu geben. „Face-ID“ am Apple-Telefon oder „Hello“ auf dem Windows-Notebook werden als komfortable Möglichkeit zum Entsperren der Geräte gesehen und genutzt. Und wenn in Fernsehsendungen wie dem legendären „Aktenzeichen XY“ der Weg von Verdächtigen über ganze Straßenzüge nachverfolgt werden kann, gehört das zum Alltag.
Nur der Handel, der darf das besser nicht einsetzen.
China ist schon einen Schritt weiter
Was die Technik bereits leisten könnte, zeigt sich im chinesischen Handel. Kunden können in den Supermärkten von Hema bereits per Gesichtserkennung bezahlen. Die Begeisterung für die technologisch neue Handelswelt, die in China entsteht, verstellt etwas den Blick dafür, dass es sich nach eigener Definition nach wie vor um einen sozialistischen Staat und nicht um eine parlamentarische Demokratie handelt. Die persönlichen Freiheitsrechte werden in China nicht so groß geschrieben.
Verkauf unter der Ladentheke
Die Erfassung und Auswertung biometrischer Kennzeichen hat inzwischen nahezu jeder Anbieter von Surveillance-Lösungen mit an Bord. Nur laut aussprechen darf man das besser nicht. So taten einem die Vertriebsmitarbeiter auf der diesjährigen EuroCIS fast schon leid, wenn es an ihren Ständen um dieses Thema ging. Dank KI und maschinellen Lernen können die Systeme Personen erkennen. Und natürlich auch deren Wege durch einen Laden verfolgen. Aber präsentiert werden die Lösungen, als müsse man diese wie Schmuddelhefte unter der Ladentheke verkaufen.Wie bequem letztlich der Einkauf für die Kunden sein könnte, wenn sie per Biometrie bezahlen, zeigt aktuell eine Studie von Wirecard. Das Unternehmen hat in einem Showcase ein IoT-Regal vorgestellt, an dem der Kunde dann per Gesichtserkennung bezahlt.
IoT Showcase Wirecard mit Gesichtserkennung
Gesichtserkennung kann mehr als Payment sein
Biometrie als Absicherung einer finanziellen Transaktion ist ein naheliegendes Einsatzszenario. Aber der breitere Einsatz im Handel würde noch weitere Vorteile mit sich bringen und neue Möglichkeiten eröffnen.Notorische Ladendiebe lassen sich auch nicht von Hausverboten abhalten. Und während der in den Innenstädten immer weniger anzutreffende „Laden um die Ecke“ dieses Hausverbot leichter umsetzen kann, weil einfach weniger Kunden hereinströmen, schaut das in Malls und großen Filialen anders aus. Mit Gesichtserkennungstechnologie sind Sicherheitskräfte schnell informiert, die dann leise und diskret eingreifen können.
Das Zusammenführen von Webanalyse und CRM-Systemen hat es dem Online-Handel ermöglicht, umfassende Profile der Kunden zu entwickeln. Im stationären Laden funktioniert das alles noch nicht so recht. Versuche mit Ortung und Identifizierung von Geräten mittels WLAN oder Bluetooth kommen in der Praxis nur wenig über das einfache Frequenzzählen hinaus. Während der Online-Handel den Kunden bereits beim erneuten Betreten des Shops passgenaue Angebote unterbreiten kann, tut sich der stationäre Handel hier sehr schwer. Gesichtserkennung wäre eine mögliche Lösung. Und die daraus erwachsenen Vorteile für die Kunden könnten auch das stärkste Argument für die (freiwillige) Identifizierung eines Kunden sein. Wieso sollte er seine Ware im nächsten Supermarkt nicht schon online vorbestellen können und die Gesichtserkennung am Eingang startet dann den Picking-Prozess? In Umfragen zeigt sich immer wieder, dass die Kunden sich mehr personalisierte Angebote auch im stationären Handel wünschen. Gesichtserkennung könnte eine der Schlüssel dazu sein.
Wohin der Kunde im Laden geht, welche Produkte er länger anschaut, ob Promotionsflächen wirken – diese Fragen lassen sich mit Gesichtserkennung bereits heute beantworten. In Echtzeit könnte die Warenpräsentation optimiert werden. Wenn der Händler sich traut, die Funktionen zu aktivieren. Denn natürlich wissen die Hersteller um die Problematik des Datenschutzes und ermöglichen auch einen rechtssicheren Betrieb.