Medikamente, Marktforschung, Medien - rund um Cannabis entwickelt sich gerade eine Industrie, die Gründer und Investoren lockt. Das grüne Gold wird bereits knapp, doch das soll sich weltweit bald ändern. Auch deutsche Start-ups wollen mitverdienen.
Bis 2030 soll sich das Wirtschaftswundermittel in der Türkei wieder so weit verbreitet haben, dass allein mit der Produktion von Marihuana pro Jahr rund 88 Millionen Euro umgesetzt werden. "Meine Mutter nähte zu Hause Taschen, die wir zum Einkaufen benutzt haben", erzählte Erdogan kürzlich. "Sie waren umweltfreundlich, und sie wurden aus Cannabis hergestellt."
Erdogan trifft damit einen Nerv: In aller Welt interessieren sich immer mehr Gründer und Investoren für Hanf, besser gesagt für dessen weibliche Seite Cannabis. Deren Blüten sind aufgrund ihrer berauschenden Inhaltsstoffe wertvoller als die langen Hanffasern, aus denen schon länger umweltfreundliche Textilien, Seile, Cellulose, Papier, Biodiesel und vieles mehr entstehen.
Getrocknet werden die Blüten zu Marihuana; aus dem Harz, das sie ausscheiden, entsteht unter anderem Hasch. Was Kiffer zur Entspannung rauchen oder in ihr Essen mengen, wird jetzt immer öfter in Form von Ölen, Tees, Tinkturen und Pulver therapeutisch eingesetzt. Cannabis etabliert sich außerdem als schmackhafte Zutat für Lebensmittel und Getränke oder als wirkungsvoller Zusatzstoff in der Kosmetik.
Cannabis - das Wirtschaftswundermittel
Schon ist der Run auf das grüne Gold zu beobachten: "Cannabis kommt langsam aber sicher auf europäischen Märkten an", beobachtet das Londoner Start-up Prohibition Partner, das vom Boom ebenfalls profitieren will und seit 2017 Wirtschaftsdaten zur Cannabis-Industrie liefert. "Gesundheit, Kosmetik und Wellness werden zuerst davon profitieren, aber auch Lebensmittel, Getränke sowie der Finanzmarkt nähern sich an." Bis 2028, so der vierte Cannabis-Report von Prohibition Partner, soll das Marktvolumen allein in Europa auf 123 Milliarden Euro wachsen.Cannabis wirkt zwar schmerzstillend, beruhigend, entzündungshemmend sowie entkrampfend und kann daher in der Medizin viel Nutzen stiften. Doch die geschätzten 180 Cannaboide von Hanf sind kaum erforscht. Start-ups wie Cannopy Growth und Tilray aus Kanada oder Cannamedical und Farmako aus Deutschland haben sich deshalb der Forschung, Qualitätssicherung und Medikamentenentwicklung verschrieben und bauen zugleich Vertriebskanäle für Hasch und Marihuana an Apotheken und Ärzte auf.

Von den darin enthaltenen Cannaboiden sind heute lediglich die Wirkung von Cannabidiol (CBD) sowie vom psychoaktiven, berauschenden Tetrahydrocannabiol (THC) bekannt - die Hauptursache für die Kriminialisierung von Cannabis und ein Grund, warum Hanf aus der europäischen Landwirtschaft und aus der Heimat Erdogans weitgehend verschwand.

Kapital für Forschung und Medikamente
Inzwischen plädiert aber selbst die Weltgesundheitsbehörde WHO für eine Neubewertung und will Cannabis aus dem Drogensumpf ziehen. Gleichzeitig lockern immer mehr Staaten Verbote und legalisieren den Gebrauch der weichen Droge: Als erstes Land gab 2013 Uruguay den Gebrauch von Cannabis frei. Kiffer dürfen seither für den Eigenbedarf sechs Pflanzen ziehen. Dem Beispiel folgten Österreich, Spanien, Portugal, 33 Staaten der USA, und im vergangenen Oktober mit großem Tamtam Kanada.In Deutschland indes ist seit 2016 zumindest der medizinische Einsatz von Cannabis erlaubt, seit 2017 bezahlen gar die Krankenkassen die oft teuren Behandlungen mit dem Wirtschaftswundermittel. Es wirkt: Bis 2018 hat sich laut Apothekerverband Abda die Zahl der Rezepte auf fast 95.000 fast vervierfacht, die Zahl der ausgegebenen Einheiten wuchs von 44.000 auf 145.000.
Wurden 2018 schätzungsweise rund 50 Millionen Euro mit Medizinal-Cannabis umgesetzt, soll die Summe in diesem Jahr auf bis zu 200 Millionen Euro und bis 2028 auf acht Milliarden Euro wachsen. In Deutschland könnten 2,5 Millionen, europaweit mindestens 15 Millionen Menschen mit Cannabis behandelt werden.
Solche Aussichten lassen Investoren aufmerken: Zuerst gewann das Pharma-Start-up Farmako eine Millionenfinanzierung vom Berliner Company-Builder Heartbeat Labs, danach warb Cannamedical ebenfalls 15 Millionen Euro vom US-Investor Orkila Capital ein.
Cannamedical - Trailer
Mehr Anbaumengen, bessere Geschäfte
Zwischen acht und zwölf Euro bezahlen Kiffer heute in Deutschland pro Gramm Gras. Möglich, dass die Preise steigen werden: "Da mehrere Länder gerade ihre Gesetze rund um Cannabis und dessen Gebrauch verändern, gibt es weltweit viel zu wenig davon", schildert Farmako-Sprecher Ewald Wachstumsprobleme.Hierzulande kontrolliert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Anbau. 79 Betriebe haben Lizenzen für die erste Ernte von gut zehn Tonnen erworben, die nach juristischem Hickhack 2020 endlich eingefahren werden soll. Cannamedical und Farmako importieren folglich die begehrten Cannabis-Blüten, bevorzugt aus den Niederlanden und Kanada. Das verteuert zwar die knappe Medizin, hilft aber Anbietern wie Tilray und Cannopy Growth bei der Internationalisierung und lässt deren Aktienkurse hoch schnellen. Kein Wunder also, wenn Israel jetzt ebenfalls nach einem Stück des Cannabis-Cookies greift und bald 18 Tonnen der Pflanze liefern will, die im milden Mittelmeerklima besonders gut gedeiht. Wie Recep Tayyip Erdogan macht sich die FDP für den Anbau von Medizinal-Hanf und außerdem für die Lockerung der Drogengesetze stark, weil nach einer Studie des Deutschen Hanfverbandes der Staat dadurch knapp drei Milliarden Euro an Steuern und Einnahmen sowie geschätzte 20.000 neue Arbeitsplätze gewinnen kann.
Unterschiedlichste Geschäfte mit Hanf
Die Sucht nach Geschäften und Gewinn mit Cannabis und Hanf ist nicht nur im Pharmabereich zu spüren: Mit Anheuser-Busch will Tilray ein alkoholfreies Marihuana-Getränk brauen. 88 Millionen Euro lassen sich die Partner diesen Plan kosten. Derweil denken die Gründer von Hempfy in der Schweiz über THC-freien, essbaren Hanf, über geschmackvolle Hanf-Öle und entspannende Hanf-Lebensmittel nach.Hanfgarten aus Österreich hat sich bereits als größter Händler von Hanf-Weinen, Tees, CBD-Produkten sowie von Ausrüstung für den Anbau etabliert.
Marktforschungen wie von Prohibition Partner begleiten den Boom mit Zahlen, Online-Plattformen wie Leafly.com (USA) oder Newsweed (Frankreich) indes mit Informationen rund um Gesetze, Wirkung und Geschäfte. Mit Growth Market fokussiert sich in London die erste Werbe- und PR-Agentur auf den neuen Markt.
Nicht zuletzt erscheinen die ersten Apps und Programme, Algorithmen und künstliche Intelligenzen zur Erforschung von Wirkstoffen und Bedürfnissen oder zur Vermarktung von Cannabis.
In Kopenhagen bringt etwa Growbud Hanfbauern mit Verwertern zusammen und sammelt Daten rund um Wachstum und Preise. Rund 500 Millionen Euro wurden 2018 in neue Cannabis-Geschäfte investiert. Bleibt zu hoffen, dass davon nur wenig in Rauch aufgeht.