Die Coronakrise samt Frühlingsbrise beflügeln die Second-Hand-Branche. Die Renditeaussichten hier sind unverschämt attraktiv, der Kampf um die Pole Position hat begonnen.

Das verordnete Cocooning bringt offenbar die Menschen dazu, ihre Schränke auszumisten. Ein Teil davon landet auf eBay-Kleinanzeigen. In der letzten Märzwoche wurden hier gut 25 Prozent mehr Anzeigen eingestellt, als noch in den zwei Wochen davor. Auch die Nachfrage sei überdurchschnittlich, heißt es.

Ähnliche Nachrichten gibt es auch von Kleiderkreisel und Mamikreisel. Auch elektronische Artikel und Bücher werden reichlich umgeschlagen, berichtet Medimops. Auch Ebay verspricht zehn Prozent Reduktion von Retouren und B-Ware. Die Second-Hand Plattform Sphock wiederum hat eine Allianz mit Parcel2Go geschmiedet, um die Coronazeiten die kontaktfreie Tüt-zu-Tür-Lieferung zu garantieren.
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Dieser vermeintlich plötzliche Sinneswandel hat einen Vorlauf. Denn der Second-Hand-Markt ist lukrativ. Unternehmen sind in Goldgräberstimmung.

Jetzt sind auf der Homepage von Farfetch beispielsweise Sätze zu lesen wie: "Es ist Zeit unser Verhältnis zu unserer Kleidung zu überdenken – was passiert mit ihr, wenn wir sie nicht mehr wollen?"
 

Zirkuläres Denken ist angesagt

Jahrelang haben Textil-Unternehmen wie Primark oder H&M ihre Kunden und Kundinnen dazu erzogen, dass der Style das Maß der Dinge ist, und Textilien so günstig sind, dass weder Shirt noch Mantel mehr als eine Saison getragen werden müssen. Männer, Frauen, Kinder können regelmäßig den Styles der Influencer oder dem spontanen Impuls des Nachmittags folgen und für ein paar Euro während der Saison ihren Look ergänzen.

Wenn der Schrank voll ist, wandert ein großer Teil in die Kleidersammlung oder in die Mülltonne. Keine Frage, das ist nicht im Sinne des global erstarkten Bewusstseins für nachhaltiges Denken und noch besser – Handeln.

Exponentielles Wachstum

Nun soll die Wende gelingen, Verbraucher gerade bei Textilien zum "zirkulären" Denken zu erziehen – oder ist es umgekehrt?  Für den Einzelhandel muss das kein Schaden sein. Tarek Müller, Gründer des Onlinehändlers About You, rechnet damit, dass Menschen in zehn Jahren 20% ihrer "neuen" Kleidung aus zweiter Hand kaufen, erklärt er im OMR-Podcast.
Denn trotz aller Mode-Hypes, tragen die meisten Menschen im Alltag Basic-Artikel, ideal für den Second-Hand-Markt. Damit das funktioniert, müssen sie hochwertig gekauft werden.

Retouren und Verkäufe im Rücksendepaket

Müller rechnet damit, dass der Markt in den nächsten Jahren exponentiell wächst und der Impuls dafür von den Plattformen kommt. Auch About You ist am Thema dran. Die Vision: In zehn Jahren hat jeder die Wahl, Kleider neu oder gebraucht zu kaufen oder zu leihen. Wer dann sein Retourenpaket auf den Weg schickt, könnte dann gleich Artikel mit ins Paket legen, die er mitverkaufen will.

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Auch der stationäre Einzelhandel steigt in dieses Geschäft ein. Macys startete im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Second-Hand-Webseite ThredUp in 40 Geschäften Pilotverkäufe von gebrauchter Kleidung. Denn entsprechend ThredUp kauften 64% der Frauen Second-Hand-Mode – Tendenz steigend. Auch rund ein Viertel der Kaufhauskäufer greifen bereits bei gebrauchten Produkten zu.

Neuer Stil für's Kaufhaus

Ein Herz für Gebrauchtes haben alle Altersgruppen. 33% der Millennials, 31% der Babyboomer, 20% der Gen X und 16% der Gen Z sind laut der nach eigenen Angaben weltgrößten Second-Hand-Plattform ThredUp dabei.

Argumente seien entsprechend einer Studie von OC&C Strategy Consultants die Reduzierung der persönlich verursachten Abfallmenge, die Reduzierung des individuellen Kohlenstoff-Fußabdrucks und Reduzierung der Verwendung von Einweg-Kunststoff. Für Macys sei es eine Gelegenheit, Stile und Marken anzubieten, die man normalerweise bei ihnen nicht findet, zitiert Retaildive die Kaufhausikone.

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Gute Leute für die Zeit danach - Spezial Personal in Der Handel

Verlockende Rendite für Luxusprodukte

Ob die „Kreislaufwirtschaft“ für Händler ein Gewinn wird, hängt vom Sortiment ab. Höherpreisiges hat Konjunktur, stellt Accenture Strategy und Fashion For Good vergangenes Jahr in einem Bericht fest.

Für den Luxusmarkt lägen die Margen für Vermietung, Abonnementvermietung und Wiederverkauf bei 61%, 30% beziehungsweise 39%, ist bei Retaildive schon 2019 nachzulesen. Das klingt verlockend. Damit schafft man sich nicht nur einen Kanal für B-Ware, auch Rückläufer finden so eine rentable Vermarktungsschiene.

Schmaler Erlös für Verbraucher

Dazu kommen all jene, die ihren Kleiderschrank ausmisten wollen und keine Lust haben, sich auf den Flohmarkt zu stellen. Die digitale Alternative: Plattformen wie Ebay, Kleiderkreisel oder Mädchenflohmarkt, über die selbst die ehemaligen Lieblingsstücke verkauft werden. Mittlerweile erlahmt etwas die Lust der privaten Verkäufer am zeitraubenden Prozedere: Produkte fotografieren, betexten, Mails beantworten und schlussendlich Produkt verpacken und auf die Post zu tragen.

Man kann bequemer seinem Kleiderschrank zu mehr Platz verhelfen, wie beispielsweise Zalando zeigt. Per "Wardrobe App" werden die verschmähten Kleidungsstücke unterschiedlicher Label mit dem Smartphone abfotografiert und eingereicht.

Anhand der Fotos analysiert das Zalandoteam Zustand und Preiswürdigkeit der Artikel. Wenn beispielsweise Etiketten fehlen, kleine Beschädigungen festzustellen sind, wird das Stück abgelehnt, für die übrigen erhält der App-Nutzer einen Festpreis.

Entsprechen die dann eingeschickten Kleidungsstücke der Fotoeinschätzung, fließt Geld. Was mit den Produkten danach passiert, erfährt der Aufräumer nicht so genau. Der Service kommt an. Aktuell zählt Zalando eine sechsstellige Anzahl an Kunden, die Wardrobe nutzen.

Zalando will mit Pre-owned starten

Im vergangenen Sommer ging Zalando einen Schritt weiter und eröffnete für sechs Monate mitten in Berlin ein Testgeschäft für gebrauchte Damenkleidung, alles für 3, 5 oder 7 Euro: der Zircle Store.

Es kann nicht ganz so schlecht gelaufen sein. Denn diesen Herbst wird "Pre-owned" als neue Kategorie im Zalando Fashion Store eingeführt.

Neue Apps und Funktionen sollen Kunden beim Zusammenstellen ihrer Garderobe helfen - und ihnen ganze Outfits schmackhaft machen.
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Zalando will die Lufthoheit über dem Kleiderschrank

"Ab dem dritten Quartal 2020 werden Kundinnen und Kunden kuratierte Secondhand-Mode auf der Zalando Plattform kaufen und eigene Modeartikel an Zalando verkaufen können. Mit der neuen Kategorie wird Zalando seine Kundenbeziehungen weiter vertiefen, da sie Kunden noch mehr Anknüpfungspunkte bietet. Gleichzeitig unterstützt sie Zalandos Vision, eine nachhaltige Modeplattform zu werden", ist bei Zalando zu lesen.

Gleichzeitig soll auch das Premiumsegment erweitert und um Luxusmode ergänzt werden. Den europäischen Markt dafür schätzt Zalando auf 38 Milliarden Euro. Um daran künftig einen größeren Anteil zu haben, plant Zalando das entsprechende Sortiment bis 2023 zu verdoppeln. Im Idealfall kann damit später pre-owned noch mal Umsatz generiert werden.

Anders als bei Wardrobe kann nicht nur gebrauchte Mode verkauft sondern auch gekauft werden. Gestartet werden soll mit Frauen-, Männer- sowie Kindermode von Textilien über Schuhe bis zu Accessoires. H&M ist mit diesem Geschäftsmodell unter dem Namen Afound auch unterwegs, aktuell allerdings begrenzt auf die Niederlande und Schweden.
Ob Gucci oder Chanel – in dieser Preiskategorie ist die Rendite mit Second Hand Ware lukrativ.
© Rebelle
Ob Gucci oder Chanel – in dieser Preiskategorie ist die Rendite mit Second Hand Ware lukrativ.
Das wirtschaftliche Potenzial schlummert bei gebrauchten Textilien und Accessoires bei der High-End Designerware. Das hat Mädchenflohmarkt ebenso erkannt wie Farfetch oder Rebelle (die ausschließlich Second-Hand Designerware neuen Besitzern zuführen).

Klar, nicht jede Ledertasche von Jil Sander, Bally oder Prada hat das spekulative Potenzial einer Kelly Bag von Hermes. Die lässt sich mit etwas Glück ab rund 13.000 Euro neu erstehen (nur auf Bestellung und mit Wartezeit). Auf dem "Vintagemarkt" erzielt sie je nach Modell nach ein paar Jahren durchaus Summen um 20.000 Euro.

Vernetzung von Gleichgesinnten

Wer nicht so weitsichtig seinen Kleiderschrank unter Renditegesichtspunkten bestückt hatte, kann zumindest Platz schaffen, indem er seine sattgesehenen Textilien für eine Ablöse in den Kreislauf einspeist  – ein gutes Gefühl für diese Tat gibts es obendrein.

Das bringt uns zurück zum eingangs zitierten Unternehmen Farfetch, das zunächst ganz klassisch online Mode vertreibt. Dessen Mission: "Farfetch will DIE globale Tech-Plattform für Luxusmode sein, die Kreative, Kuratoren und Kunden untereinander vernetzt", ist auf deren Homepage zu lesen.

2007 gegründet, bieten sie über 2.900 verschiedene Labels, vertreten in den Kategorien Mode für Frauen, Männer, Kinder ebenso Vintage, Luxusuhren und Echtschmuck. Geliefert wird weltweit in 190 Länder.

In 18 Städten erhält der Kunde seine Bestellung am selben Tag. Für besonders Eilige gibt es in ausgewählten Städten den Store-to-Door-Service, der in 90 Minuten (F90) die Zustellung garantiert. Das letzte Quartal 2019 brachte Farfetch ein Rekordergebnis, wie Gründer und CEO José Neves im Februar 2020 vermeldete. Dazu tragen mehr als zwei Millionen aktive Kunden bei.

Für 2020 will der Onliner seine "führende Marktposition" im Luxusmodemarkt weiter ausbauen  – und zudem den Lebenszyklus von Mode verlängern und sicherstellen, dass Dinge, die wiederverwendet werden können, nicht auf der Mülldeponie landen, kurz "positively circular", so das Unternehmen.

Dabei sind sie offen für unterschiedliche Ansätze. Kunden in Großbritannien können beispielsweise qualitativ hochwertige Kleidung spenden. Dafür kooperiert Farfetch mit Thrift+. Wer sich von einem guten Stück trennt, unterstützt mit der textilen Spende  eine Wohltätigkeitsorganisation seiner Wahl und erhält zudem Farfetch-Credits.

Man kann auch die gut erhaltene Designertasche über "Farfetch Second-Life" zu Geld machen. Wer gar nur punktuell glänzen will, leiht sich Luxus für ein Event, kurz "Borrowed luxury" genannt. In den USA funktioniert das über die Styling-Plattform Armarium. Luxus ist in diesem Fall Ernst gemeint. 400 Dollar Tagesmiete für ein Kleid ist keine Ausnahme.

Doch es gibt noch andere Second-Hand Größen in Europa. Vinted, ein Start-up aus dem litauischen Vilnius, wurde von Milda Mitkute und Justas Janauskas gegründet. Die Drei haben schnell finanzkräftige Unterstützer gefunden. Heute hat Vinted Unicorn-Status, vertreibt in 11 Ländern rund 180 Millionen Modeartikel.

In Deutschland firmiert die Plattform als "Kleiderkreisel". Einer der Investoren ist seit 2015 Burda Principal Investment, die Ende 2019 auch bei der 128 Millionen schweren Serie E Finanzierungsrunde mit dabei war. Seit der letzten Runde im August 2018 ist die Markenbekanntheit des Unternehmens deutlich gestiegen, der Umsatz hat sich in den letzten 17 Monaten vervierfacht, beschreibt Burda den Erfolg. Auch hier spricht man gerne von der zirkulären Wirtschaft.

"Vinted hat eine führende europäische Plattform für eine 'Circular Economy' geschaffen, die es Millionen von Verbrauchern auf dem gesamten europäischen Kontinent ermöglicht, ihrer Kleidung ein zweites Leben zu schenken“, schwärmt Martin Weiss, Burda-Vorstand und Mitglied des Boards bei Vinted.

Künftig sollen marktübergreifende Versandrouten erschlossen, das Wachstum weiter voran getrieben werden und dazu das derzeit 300 Mitarbeiter umfassende Team weiter ausgebaut werden, so die Badener.

Geradezu ein Pionier der Circular Economy ist Momox, das 2005 in Berlin noch unter dem Stichwort Recommerce gegründet wurde. Der Schwerpunkt der Gründer: Bücher, CDs, DVDs. 2014 startete unter dem Namen ubup (used but precious) der zweite Bereich, der günstige Second-Hand-Kleidung ankaufte.

2019 erzielt das Unternehmen einen Jahresumsatz von 250 Millionen Euro. Der Handel mit gebrauchten Büchern macht dabei 64% aus, gefolgt von Medienartikel mit 23% und Fashion 13%. Der Köder: Der Ablauf ist einfacher als beispielsweise bei Ebay. "Der Verkauf von Kleidung bei Momox soll so einfach funktionieren wie der eines Buchs", erklärt Geschäftsführer Heiner Kroke im Handelsblatt. Für 20 Artikel benötige man eine halbe Stunde, während für den Verkauf auf eigene Faust alles in allem acht Stunden fällig würden, rechnet Kroke vor. Dafür fällt der Verdienst doch recht knapp aus.

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Bewertung potenzieller Ankäufe sind dank Mediendatenbanken und Festpreisen für Modemarken weitgehend automatisiert. Doch die Prüfung der Ware selbst bis zum Abfotografieren für den Online-Shop machen das Geschäft personalintensiv: 1.700 Mitarbeiter arbeiten für Momox, davon etliche nahe der polnischen Stadt Stettin.

Recht profitabel ist Momox dank niedriger Einkaufspreise schon jetzt: Bei Mode etwa rechnet Geschäftsführer Heiner Kroke mit 70% Spanne. 13,7 Millionen Euro Vorsteuergewinn kamen 2018 insgesamt zusammen, mehr als dreimal so viel wie im Vorjahr.

Die Tatsache, dass Gründer Wegener seinen verbliebenen Anteil von rund einem Drittel an den norwegischen Investor Verdane Capitol verkauft hat, der nun mit 55 Prozent die komfortable Mehrheit hält,  soll die weitere Strategie nicht beeinflussen. Es wird investiert – in Mode, Logistik (zwei Geschäftsführer wurden 2019 bereits dafür an Bord geholt) und das Wachstum vor allem in Frankreich. Jetzt sollen unsere Nachbarn zu Recommerce-Fans gemacht werden.

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