Gerade der stationäre Handel sucht fieberhaft nach einer Antwort auf die Frage, was die heterogene Masse namens Kunde eigentlich wirklich will. Und während die einen magische Spiegel aufstellen, setzen andere Händler den Schwerpunkt verstärkt auf Service-Angebote. Bloß welcher Ansatz verspricht mehr Erfolg?
Unterschiedlicher könnten aktuelle Handelskonzepte wohl kaum sein. Die Warenhausketten Nordstrom in den USA und John Lewis in Großbritannien umgarnen den Kunden mit immer umfangreicheren Serviceangeboten. Bei John Lewis kümmern sich Berater auf Wunsch um das Abarbeiten ganzer Geschenklisten oder stellen gemeinsam mit dem Kunden dessen Garderobe neu zusammen. Und beim Format „Nordstrom Local“ gibt es Reparaturdienste und eine Änderungsschneiderei. Das jeweilige Angebot wird individuell für die Region des Standorts zusammengestellt. Da ist teilweise viel alter Wein in neuen Schläuchen dabei. Denn noch in den 80er Jahren war es mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit, dass der Verkäufer in der Modeabteilung mit dem Kunden gemeinsam verschiedene Outfits zusammengestellt hat, auch wenn diese seinerzeit noch nicht so genannt wurden. Vorab buchen musste man den Verkäufer auch nicht. Aber im Zeitalter des digitalen Einkaufens ist es wohl durchaus opportun, diesen Nutzen neu zu vermarkten.
Gegenläufige Tendenzen lassen den Kunden dagegen eher allein. Beratung gibt es auch, aber nur, wenn der Kunde möchte. Modernste Technik wie digitale Spiegel, automatisierte Abholstationen und Kiosksysteme als Regalverlängerung ermöglichen den Einkauf auch ohne menschliche Interaktion. Das treiben Lebensmittelhändler dann mit verkäuferlosen Supermärkten auf die Spitze. Wer trifft damit aber den Nerv der Konsumenten besser?Fragen wir doch den Konsumenten!
Mit dem „Retail Report“ für Europa hat Zahlungsdienstleister Adyen die Konsumenten selbst zu Wort kommen lassen. Dazu wurden im zweiten Quartal 2018 über 5.000 Verbraucher befragt. Jeweils 1.000 Kunden aus Großbritannien, Deutschland, Spanien, Frankreich und Skandinavien haben an der Befragung teilgenommen. Und die Ergebnisse des Reports bieten einen guten Einblick in die Befindlichkeiten der europäischen Konsumenten.
Trendsetter verwenden gerne digitale Technologien und zählen oft zu ihren frühesten Nutzern, gehören also zu den sogenannten „Early Adopters“. Mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Konsumenten in Europa fällt in diese Kategorie. Besonders hoch ist der Anteil in der Generation der Millennials, was indes wenig überraschend sein dürfte. Sind die jungen Menschen doch mit Smartphones und anderen technischen Geräten aufgewachsen.
Ablehner stehen den neuen Technologien weniger positiv gegenüber. In Deutschland fallen 10 Prozent der Konsumenten in diese Kategorie.
Zwischen diese Extreme fallen die Pragmatiker, sie verhalten sich eher abwartend und nutzen neue Technologien zurückhaltender.
Der Verbraucher möchte es in erster Linie bequem
Die Konsumenten wünschen sich bei ihrem Einkauf besonders Komfort. Einkaufen soll schnell, einfach und vor allen Dingen reibungslos sein.Im Klartext: Die Konsumenten wollen ihre kostbare Zeit nicht in Warteschlangen verbringen. Diese sind und bleiben das größte Ärgernis bei den Kunden. Im Durchschnitt gaben 38 Prozent der Befragten an, dass ihnen eine Wartezeit von fünf Minuten bereits zu lang erscheint.
Der klassische „Wartebereich“ im stationären Handel bleibt die Kassenzone. Und es gibt zahlreiche Einflüsse, die zu einer Schlange dort führen können: das Talent der Kassenfachkraft, der Kunde, der unbedingt „passend“ zahlen will, oder technische Störungen beim Scannen von Produkten. Problematisch ist natürlich, dass der Bezahlvorgang eben der letzte Teil des Kundenerlebnisses ist. Die mögliche Verärgerung ist also der letzte Eindruck, den der Kunde mit nach Hause nimmt und somit mit dem Händler assoziiert. Deswegen wäre es wichtig, an diesem Punkt anzusetzen.
Die Kunden aus dem Retail Report haben zumindest eine klare Vorstellung davon, was helfen würde, die Warteschlangen zu vermeiden (unabhängig davon, ob sie die dazu notwendigen Technologien dann auch tatsächlich nutzen würden). So sagen 30 Prozent der Befragten, dass sie sich „1-Click-Modelle“ beim Bezahlen auch im Laden wünschten. Und gerade einmal ein Drittel der Konsumenten zeigt sich mit den angebotenen schnelleren Zahlungsmethoden in den Läden sehr zufrieden. In Deutschland nutzen 70 Prozent der Kunden gern kontaktlose Bezahlverfahren.
Hier verschenkt der Handel deutliches Potenzial, um die Kunden zufriedenzustellen. Nur 30 Prozent der Händler bieten Self-Scanning-Systeme an und lediglich 28 Prozent haben bereits den mobilen POS eingeführt. Dabei sagen die Kunden, dass die Nutzung solcher zeitsparender Bezahlverfahren ihre Bindung an einen Händler vergrößern könnte.
Der Kunde als Individuum
Die Differenzierung allein über den Preis führt den Handel auf die Dauer in eine Sackgasse. Denn für das gleiche Produkt wird es stets einen Anbieter geben, der einen günstigeren Preis bietet, und sei es online. Personalisierte Angebote können ein Schlüssel dafür sein, um für die Kunden weiterhin relevant zu sein. Und genau auf diesen Bereich zahlen die Bemühungen von John Lewis und Nordstrom ein.Die Autoren des Adyen-Reports haben dies „Kontext“ genannt. Und an dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass die Bemühungen des Handels die Wünsche der Kunden noch nicht in vollem Umfang erfüllen. Gerade einmal 19 Prozent der Kunden gaben an, mit den im Geschäft erhaltenen Produktempfehlungen „sehr zufrieden“ zu sein. Dabei gab über ein Drittel an, sie würden häufiger im Geschäft einkaufen, wenn es mehr personalisierte Gutscheine und Empfehlungen gäbe.

Der Kunde kauft auf dem Kanal ein, der ihm gerade richtig erscheint, oder er nutzt zur Information das Gerät, das ihm zur Verfügung steht. Den Kunden sind Multi- und Omnichannel-Ansätze wichtig. Die europäischen Konsumenten wünschen sich durchaus eine engere Verzahnung von E-Commerce und Filialbetrieb.
Dazu gehört aus Sicht der Verbraucher die Möglichkeit, sich vor dem Besuch eines Ladens online über die Verfügbarkeit von Produkten im Geschäft zu informieren. Auch der Umtausch von online bestellten Produkten direkt vor Ort ist für die Konsumenten wichtig. Hier geht es also um Komfort und Kontext gleichermaßen.Um den Kunden stärker als Individuum anzusprechen, könnten sich Händler auch modernster Technologie bedienen. So würden Messenger-Apps die unmittelbare Kommunikation mit dem Konsumenten ermöglichen. Der Luxushändler Matchesfashion.com nutzt bereits die direkte Kommunikation für die individuelle Betreuung. Der Verkäufer unterbreitet den Kunden aktuelle Tipps und Produktvorschläge. Das ist indes noch eine große Ausnahme. Gerade einmal 23 Prozent der von Adyen befragten Händler setzen bereits Messenger und hier in erster Linie Chatbot-Technologien ein.
Hier bestimme ich
Es gibt noch einen dritten Aspekt, der das Erlebnis der Konsumenten im Handel bestimmt. Und er lässt sich wohl am besten mit dem Wunsch nach Kontrolle beschreiben.
Kontrolle beim Einkauf bedeutet allerdings auch, dass die Kunden ein Produkt auch dann erhalten wollen, wenn es in der Filiale gar nicht vorrätig ist. Die Umfrage zeigt ganz klar, dass die Konsumenten einen Händler regelmäßig besuchen würden, wenn dieser auch nicht vorrätige Produkte für die Lieferung beschaffen kann. Es erfordert allerdings Investitionen in das Bestandsmanagement, um solche Services anzubieten. Und das tut längst noch nicht jeder Händler.
Als problematisch erweist sich hier erneut die Kassenzone. Adyen fand heraus, dass in Deutschland nahezu 40 Prozent der Konsumenten ein Geschäft wieder verlassen, wenn die von ihnen bevorzugte Zahlmethode nicht angeboten wird. Und fast 80 Prozent von ihnen gehen dann zu einem anderen Händler, der eine größere Vielfalt bildet.
