Während die Digitalisierung bereits einen Großteil des alltäglichen Lebens bestimmt und ein Fünftel des privaten Konsums online erfolgt, hinkt das Mafo-Establishment weit hinterher – klammert sich an überkommene Strukturen, Wunschdenken – oder verkennt das Ausmaß der Plattformökonomie. Die Fakten.

Der nichtendende Versuch, das wahre Ausmaß des E-Commerce klein zu reden, fällt mit jeder Bilanzveröffentlichung von Amazon, Zalando & Co. schwerer. Vor allem die mehr oder weniger synonyme Verwendung der Begriffe E-Commerce und Online-Handel verschleiert bisher das wahre Ausmaß des digitalen Wandels beim privaten Konsum.

Aber so wie Totgesagte nun einmal länger leben, sind Kleingeredete nicht selten wachsende Riesen: So lässt sich nachweisen, dass die B2C-E-Commerce-Umsätze rund viermal höher sind als die bisher publizierten B2C-Online-Handelsumsätze. 


Beträchtliche B2C-Umsätze kommen unter anderem durch Online-Reisebuchungen, Reiseticketverkäufe für Flug und Bahn, Ausgaben für DSL-Verträge, das Online-Banking, die Online-Assekuranz, Media-Contents beziehungsweise Downloads sowie sonstige E-Vermittlungen wie Dating-Dienste oder Online-Maklergeschäfte zustande.

Die von den Statistikern geschätzten D2C-Online-Umsätze von Apple beinhalten zum Beispiel durchweg keine iTunes-Umsätze. Diese dürften sich alleine für Deutschland auf rund 1 Milliarde Euro belaufen. Auch Abo- beziehungsweise Subscription-Einnahmen fallen in der Regel durch den Erfassungsrost.

Neben den rund 1,5 Milliarden Euro Amazon-Prime-Gebühren, die der Online-Gigant hierzulande pro Jahr abrechnen und wahrscheinlich in Luxemburg verbuchen dürfte, fällt auch Netflix hierzulande ins Gewicht: Bei rund 20 Milliarden US-Dollar Gesamtumsatz setzt der Streaming-Dienste-Anbieter geschätzt 1,7 Milliarden Euro in Deutschland um.

Und es geht weiter: In der Regel werden Liefergebühren und einzelne Verkaufs-Dienstleistungen beziehungsweise -Services nicht dem Online-Handel zugeordnet, obwohl sie eigentlich im Zusammenhang mit Warenumsätzen stehen.

Gleiches gilt für Automotive-Anbieter und KfZ-Handel, vor allem mit Gebrauchtwagen, der nicht dem Einzelhandel zugerechnet werden. Der B2C-E-Commerce-Umsatz in Deutschland kommt auf rund 260 Milliarden Euro Umsatz und ist damit annähernd viermal höher als der bisher ausgewiesene B2C-Online-Handelsumsatz.

Bei rund 1.300 Milliarden Euro privatem Konsum in diesem unserem Lande (ohne Wohnungsausgaben), sind damit ziemlich genau 20% davon online – Tendenz weiter steigend. Schon in 2018 lagen die B2C-eCommerce-Umsätze bei rund 235 Milliarden Euro.

Neben den 60 Milliarden Online-Handelsumsatz entfielen dabei rund

  • 40 Milliarden Euro auf Online-Reisebuchungen (43% Online-Buchungen auf 95,6 Milliarden Euro Urlaubsreiseumsatz), 
  • 30 Milliarden Euro auf Internetnutzung und -anschlüsse, 
  • 20 Milliarden auf Bahn- und Flugtickets (5 Milliarden B2C-Online-Umsatz Bahn und 
  • 15 Milliarden B2C-Online-Flugbuchung), 
  • 20 Milliarden Euro auf Medien und Downloads (50% Online auf 40 Milliarden Euro im B2C), 
  • 20 Milliarden Euro auf Online-Banking, Bankprodukte beziehungsweise Policen/Versicherungen (inklusive Gebühren für 70 Millionen Online-Girokonten), 
  • 10 Milliarden Euro auf Automotive und KFZ-Vermittlungen, sowie 
  • 35 Milliarden auf den Rest wie unter anderem Gastronomie/Lieferservices, Mitgliedschaften, Abos oder Partnervermittlung und so weiter. Besonders rasant entwickelt sich die Online-Assekuranz.

Alleine im Versicherungsneugeschäft werden bereits mehr als 10% der Verträge online verkauft, was bei rund 150 Milliarden Beitragsvolumen im Endkundengeschäft mindestens 15 Milliarden B2C-Online-Umsatz sein dürften.

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Mit rund einem Fünftel Online-Anteil und zirka 1 Milliarde Euro B2C-Online-Umsatz liegen KfZ-Versicherungen dabei ganz weit vorne. Im Zuge der einsetzenden Plattformökonomie im Banking dürfte sich Online-Banking in den nächsten Jahren ebenfalls rasant entwickeln.

Gatekeeper zum Konsumenten

Schleichend und unaufhaltsam wird das wahre Ausmaß der Konsumveränderung durch der Plattformökonomie sichtbar. Google (Alphabet Inc.), Amazon, Facebook und Apple haben sich mit ihrer dominanten Marktstellung zu unumgänglichen Gatekeepern für den Zugang zu den Konsumenten gemausert.

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Ihr Vorsprung am Markt sowie ihre enorme Finanzkraft geben ihnen jeweils monopolartige Stellungen, die den Erfolg ihrer Netzwerkeffekte untermauern. Sie dominieren die sogenannte Plattformökonomie, die nicht ohne Grund auch als „GAFA-Ökonomie“ bezeichnet wird.

Mit Google-Shopping und Instagram-Shopping machen jetzt die ersten Global-Plattformen endgültig die Grenzen am Frontend zum Kunden dicht. Im Online-Marketing wird fast nur noch zwischen den beiden Alternativen „Google-Shopping versus Amazon-Marktplatzpräsenz“ allokiert und allenfalls Instagram als „der mögliche neue Amazon“ mit ins Spiel gebracht.

Aber auch unter anderen Booking.com, Uber oder Airbnbsind in ihren Segmenten zu regelrechten Checkpoints geworden. Diese neue Art der Wegelagerei – Zugangssperren zum Kunden zu schaffen und Durchgangsgeld zu nehmen – ist auch typisch für Marktplätze. 

Deren Angebotsfülle von unterschiedlichsten Anbietern in marktplatzeigenen Kategorien ermöglicht eine unschlagbare Auswahl und einen direkten Preisvergleich. Mit gutem Grund sind Marktplatzanbieter neben Google erste Anlaufstelle für die Kunden und gelten auch als Produktsuchmaschinen mit niedrigen Bounce Rates und optimierten SERP´s (Search Engine Result Page). 


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Shopify - Die mächtige Amazon-Alternative

 Damit sind Marktplätze in der Tat Intermediär und nicht Online-Händler. Trotzdem findet Online-Handel statt, und zwar bei den Marktplatzpartnern. Dieses sollte auch deswegen betont werden, weil die Marktanteilsgewinne der Marktplätze gegenüber den Online-Pure-Plays erneut Stimmen aus dem Marktforschungs-Establishment – unter Beifall etlicher Traditionshändler – aufflammen lassen, es sei nun das Ende der Fahnenstange im Online-Handel und/oder eCommerce erreicht. 

Dabei wird nämlich unterstellt, dass auf Marktplätzen – oder durch diese vermittelt – kein Online-Handel stattfindet, wodurch die betroffenen Umsätze in der Regel nicht berücksichtigt werden.

Weder die EHI-Online-Shop-Rankings noch die Destatis-Zahlen, erfassen die GMV´s der Plattformen. Beim statistischen Bundesamt wird sogar der Online- und Marktplatz-Umsatz stationärer Händler solange nicht erfasst, soweit er weniger als die Hälfte des Gesamtumsatzes ausmacht.

Online-Umsätze kleingerechnet

 Deswegen sei für die Statistiker noch einmal ganz klar gesagt: Auch Online-Transaktionen stationärer Händler sowie auch sämtliche Marktplatz-GMV´s sind Online-Umsätze. Der einzige Unterschied liegt darin, dass ein Marktplatz einen, den Online-Anbietern vorgeschalteten, Intermediär darstellt, der von Provisionen lebt und diese als seine Umsätze ausweist. Dahinter stehen aber immer auch echte Online-Umsätze von Verkäufern oder Sellern, die den Marktplatzbetreibern Provision bezahlen.

Dafür benötigen sie nicht zwingend einen eigenen Online-Shop, sondern präsentieren sich und ihre Waren – so auch etliche eBay-Powerseller – mitunter nur auf Marktplätzen. Die auf einem Marktplatz von einem Seller realisierten Online-Umsätze dürfen aber keinesfalls unberücksichtigt bleiben. Bisher tauchen zum Beispiel auf keiner Statistik hierzulande der echte Marktplatzumsatz von Amazon und der tatsächliche durch eBay vermittelte Online-Umsatz auf.

Bei dem in Deutschland erzielten eBay-Provisionsumsatz von rund 1 Milliarde Euro dürften daraus mindestens 12 Milliarden Euro Netto-Handelsvolumen resultieren, was damit rund 11 Milliarden Online-Umsatz der Handelspartner sind. Das entsprechende Online-Handelsvolumen von Amazon-Germany dürfte bei mindestens 16 Milliarden Euro liegen. 

Statistiker im Hintertreffen

Fazit: Bisher wurde im Zuge der sich ausbreitenden Plattformökonomie immer die Gretchenfrage gestellt, wie es um die digitale Bereitschaft und Fähigkeiten der Traditionsanbieter steht. Die Kernfrage muss allerdings lauten: Wie steht es eigentlich um die Digital Readiness der Statistiker? Wieso tun sich Handels-Marktforscher so schwer mit der Umsetzung der digitalen Disruption in ihrem Zahlenwerk? Wieso wird das wahre Ausmaß des eCommerce schlechter dargestellt, als es in Wirklichkeit ist? 


Die Antwort kann nur – neben dem Festklammern an teilweise überlebten Strukturen und einem Wunschdenken in diesem unserem Lande – in einem mangelnden Verständnis für die Plattformökonomie, die neuen Geschäftsmodelle, den modernen Kunden, das Internet, die Internetnutzung und das sich digitalbasiert ändernde Nutzungsverhalten liegen.

Denn während die Digitalisierung bereits einen Großteil des alltäglichen Lebens bestimmt und ein Fünftel des privaten Konsums online ist, hinkt das Mafo-Establishment weit hinterher. Hier stehen bei der Ermittlung der Online-Umsätze die größten Veränderungen offensichtlich erst noch bevor.

Auch mehr als 25 Jahre nach Gründung des ersten Online-Händlers herrscht immer noch Online-Zahlenwirrwarr. Deswegen kommt der Beschleunigung digitaler Reifegrade sowie dem Abbau digitaler Barrieren vor allem in der Marktforschung sowie der statistischen Erfassung eine Schlüsselrolle zu. Im Grunde kommt es einer Ohrfeige für das Mafo-Establishment gleich: Das Kleinreden des eCommerce ist gescheitert!

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