Während sich im europäischen Lebensmittel-Onlinehandel die mediale Aufmerksamkeit zuletzt primär um das Quick-Commerce-Segment mit Firmen wie Flink, Gorillas, Gopuff oder Nischenplayer wie Yababa drehte, haben die beiden Offenburger Gründer David Ghassemi und Sebastian Fischinger ihr E-Food-Start-up Bringman hochgezogen. Und gehen zusammen mit Edeka Südwest in die groß angelegte Expansion. Der Fokus: Digitalisierung des LEH mit Store-Picking und Einbezug der lokalen Partner. Etailment-Experte Dr. Matthias Schu hat sich dieses spannende Konzept einmal genauer angeschaut.

Ursprünglich planten die beiden Offenburger David Ghassemi und Sebastian Fischinger Anfang 2020, für ihre Event-Gastronomie-Unternehmen in Zusammenarbeit mit einer Studentengruppe des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) eine App für Clubs und Feierfreudige zu entwickeln. Doch die beginnende Corona-Pandemie und der erste Lockdown machten ihnen ein Strich durch die Rechnung; ihre Gastronomiebetriebe mussten sie schliessen.

Kurzerhand änderten die findigen Unternehmer, die sich bereits seit der Schulzeit kennen, ihre Pläne: Aus der Club-App wurde die erste Version von Bringman.

Ähnlich der im ersten Lockdown reaktivierten Schweizer Social-Shopping-App "Amigos" der Migros Genossenschaft, lag der Fokus auf "Kunden kaufen für Kunden ein": Freiwillige fanden sich über die Plattform, um für von der Pandemie besonders betroffene Personen die Grundversorgung sicherzustellen.
"Asset-light"-Geschäftsmodell: Bringman kommissioniert Kundenbestellungen in den Partner-Märkten mit eigenem Personal und liefert sie von dort in einem Radius von zehn Pkw-Fahrminuten aus.
© Bringman
"Asset-light"-Geschäftsmodell: Bringman kommissioniert Kundenbestellungen in den Partner-Märkten mit eigenem Personal und liefert sie von dort in einem Radius von zehn Pkw-Fahrminuten aus.

Der erste Lockdown: Kunden kaufen für Kunden ein

In Hochzeiten der Pandemie waren mehr als 2.000 Nutzer im Raum Offenburg füreinander unterwegs. Als Bezahlung für die Bringman-Lieferanten winkte ein Trinkgeld in Höhe von 10% des Bonwerts, jedoch mindestens 5 Euro. Die Zahlungsabwicklung erfolgte nach der Übergabe über die App mit online hinterlegtem Betrag, sodass kein manuelles Einkassieren bei der Lieferung nötig wurde, was beiden Seiten Sicherheit gab.

Recht schnell wurde Ghassemi und Fischinger klar, welches Potenzial in ihrer Idee steckt. Und die beiden machten sich auf, Bringman zu professionalisieren und mit eigenen Mitarbeitern zu realisieren.

Der "Asset-light"-Ansatz

Anders als die meisten E-Food-Start-ups agiert Bringman mit einem "Asset-light"-Ansatz in Kooperation mit lokalen Einzelhändlern und betreibt keine eigenen Lager. Die Bestellungen werden in den Märkten der teilnehmenden Partner mit eigenem Personal, das in Teil- oder Vollzeit zum Festgehalt von 12,30 Euro pro Stunde sowie allfälligem Trinkgeld angestellt ist, kommissioniert und von dort aus in einem Radius von zehn Pkw-Fahrminuten um den Markt herum ausgeliefert.

Der Vorteil: Kunden können so ihre gewohnten Produkte, die sie aus dem stationären LEH vor Ort kennen, inklusive regionalen Produkten, TK-Ware und Frischetheken, bei Bringman bestellen. Je nach Marktgröße sind das bis zu 40.000 verschiedene Produkte. Die Kühlkette wird durch Verpacken der kühlpflichtigen Lebensmittel in Kühltaschen und kurze Lieferwege sichergestellt.

Damit positioniert sich Bringman nicht als Gegenspieler oder Wettbewerber des stationären LEH, sondern als Partner, der dem lokalen Händler den Sprung in die digitale Welt ermöglicht und dem geänderten, neuen Kaufverhalten vieler Konsumenten seit Beginn der Pandemie Rechnung trägt.
Renault Zoe mit Bringman-Logo: Das Start-up unterhält eine eigene Elektro-Lieferflotte.
© Bringman
Renault Zoe mit Bringman-Logo: Das Start-up unterhält eine eigene Elektro-Lieferflotte.

Das "Personal-Shopper"-Konzept

Für die Lieferung, die mit an den teilnehmenden Märkten stationierten, nachhaltigen Elektrofahrzeugen erfolgt, werden frei wählbare Lieferfenster angeboten, mit denen Kunden ihre Wunschlieferzeit reservieren können: Die Lieferung erfolgt in einem Zwei-Stunden-Slot für 4,90 Euro sowie innerhalb eines einstündigen Zeitfensters für 5,90 Euro. Sameday Delivery wird für Kurzentschlossene – ähnlich wie beim Anbieter knuspr.de – innerhalb von drei Stunden angeboten.

Beliefert werden Kunden an Werktagen zwischen 09:00 Uhr und 21:00 Uhr. Der Mindestbestellwert bei Bringman beträgt 30 Euro.

Im Konzept von Bringman findet derzeit keine personelle Trennung zwischen Picking und Auslieferung statt; die pickende Person liefert ebenfalls aus. Zudem besteht die Möglichkeit für die Kunden, mit "ihrem" persönlichen Bringman via Chat über die App oder per Anruf zu kommunizieren. Damit spielt Bringman gleichzeitig die Vorteile eines "Personal Shopper"-Konzeptes aus, das in Zentraleuropa bisher rar gesät ist (lediglich Asda testet in Bristol und Leeds gerade in Zusammenarbeit mit Buymie einen solchen Ansatz). Und erzeugt so zusätzliches Vertrauen bei seiner Kundschaft.

Edeka Südwest als Partner der ersten Stunde

Als Kooperationspartner der ersten Stunde hat sich Edeka Südwest beim Start-up engagiert: "Viele Innovationen unseres genossenschaftlichen Verbunds haben ihren Ursprung im Kleinen, oft gestartet durch einen einzelnen Kaufmann", berichtet Rainer Huber, Sprecher der Geschäftsführung von Edeka Südwest. "Als offizieller Partner der App wollen wir nicht nur ein lokales Start-up unterstützen, sondern auch unser Engagement im Bereich der flexiblen Einkaufs- und Liefersysteme weiter ausbauen", so Huber weiter.

So wundert es auch nicht, dass sich Bringman ein Jahr nach Gründung im Winter 2021 eine Millionenbeteiligung von Edeka Südwest sichern konnte. Im Gegenzug wurde die Satzung von Bringman so geändert, dass primär auf die Auslieferung von Lebensmitteln in Kooperation mit Edeka fokussiert und Edeka Südwest nun 10% der Anteile am Start-up hält.

Weitere Finanzierungsrunden der Bringman GmbH, die bereits mit über 10 Mio. Euro bewertet ist, sind in Planung. Mit diesen soll primär die weitere Expansion finanziert werden.

Nationaler Roll-out geplant

Bringman ist bisher prominent im Rheintal mit über 50 angeschlossenen Märkten vertreten. Bis zum Sommer soll die Expansion im Stammgebiet der Edeka Südwest abgeschlossen sein. Dazu werden im Zwei-Wochen-Takt neue Märkte aufgeschaltet. Danach konzentriere man sich auf den nationalen Roll-out, wie die beiden Gründer verlauten lassen.

Bereits heute ist der Sprung über das Stammgebiet hinaus nach Frankfurt, Wiesbaden, Mannheim, Konstanz und Stuttgart geglückt. Zudem ist angedacht, auf die Plattform auch andere Category-Leader aus dem Non-Food-Bereich aufzuschalten.
Das Liefergebiet von Bringman
© Bringman
Das Liefergebiet von Bringman
Neben der Offenburger Edeka-Zentrale hat Bringman ebenfalls die Crème de la Crème der Edeka-Kaufleute im Südwesten wie Scheck, Hieber, Kohler, Baur sowie kleinere Genossenschafter mit an Bord.

Möglich macht dieses Commitment das Geschäftsmodell: Einerseits entstehen für die teilnehmenden Händler keine Fixkosten. Bringman finanziert sich über die Liefergebühr sowie eine umsatzabhängige Rückvergütung, die der teilnehmende Edeka-Kaufmann Bringman für den angebotenen Dienst überlässt.

Die in der Praxis oftmals geäusserte Furcht der Verschiebung von Umsätzen ins Netz hat für die teilnehmenden Kaufleute keine Relevanz. Durch den zusätzlichen Service werden diese als Omnichannel-Unternehmen wahrgenommen und können durch die Strahlkraft ihrer Marken weitere Neukunden für sich gewinnen. Die online generierten Durchschnittsbons sind dabei höher als im stationären LEH und liegen im hohen zweistelligen Bereich.
Die Bringman-App
© Bringman
Die Bringman-App

Fokus Smartphone

Der Kundenzugang findet bei Bringman vollumfänglich über die selbstentwickelte App statt. Auch Picking- und Auslieferlösung sind smartphonebasiert und durch Eigenentwicklung maximal an die eigenen Prozesse angepasst.

Die App selbst überzeugt durch verständliche Menüführung und ansprechendes, klares Design, das nicht überladen wurde. Zudem befinden sich oft benötigte Funktionen wie der Einstieg in den Bestellvorgang, eine Einkaufsliste sowie die Chatfunktion zum Picker im gut zugänglichen unteren Bereich der App.

Noch Optimierungspotenzial bei Stückartikeln

Optimierungspotenzial in der Nutzerfreundlichkeit wäre noch bei Produkten möglich, die in Stück verkauft werden: Auch bei diesen muss der Nutzer von der Kategorieseite über die Kachel auf die Produktdetailseite, um sie in den Warenkorb legen zu können.

Gäbe es bspw. mit einem "Plus"-Zeichen in der oberen rechten Ecke die Möglichkeit, Stückartikel direkt in den Warenkorb zu befördern, könnte man sich den Weg über die Produktdetailseite und somit Zeit und das Hin- und Herspringen zwischen den Ansichten sparen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass beim Wocheneinkauf in der Regel 80-85% der Produkte von Woche zu Woche nicht variieren.

Fazit

Durch lokales Fulfillment mit kurzen Wegen und der Möglichkeit, so auch in Kleinstädten und ländlicheren Regionen abseits der hart umkämpften Ballungsgebiete tätig zu sein, schafft Bringman einen charmanten Ansatz, die Verbreitung von E-Food in Deutschland weiter voranzutreiben.

Dank dem Einbezug lokaler Händler schafft es Bringman, sich in den Köpfen der Verbraucher als "von hier" zu positionieren sowie den stationären LEH auf seinem Weg in einen zusätzlichen Absatzkanal zur Befriedigung sich wandelnder Kundenbedürfnisse zu unterstützen. Es bleibt spannend, wie sich das Start-up entwickelt und seinen Weg weiter gestalten wird.

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