Ausverkaufte Artikel, Lieferzeiten von mehreren Wochen oder gar Monaten: Immer mehr Konsumenten fürchten um die Geschenke unterm Weihnachtsbaum - und der Handel um sein Jahresendgeschäft. Doch die aktuellen Lieferkettenprobleme sind kein vorübergehendes Phänomen, sondern eine langfristige Bedrohung für unseren Wohlstand, sagt Etailment-Experte Professor Gerrit Heinemann. Er beleuchtet die verschiedenen Ursachen hinter den Lieferproblemen im Handel und erklärt, warum jetzt die Politik gefordert ist.

Akute Lieferprobleme bestimmen das diesjährige Weihnachtsgeschäft. Wie das Ifo-Institut in München ermittelt hat, waren schon im September 2021 nahezu alle Fahrradhändler, 97% der Geschäfte für Unterhaltungselektronik, 82% der Läden für Haushaltsgeräte sowie 78% der Lieferanten von Computer und Zubehör davon betroffen. Engpässe gibt es weiterhin bei Fahrrädern ebenso wie bei Fernsehern und Haushaltsgeräten, Notebooks und Smartphones.

Auch bei Kleidern fehlen Lieferungen. Und selbst bei Büchern, weil das Papier für die Buchproduktion derzeit knapp ist. Und was knapp ist, das wird teuer. Das ist ein Grundgesetz des Marktes. Da sind aktuell durchaus Preissteigerungen in zweistelliger Prozenthöhe drin. Bei Treibstoff und Erdgas erleben wir das zurzeit ja auch.
Container sind knapp, Frachtschiffe stauen sich vor Häfen: Der Welthandel ist aus dem Rhythmus geraten.
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Container sind knapp, Frachtschiffe stauen sich vor Häfen: Der Welthandel ist aus dem Rhythmus geraten.

Normalisierung frühestens 2023

Alle Branchen treibt die Frage um, wann der Welthandel wieder reibungslos funktionieren wird. Nach Ansicht der meisten Experten frühestens im Jahr 2023. Denn im Moment ist einfach zu viel aus dem Rhythmus geraten. Erstens sind Container knapp, und Frachtschiffe stauen sich vor wichtigen Häfen. Zudem war ja der Suezkanal im Frühjahr zeitweise durch ein havariertes Containerschiff blockiert.

Zweitens macht China mit der Unberechenbarkeit seiner Diktatur Probleme. Drittens sind viele Rohstoffe und Computerchips Mangelware. Im Welthandel herrscht also im Moment ziemliches Chaos. Aktuell besteht da enormer Mangel, die Frachtpreise haben sich teilweise verzehnfacht, manche Unternehmen buchen schon Transportbehälter für das übernächste Jahr.
Vor wichtigen Häfen stauen sich voll beladene Containerschiffe, was die Lieferketten ins Stocken bringt, die Behälter blockiert und dadurch weiter verknappt. Im Hafen von Los Angeles will man daher nun die ganze Woche rund um die Uhr arbeiten, um den Stau aufzulösen. Auch in Rotterdam gibt es Probleme. Dort stauen sich die auf Abfertigung wartenden Binnenschiffe ebenfalls.

Chinesische Politik spielt eine Schlüsselrolle

China spielt bei dem Thema eine zentrale Rolle. Die unberechenbare Politik der Diktatur verschlimmert die Situation. Die Regierung hat zum Beispiel zeitweise den Containerhafen von Futian gesperrt, weil Hafenarbeiter an Corona erkrankt waren: Wochenlang wurden nur halb so viele Schiffe abgefertigt wie sonst üblich.

Dann liegt China mit dem Kohle-Exporteur Australien im Handelsstreit. Die Kraftwerke der Volksrepublik bekommen deshalb nicht genug Kohle, und die Regierung dreht Betrieben den Strom ab. So führt der Rohstoffmangel zu Produktionsausfällen.

Und dann gibt es noch den Chipmangel. Der ist Ursache für die Lieferschwierigkeiten etwa bei Laptops und Spielkonsolen. Bei Autoherstellern stehen deshalb sogar Bänder still – oder die Unternehmen produzieren halbfertige Pkws auf Halde.

Produktion nach Europa zurückverlagern?

Wie könnten sich aber Geschäfte und Unternehmen vor den Problemen in der Lieferkette schützen? Manche Betriebe stocken ihre Vorräte auf. Aber: Wenn ein Mittelständler mit 150 Millionen Euro Jahresumsatz für 60 Millionen Euro Material und Vorprodukte auf Lager nimmt, müssen Banken und Kreditgeber da erst einmal mitmachen. Das birgt schließlich ein enormes Risiko.

Deswegen gibt es in vielen Betrieben und in jeder Branche derzeit die Diskussion, ob wir in Europa wieder mehr selbst herstellen sollten. Aber das ist nicht einfach abzuwägen. In Europa in großem Stil und mit Fördermilliarden der EU eine eigene Chipproduktion hochziehen? Da kann es sein, dass die Fertigung in Asien wieder brummt, bevor die Fabriken fertig sind.

C&A testet gerade eine On-demand-Jeans-Produktion in Mönchengladbach. Und hatte es nicht leicht, Personal zu finden, das nähen kann. Denn die Gesäßtaschen werden etwa nach wie vor mit der Hand aufgesetzt. Am Ende soll die Jeans unter 100 Euro kosten. Den Preis wird aber nicht jeder Verbraucher zahlen wollen.

Das europäische Dilemma

Europa ist damit in einem Dilemma ohne rechte Lösung. China benötigt seine Produktionskapazitäten zunehmend selbst, also um den eigenen riesigen Binnenmarkt zu versorgen. Millionen von Chinesen wollen mehr Wohlstand. Das bedeutet: Es wird in Zukunft schwieriger, in China billig für uns einzukaufen, wie wir das lange Zeit getan haben.

Da tickt eine Zeitbombe. Ein Standbein unseres Wohlstands gerät ins Wanken. Deswegen ist es höchste Zeit, dass die Politik diese Herausforderung realisiert.

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