Im grenzüberschreitenden Warenverkehr wackelten durch Anti-Corona-Maßnahmen die Lieferketten vieler Branchen empfindlich. Die Luftfahrt war besonders betroffen, im Straßenverkehr waren Verzögerungen spürbar – auf der Schiene aber lief es rund. Das wird auch weitgehend so bleiben, meint Lars Redeligx, Chief Commercial Officer der Lineas nv/sa. Für den in Brüssel ansässigen Konzern, der als größtes privates Bahnfrachtunternehmen Europas gilt, könnte die Krise sogar einen Wachstumsimpuls auslösen.
Herr Redeligx, an vielen Orten in Europa klemmte es im Frachtverkehr. Wie fuhren die Züge von Lineas?
Lars Redeligx: Auf jeden Fall! Wir bedienen nach wie vor alle Märkte in Europa und haben unser hochfrequentes Green-Xpress-Netzwerk sogar noch nach Polen erweitert. In einigen Branchen verzeichneten wir natürlich Rückgänge, zum Beispiel bei Automotive und in der metallverarbeitenden Industrie. Es gibt aber auch Verkehre, die zulegen und wo wir neue Kunden gewinnen, die ihre Fracht von der Straße auf die Schiene verlagern.
Ist der Grund dafür allein die Corona-Problematik?
Nein, den Trend gab es schon vor Corona, Stichwort Nachhaltigkeit. Viele Kunden wollen gezielt den Anteil der Schiene als umweltfreundlichstes Verkehrsmittel in ihren Lieferketten erhöhen. In der aktuellen Situation spielen auch Risikoanalysen eine Rolle. Ein Güterzug befördert so viel Fracht wie 50 Lastwagen – aber er lässt sich besser steuern. Und es müssen nicht 50 Personen mit allen Kontaktpunkten, die die Reise mit sich bringt, in Berührung kommen.
Sahen Sie keine Einschränkungen im grenzüberschreitenden Verkehr?
Es gab einige Anlaufschwierigkeiten, aber der Verkehr per Bahn fließt und ich bin zuversichtlich, dass das auch so bleibt. Schließlich sind sich alle europäischen Mitgliedstaaten einig, dass der Transport lebenswichtig ist und haben deshalb Regelungen zur Aufrechterhaltung des Schienengüterverkehrs innerhalb und durch ihre jeweiligen Gebiete festgelegt.
Hatten Sie Probleme an den Grenzen?
Nein. Wir haben unsere Triebfahrzeugführer mit den notwendigen Dokumenten der Behörden ausgestattet, damit sie die Landesgrenzen schnell passieren können.
Gab es genug Personal, um den laufenden Betrieb zu gewährleisten?
Ja, wir hatten zunächst eine höhere Krankheitsquote zu verzeichnen, aber wir konnten dies auffangen, ohne unsere Aktivitäten einzuschränken, und haben umfangreiche Maßnahmen zum Schutz unserer Mitarbeiter ergriffen. Die Fehlzeiten nehmen jetzt wieder ab.
Ihr zentrales Umschlagzentrum ist das Hub-Terminal von Lineas in Antwerpen. Wie läuft dort die Verladung?
Das Terminal ist voll funktionsfähig und profitiert von einer Innovation, die ihre Vorzüge gerade in der Corona-Phase zeigt: dem kontaktlosen Umschlagsvorgang. Wir verladen dort vor allem Container-Fracht.
Wie funktioniert Fast Gate genau?
Nach Verarbeitung der Transportinformationen und Auswahl der bevorzugten Abfertigungszeit gibt das E-Portal einen TRAC-Code pro Lkw und Transporteinheit aus. Mit diesen Codes können die Fahrer das Umschlagsverfahren in weniger als 20 Minuten durchlaufe; sie müssen nicht mehr Schlange stehen, sondern können direkt zu den Gates. Ein weiterer Vorteil: Die Auftraggeber erlangen, gerade bei größeren Frachtmengen, einen besseren Überblick über alle Sendungen.
Sie sind gerade als erste Güterbahn überhaupt als „Eisenbahn des Jahres 2020“ ausgezeichnet worden. Spielte Innovation dabei auch eine Rolle?
Absolut! Güterverkehr auf der Schiene muss sich weiterentwickeln und Kunden Lösungen präsentieren, die eine Verlagerung von der Straße ermöglichen. Dafür haben wir mit unserem Green Xpress Network etwas völlig Neues im Markt etabliert. Wir kombinieren hier Einzelwagenverkehre und Wagengruppen aus verschiedenen Marktsegmenten – sowohl konventionelle Fracht als auch containerisierte – in hochfrequente Linienverkehre.
Dadurch verkürzen sich für Kunden die Laufzeiten und wir können Verkehre im eigenen Risiko fahren, die sich als Ganzzug für einen Kunden nicht rechnen würden. Inzwischen reicht das Green Xpress Netzwerk von Schweden bis nach Italien und von Belgien bis nach Rumänien.
Aktuell allerdings muss zunächst einmal die Krisenphase bewältigt werden, was für private Bahnfracht-Betriebe ja ungleich schwerer ist als für staatliche. Werden am Ende doch nur die Unternehmen in öffentlicher Hand überleben?
Nein. Zunächst einmal ist es gut, dass es innerhalb des Sektors eine Zusammenarbeit gibt, um die richtigen Rahmenbedingungen zum Überstehen der Krise zu schaffen. Das reicht vom Offenhalten der Schienenwege über vernünftige Regelungen an den Grenzen bis hin zu finanziellen Regelungen, wie etwa dem Entfall von Stornierungskosten für Trassenbestellungen. Allerdings ist für uns als privater Anbieter das Gebot des fairen Wettbewerbs wichtig. Es kann nicht sein, dass wir uns in der Krise auf Grund von Kostendruck anpassen, während bei unserem größten Wettbewerber mit dem Geld des Steuerzahlers Verluste ausgeglichen werden. Wenn fairer Wettbewerb gewährleistet ist, kann die private Bahnfracht künftig eine noch wichtigere Rolle spielen und mithelfen, dass Europa es wirklich schafft, im angestrebten Zeitplan klimaneutral zu werden.
Das Interview führte Björn P. Böer
AUCH INTERESSANT: