Andreas Schumann, Vorsitzender des Bundesverbandes der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP) erwartet, dass die Infrastruktur künftig anbieterübergreifend zur Verfügung steht. Die große etailment-Umfrage, neunter und letzter Teil.
Die KEP-Branche ist für das laufenden Weihnachtsgeschäft gerüstet. Die in der Mehrzahl mittelständischen Unternehmen sind regional verankert und kennen die Herausforderungen zum Jahreswechsel. Fahrzeuge, Personal, Sortierkapazitäten werden entsprechend ausgebaut. Jedoch können sich auch die KEP-Unternehmen nicht der gesamtwirtschaftlichen Ressourcenknappheit entziehen.
Der Kapazitätsausbau zum vierten Quartal verursacht von Jahr zu Jahr steigende Kosten. In Kombination mit dem oftmals margenschwachen Geschäft stellt das eine hohe Belastung für die Unternehmen dar. Deshalb ist es mittelfristig nötig, die wirtschaftliche Lage der Unternehmen über einen Mix aus Produktivitätssteigerung und damit (Stück-)Kostensenkungen sowie Zusatzerlöse zu stabilisieren und zu stärken.

Natürlich kann sich auch unsere Branche von diesen Entwicklungen nicht vollständig unabhängig machen. Den veränderten Rahmenbedingungen tragen die Unternehmen Rechnung, indem sie vermehrt neue Technologien wie Lastenräder statt Kraftfahrzeuge einsetzen. Auch die Tourenplanungen entwickeln sich weiter, sie berücksichtigen beispielsweise die Verkehrslage.
Besonders Unternehmen außerhalb der Ballungsräume konsolidieren die Zustellsysteme und bündeln Zustellmengen. So reagieren sie auf den Trend der Urbanisierung. Das Thema Fahrverbote stellt sich zumindest in diesem Jahr nur auf einigen Straßenabschnitten und wird deshalb die Zustellsicherheit nicht flächendeckend beeinflussen.
Mittelfristig gesehen sind die sich abzeichnenden Herausforderungen mit den bestehenden Prozesslandschaften jedoch nicht mehr zu bewältigen. Wie in anderen Branchen wandeln sich auch die Prozesslandschaften der KEP-Branche von wertschöpfungskettengetriebenen Modellen hin zu plattformgetriebenen Systemen. Der BdKEP arbeitet an KEP-Plattformen, die auf offenen Standards basieren und besonders auch für die mittelständischen Unternehmen diskriminierungsfrei zugänglich sind. Die Beteiligten sollen dabei angemessen und zweckmäßig am Wert der eingebrachten Ressourcen partizipieren.
Drohnen, Zustellroboter, autonome Fahrzeuge. Welche Techniken werden sich durchsetzen und wo sehen Sie die weiteren (digitalen) Trends?
Jede der Lösungen wird sich in ihrem jeweiligen Einsatzfeld etablieren. Drohnen sind zum Warentransport in eher dünn besiedelten Gegenden geeignet, auf absehbare Zeit nicht in den Ballungsräumen. Straßengebundene Systeme werden weiterhin die wichtigsten Technologien für die erste und letzte Meile bleiben. Zustellroboter und autonome Systeme unterstützen Zusteller/innen bei Ihrer Arbeit. Sie nehmen ihnen jedoch in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht die Zustellung bei Empfängern ab.
Wird sich die Zustellung mit neuen Fahrzeugkonzepten verändern? Werden Transporteure mit leisen E-Lieferwagen bald zu reinen Nachtarbeitern?
Ja, neue Fahrzeugkonzepte ändern die Zustellprozesse. Für Elektromobilität wurde das bereits in der vorhergehenden Frage aufgeführt. Neue Ansätze für Nachtbelieferung speziell aus dem Fokus Elektromobilität sehe ich in der KEP-Branche aber eher weniger. Schon heute gibt es funktionierende leistungsfähige Nachtnetze. KEP-Dienstleistungen sind außerhalb davon auf den direkten Kontakt zwischen Versender und Empfänger ausgelegt. Starken Einfluss werden zukünftig Fahrzeugkonzepte haben, die Datenbanken, IOT-Anwendungen und künstliche Intelligenz in die Fahrzeuge integrieren.
Wie können Fahrten ohne Kundenkontakt und damit ohne Zustellerfolg vermieden werden?
Dabei gibt es zwei Strategien: Einerseits wird es mehr Zustellmöglichkeiten geben, die auch ohne Kundenkontakt funktionieren. Dazu zählen Paketboxen, Kofferräume, Postshops, Nachbarn und andere Anlieferpunkte. Andererseits können Fahrten ohne Zustellerfolg vermieden werden, wenn man dann zustellt, wenn der Kunde zu Hause ist oder dort zustellt, wo sich der Kunde gerade befindet. Hier werden Empfänger/innen zukünftig deutlich mehr Optionen angeboten werden, als wir sie heute sehen.
Welche Unterstützung können Sie den Händlern beim Retourenmanagement und der Sendungsverfolgung anbieten?
Wir gehen davon aus, dass sich auch das Retourenmanagement für den Empfänger bequemer gestalten wird. An zusätzlichen Paketboxstandorten können Retouren zurückgegeben werden, Einzelhandel und Retouren werden sich weiter verschränken. Händler können in carrierübergreifenden Plattformen ihre Retouren verfolgen und steuern. Beispielsweise können sie entscheiden, ob die Retoure überhaupt zurück muss oder gleich im Einzelhandel verbleibt und zum Kauf angeboten wird.
Welche Voraussetzungen müssen Händler an der Lagerrampe und in den Filialen erfüllen, um eine reibungslose Zustellung zu unterstützen?
Saubere Adressdaten, Angaben der Empfänger über den Zustellweg und die Zustelluhrzeit, die Wahl der geeigneten Versanddienstleistung sowie der geeigneten Verpackungen helfen bei einer reibungslosen Zustellung. Auch die rechtzeitige Bereitstellung der Sendungen zur Abholung ist wichtig. Kommt etwas zu spät beim Empfänger an, hat in der Regel der KEP-Dienst auch dann den schwarzen Peter, wenn Versender die Ware zu spät verschicken. Geeignete Parkmöglichkeiten und Infrastruktur zur Übernahme der Sendungen sind ebenfalls wichtig, um die knappen Zeitschienen zu halten.
Mikrodepots, Packstationen, Paketkästen, Belieferung in den Kofferraum. Welche innerstädtischen Lieferkonzepte sehen Sie noch?
Es geht dabei nicht um das Aufzählen möglichst weiterer Lieferkonzepte. Vielmehr ist wichtig, in welchem Kontext diese Liefersysteme zur Anwendung kommen. Bisher betreiben KEP-Dienste jeweils unabhängig voneinander arbeitende in sich geschlossene Liefersysteme. Bisher baut jedes Lieferunternehmen seine eigenen Mikrodepots, Packstationen, Paketkästen oder Belieferung in den Kofferraum auf. Zukünftig werden Lieferkonzepte entstehen, die Sendungsmengen über verschiedene Carrier bündeln. Ziele sind, die Produktivität in der Sortierung und auf der letzten Meile zu steigern sowie neue Serviceleistungen für Empfänger zu entwickeln. Der Trend wird dahin gehen, dass Empfänger auch die Zustellung, zumindest teilweise, mit Ihren Daten bezahlen.

Auf Basis der Erfahrungen aus den letzten Jahren gehe ich davon aus, dass wirksame unternehmensübergreifende Kooperationen besonders der marktführenden KEP-Dienste nicht stattfinden werden. Trotzdem ist davon auszugehen, dass Frachträume und Routen zukünftig besonders im B2C-Kontext effizienter genutzt werden. Hierbei rücken besonders Sortierzentren sowie die erste und letzte Meile in den Fokus.
Haupttreiber sind die Kosten für Sortierung und Zustellung, die geringen Stückerlöse sowie die notwendigen Investitionen in neue Technologien. Hauptbestandteil der Lösung ist die Bündelung der Sendungsmengen über Logistikplattformen. Wo bisher Sendungsmengen über mehrere KEP-Dienste verteilt in jeweils unabhängig voneinander arbeitenden in sich geschlossenen Wertschöpfungsketten verarbeitet werden, werden künftig interoperable Lösungen zum Einsatz kommen. Dann stellen nicht mehr wie bisher fünf Lieferfahrzeuge in einem Hauseingang jeweils eine Sendung zu, sondern es wird ein Lieferfahrzeug fünf Sendungen in einem Zustellvorgang ausliefern.
Handlungsspielraum sehe ich bei der Ausgestaltung dieser Systeme. Es sind Logistikplattformen denkbar, die auf offenen Standards basieren und diskriminierungsfrei zugänglich sind. Die Beteiligten bleiben eigenständig und die Plattformen werden durch voneinander abgegrenzte und unabhängige Unternehmen betrieben. Sie arbeiten branchenübergreifend gleichberechtigt und weitgehend autonom bei der Erreichung der gemeinsamen Ziele zusammen. Die Beteiligten können angemessen und zweckmäßig am Wert der eingebrachten Ressourcen partizipieren.
Auf der anderen Seite sind Logistikplattformen denkbar, die auf Basis geschlossener Standards eines oder einiger weniger Plattformbetreiber beruhen. Sie sind nicht diskriminierungsfrei zugänglich. Die Beteiligten werden abhängig und verlieren ihre Autonomie. Am Wert der eingebrachten Ressourcen partizipiert maßgeblich der Plattformbetreiber. Die anderen Beteiligten partizipieren nur soweit, wie es der Plattformbetreiber zulässt.