Mit zunehmendem Onlinehandel steigt die Zahl der versendeten Pakete. In vielen Städten droht der Verkehrsinfarkt. Auch der Güterfernverkehr steckt immer öfter im Stau fest. Fahrermangel führt zur Verknappung von Laderaum. Abhilfe leisten kann die Digitalisierung: Von einer intelligenten Vernetzung, selbst mit Konkurrenten, könnten alle profitieren – auch die Umwelt.
So schlugen große Spediteure wie Dachser und Nagel wenige Wochen vor Weihnachten wegen extremer Kapazitätsengpässe Alarm. In Schreiben an die Kunden malt Dachser ein düsteres Bild, was nicht zuletzt auf den Mangel an LKW-Fahrern zurückzuführen sei. Konsumgüterhersteller zitterten bereits, dass ihre Ware in dieser wichtigen Verkaufssaison gar nicht erst im Handel landen könnte. Zumal große Handelsunternehmen in der Lebensmittel- und Konsumgüterbranche ihren Lieferanten und deren Spediteuren immer engere Zeitfenster setzen. Wer nicht rechtzeitig zum Entladen kommt, hat das Nachsehen.
Immer engere Zeitfenster
Die strukturellen Ursachen für die Verknappung von LKW-Laderaum sind vielschichtig. Doch das Hauptproblem ist der Fahrermangel. Dieser hat viele Ursachen. Eine davon geht auf den Sommer 2011 zurück, als die allgemeine Wehrpflicht aufgehoben wurde. Bis dahin hatten Generationen von jungen Männern ihren LKW-Führerschein bei der Bundeswehr gemacht. Wer keinen Job fand, hatte damit immer noch die Möglichkeit, irgendwo als Brummifahrer anzuheuern.

Oft bewegen sich die Lastzüge von einem Stau zum anderen, ohne dem Ziel wesentlich näher gekommen zu sein. Schließlich steuern die Fahrer meist völlig überfüllte Raststätten an, um dort unter prekären Bedingungen ihre Ruhezeiten und oft sogar ganze Wochenenden zu verbringen. Kein Wunder, dass sich kaum mehr jemand für diesen Beruf interessiert. Um wenigstens genügend Fahrer für die eigenen regionalen LKW-Flotten zu rekrutieren, umwirbt etwa die Edeka potenzielle Bewerber mit dem Versprechen: „Unsere Fahrer schlafen jeden Tag im eigenen Bett.“ So zitiert die „Lebensmittel Zeitung“ einen Geschäftsführer des Handelsriesen. Um nicht zuletzt dem Fahrermangel beizukommen, greift der Discounter Lidl mit dem Beginn dieses Jahres tiefer in die Tasche: Die rund 3300 Logistikmitarbeiter werden inzwischen nach dem für sie besseren Einzelhandelstarif entlohnt.
Fahrerlose Elektrolaster von Lidl
Außerdem schickt Lidl neuerdings fahrerlose Elektrolaster auf die Straße, zunächst allerdings nur auf einer überschaubaren Strecke im dünner besiedelten Schweden. Doch bis vollautonome Lastzüge das hiesige Straßenbild verändern, sitzen noch viele Brummifahrer im Stau fest.

Doch wie bisher kann und darf es nicht weitergehen. Laut EU-Kommission werden auf Europas Straßen jedes Jahr rund 350 Milliarden Leerkilometer zurückgelegt, eine unvorstellbare Vergeudung von Ressourcen.
Einen großen Beitrag zur Lösung des Problems kann die Digitalisierung leisten, wie eine Studie der RWTH Aachen University und der Transporeon Group zeigt. Zumal derzeit erst knapp 38 Prozent der Digitalisierungspotenziale genutzt würden. In der Praxis geht es um den Einsatz moderner Kommunikationsmedien wie Apps, die digitale Erfassung aller Transportdaten und die onlinebasierte Bearbeitung der Transportdokumente. Über entsprechende Schnittstellen eröffnet die neue Logistikwelt sogar den Zugriff auf Dienste und Services anderer Akteure.
Cloudbasierte Logistikplattformen
Weiter heißt es in der Studie: „Informationen werden in Echtzeit verfügbar, wodurch sich die Transparenz und die Flexibilität erhöhen.“ Davon profitieren alle Beteiligten, weshalb die Logistik der Zukunft durch Kooperationen selbst konkurrierender Mitbewerber geprägt sein wird. Von einem „Kooperationswettbewerb“ ist die Rede. Transporteure können über cloudbasierte Logistikplattformen ihre LKW besser auslasten, mit kürzeren Warte- und Standzeiten Kosten sparen und die Mitarbeiter deutlich effizienter einsetzen. Durch höhere Ladeproduktivität sinken die Transportkosten. Von einer intelligenten Vernetzung, selbst mit Konkurrenten, könnten am Ende alle profitieren – auch die Umwelt.
Mercedes Van Roboter
Alternative Zustellmöglichkeiten
Statt der Lieferung nach Hause fordern die Konsumenten mehr alternative Zustellmöglichkeiten. Und wenn das Produkt nicht passt oder gefällt, wollen „die Onlineshopper Waren einfach, bequem und schnell zurückschicken können“, heißt es in der Studie.
Heute klaffen Anspruch und Realität meist noch weit auseinander. Und wenn für die Zustellung auf der letzten Meile keine logistischen Alternativen gefunden werden, versinkt mancher Kundenwunsch im Verkehrschaos.
Das Thema Zustellung auf der letzten Meile brennt unter den Nägeln. Auch das „Handelsblatt“ hatte vor wenigen Wochen eine Alternative aufgezeichnet, die Onlinespezialisten wie Amazon zunächst gar nicht schmecken dürfte: Die Bündelung der Zustellung nach Hause unter dem Dach von nur noch einem Dienstleister. Schließlich strebt Amazon nicht nur vor die Haustür, sondern gleich in die Wohnung, um am Ende die gesamte Wertschöpfungskette bis ins Herz der Kunden zu kontrollieren.
Mit einem System zentraler Umpackstationen, sogenannten Hubs, arbeiten bereits Städte wie Paris und das spanische Málaga. Das Ganze ist ein hochpolitisches Thema, denn am Ende geht es um die Hoheit auf der letzten Meile. Bienzeisler rechnet daher mit „Verteilungskämpfen“.

Mehr individuelle Kundenwünsche
Gleichzeitig sinkt die Auslastung der Lieferfahrzeuge, weil immer mehr individuelle Kundenwünsche an die Zustellung bedient werden müssen. Laut einer Untersuchung von PricewaterhouseCoopers (PwC) macht der Güterverkehr annähernd 30 Prozent des Stadtverkehrs aus. Doch zu Stoßzeiten verursachen LKW und Lieferwagen bis zu 80 Prozent der innerstädtischen Staus. Wer morgens mit dem eigenen PKW in die City fährt, weiß, was die Belieferung von Geschäften oder der kurze Stopp des DHL- oder Hermes-Kuriers bedeutet: Nicht selten kilometerlange Rückstaus.
Lärm und dreckige Luft tun ihr Übriges. So arbeiten die Lieferdienste mit Vollgas an der Umstellung ihrer Flotten auf Elektrofahrzeuge. Etwa jedes zehnte der 43000 Zustellfahrzeuge von DHL ist bereits elektrifiziert. Jährlich sollen 3000 dazukommen, so der Plan. Das reduziert zwar die Schadstoffbelastung und den Verkehrslärm in den Städten. Doch mit zunehmender E-Mobilität der Fuhrparks und des privaten Verkehrs steigt die Herausforderung an die Lade-Infrastruktur. Und das Verkehrschaos wird damit noch lange nicht behoben.