Tonnenweise Ware drückt derzeit in den Handel, die Unternehmen wissen kaum noch, wohin damit. Sie brauchen Flächen zum Zwischenlagern. Und die Lebensmittler brauchen zusätzliche Flächen, weil ihre eigenen Lager nicht mehr ausreichen. Der Logistikimmobilien-Markt brummt wie nie, doch Hamsterkäufe sind nicht der Grund.

Vielleicht lohnt es sich bei diesem Thema mit Hellofresh einzusteigen. Wer Aktien des Kochboxenversenders hat, ist derzeit einer der Gewinner - wie das Unternehmen sowieso. Der Kurs des Papiers schoss in den zurückliegenden Wochen in die Höhe, und das hängt alles mit der Corona-Krise zusammen. Denn das Geschäft von Hellofresh brummt, weil die Menschen nicht mehr ausgehen können, nicht mehr in Restaurants essen, sondern wegen der Kontaktsperre dazu verdonnert sind, sich irgendwie daheim zu versorgen.

Also wird bei Bringdiensten wie Lieferando Pizzas oder Burger bestellt, oder man ordert bei Hellofresh, das vorbereitete Menüs zum Selbstkochen vorbeibringt. Oder: Die Menschen stürmen die Supermärkte und kaufen sich Zutaten, um daheim etwas auf den Tisch zu bekommen. Denn: Wer sonst tagsüber in der Kantine seines Betriebs isst, aber jetzt im Homeoffice arbeitet, muss ja sich irgendwie verpflegen. Und seine Kinder, die üblicherweise im Kindergarten oder Schulhort Mittagessen bekommen, auch. 


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City-Logistik

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Für Kuno Neumeier ist das ein Grund, warum die Deutschen seit Wochen die Supermärkte stürmen. "Ich sehe nicht, dass es hier um Hamsterkäufe geht", sagt er. "Vielmehr hatte sich ein Großteil der Menschen bisher in Restaurants versorgt, es wurde immer weniger gekocht." Aber jetzt müssen sie. Und weil sie das täglich müssen, eingebettet in den Arbeitsalltag, kommt das auf den Tisch, was schnell geht - die Dose Ravioli ist hier zwingend dazuzuzählen.

Neumeier beobachtet diesen Trend nicht aus soziologischer Sicht, sondern aus der eines Fachmanns für Logistik, besser, für Logistikimmobilien. Neumeier ist Gründer und Chef von Logivest, einem Beratungsunternehmen, sprich Makler, für diesen Markt. Alexander Nehm, einer der Geschäftsführer des Unternehmens, zählt zu den "Logistikweisen" Deutschlands, die das Bundesverkehrsministerium mit Brancheneinschätzungen- und empfehlungen versorgen. 

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Neumeier und sein Team haben seit Tagen gut zu tun, besser, sie arbeiten in einer sagenhaften Taktung, wie es noch nie zuvor gegeben hatte. Erst am Mittwochabend, 21 Uhr, hatte Neumeier noch eine lange Telefonkonferenz mit einem großen Lebensmittelhändler. Dessen Probleme sind derzeit gleichen, wie die der Konkurrenz: alle suchen dringend Logistikflächen.

Und wie sie suchen: In der vorigen Woche, also in der ersten des Lockdowns, gingen bei Logivest Anfragen für insgesamt sage und schreibe 1 Million Quadratmeter Fläche ein, sagt Neumeier. Was das für eine gigantische Menge ist, beschreibt eine andere Zahl: Im Jahr 2019 wurden in Deutschland insgesamt 7 Millionen Quadratmeter Fläche vermietet - von allen Immobiliendienstlern zusammen. "Die vorige Woche war der Peak", sagt er und meint, dass es nicht schlimmer komme. Ab jetzt jetzt wird also abgearbeitet, bis Ende dieser Woche will Logivest 10 Prozent der Anfragen abgearbeitet haben - wenn es gut läuft. Gesucht werde alles, von 5.000 bis 100.000 Quadratmeter Fläche.


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Flächennot

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Doch warum dieser Ansturm auf Lagerflächen? Weil mehr Ware den Markt flutet als je zuvor, vor allem der Lebensmittelhändler. Das sind die angestiegenen Mengen an Kühl- und Tiefkühlsortimenten, die in Umschlagplätzen zwischengelagert werden müssen, weil die Zentrallager der Supermarktfilialisten die Tonnen Warenlieferungen kaum noch aufnehmen können.

Ein anderes Problem: Da hat ein Discounter vor Monaten in Asien Aktionsware geordert, und diese 100 Container sind nun angekommen. Doch verkaufen ist derzeit nicht erlaubt - weil das Sortiment den geschlossenen Fachhandel betrifft. Und der darf jetzt nicht benachteiligt werden. Also muss die Ware irgendwohin. Gleiches gilt beispielsweise für den Textilhandel, dem jetzt die Frühjahrsware geliefert wird, ohne, dass er sie verkaufen kann. Was tun? Die Hemden und Hosen verbrennen? Oder darauf hoffen, dass man wenigstens ein bisschen davon noch verkaufen kann. Online. Oder in den Läden, irgendwann, wenn sie wieder geöffnet werden dürfen. 

Doch bis dahin muss das Zeug gelagert werden. Trocken, sicher, warm. Oder kühl, je nachdem. Nun ist der Markt für Logistikflächen schon vor der Corona-Krise angespannt gewesen. Die Branche wächst seit Jahren, aber Deutschland wächst ja flächenmäßig nicht mit, also muss auf dem immer knapper werdenden Raum ein Logistiksystem organisiert werden. Das gilt für den Straßenverkehr, der von immer mehr Lastwagen belastet wird. Und es gilt für die Landschaft, in die immer mehr Lagerhallen gebaut werden. Doch es gibt immer weniger Platz dafür, und nicht jeder Bürgermeister weist Flächen seiner Gemarkung für unschöne Logistikimmobilien aus, da es ja auch gleichzeitig immer mehr Bedarf für Wohnungen gibt. Und jetzt haben wir die Jahrhundertkrise namens Corona, die auch das Logistikystem maximal anspannt. Woher bekommt man jetzt frei stehende Lagerflächen? In dem man quasi jeden Abstellraum in Deutschland kennt, um es mal flapsig zu formulieren. Oder, wenn nicht, nach ihnen sucht. So funktioniert die Arbeit bei Logivest, das für die Suche auch das Portal gewerbegebiete.de betreibt. Logistikdienstleister haben auf der Plattform die Möglichkeit, freie Lagerflächen einzustellen. Unternehmen aus Handel und Industrie können deutschlandweit selbst nach bewirtschafteten Flächen suchen. Die Plattform ist wegen der Corona-Krise bis einschließlich 30. September kostenfrei nutzbar.

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Was Neumeier lobend feststellt, ist die "hammermäßige Solidarität" des Marktes. Alle versuchen sich gegenseitig zu helfen, die meisten Anbieter von Flächen würden sich sehr kooperativ verhalten. Es geht ja aktuell vor allem um kurzfristige Vermietungen von drei bis sechs Monaten, Zeiträume, die die Vermieter nicht so mögen, weil sie längerfristig denken. Zwei Jahre vermieten heißt ja: drei Jahre Mieteinnahmen. 

Doch Corona verändert vieles, auch die Kündigungsmöglichkeiten für Mieter von Logistikimmobilien. Vielleicht ist ja im Juni alles vorbei, und dann kann der Händler wieder raus aus der Lagerhalle - entsprechend muss sein Mietervertrag gestaltet sein. Genau das finde derzeit statt, sagt Neumeier, "und das ist einmalig". Einmalig ist es wohl auch, dass es angesichts der rasant steigenden Nachfrage keine Preistreiberei seitens der Vermieter gibt. Zumindest versichert das Neumeier. "Die Mieten sind stabil", versichert er. 


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Welche Dynamik derzeit im Markt ist, bestätigt auch Umut Ertan. "Wir verzeichnen derzeit in allen unseren Niederlassungen eine hohe Nachfrage nach Mietflächen für Heimlieferdienste. Aufgrund eines sprunghaften Anstiegs der online ausgelösten Belieferung nach Hause wollen Anbieter dieser Services ihre vorhandenen Lagerkapazitäten weiter deutlich ausbauen", sagt der Gründer und Gesellschafter der Realogis-RLI Unternehmensgruppe. "Exponentiell steigen auch die Anfragen von Lebensmitteleinzel- und Großhändlern, die neue Verteil- und Versandzentren schaffen wollen, und hierfür kurzfristig Grundstücksankäufe tätigen wollen".

Der Logistik-Experte Ertan sieht gleichzeitig, dass sich der Einlagerungsbedarf von Industrie- und Konsumgüterhändlern, insbesondere für Güter des täglichen Bedarfs erhöhe. Der RLI-Chef rechnet damit, dass die Nachfrage nach für modernen Logistikimmobilien, aber auch für einfache oder ältere Lagerflächen etwas für die Belieferung der letzten Meile in den nächsten Monaten spürbar steigend werde. Dieses betreffe sowohl zentrale innerstädtische Lagen als auch die "Speckgürtel" von Ballungszentren.

Bis dahein wird Hellofresh noch einige Kochboxen ausfahren.

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