Miet-Commerce scheint aktuell so etwas wie das nächste große Ding im Handel zu werden. Nach einer aktuellen Studie von PwC haben inzwischen 40 Prozent der Deutschen schon einmal Angebote der Share Economy genutzt. Und die bietet dem Handel Chancen.
In Wirtschaftswunderland Deutschland hätte die „Sharing Economy“ wohl keine großen Chancen gehabt. Wer sich etwas leihen musste, konnte sich den Gegenstand offensichtlich nicht leisten. Dass die Menschen in der Zukunft einmal auf die Anschaffung eines Autos verzichten würden, um einen Wagen nur zeitwillig zu benutzen, war kaum vorstellbar. Und etwas ungläubig werden viele Handelsmanager vielleicht im Jahr 2000 das Buch „Access – das Verschwinden des Eigentums“ von Jeremy Rifkin gelesen haben.
Seitdem hat sich viel verändert. Statt imposanter Regale voller CDs und Videokassetten nutzen die Konsumenten ganz selbstverständlich Streaming-Dienste wie Spotify und Netflix. Die Digitalisierung lässt grüßen.
Eigentum ist belastend
„Belastend“ – wenn ein Teenager heute seine Eltern an den Rand der nervlichen Belastbarkeit führen will, fügt er das Wort „belastend“ als Standardantwort auf alle Anfragen seiner Erziehungsberechtigten an. „Räum Dein Zimmer auf!“ „Nein, das ist belastend“. „Belastend“ ist aber auch alles, was die eigene Flexibilität hemmt. Eigentum verpflichtet eben nicht nur, es bindet. Und wenn aus den Teenagern bereits junge Erwachsene geworden sind, die sich auf dem Arbeitsmarkt von Heute beweisen wollen, hemmt zu viel Eigentum die Flexibilität, und sei es, weil eine Reihe von Umzugskartons gepackt werden müssten.Da ist dann ja auch noch der Aspekt der Nachhaltigkeit. Denn all das, was an Besitz angehäuft wird, muss ja auch erst produziert werden. Und das, obwohl es nur gelegentlich benötigt wird. Die Kunden von heute haben nicht mehr automatisch den Wunsch, ein Produkt, das sie nutzen, auch zu besitzen.
Miet-Commerce – viele machen schon mit
Ikea tut es zwar noch nicht, aber auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos deutete selbst sein Chef schon einmal an, dass auch sein Unternehmen über die Vermietung von Produkten nachdenke. Und das könnte sogar richtig praktisch sein. Denn wer während der Arbeitswoche einen zweiten Wohnsitz unterhält, muss die Einrichtung ja nicht unbedingt auch gleich erwerben. Mietmöbel von Ikea würden sich wahrscheinlich sogar einfach wieder demontieren lassen, wenn die zweite Wohnung nicht mehr benötigt wird. Das ist bei Ikea indes allerdings noch Zukunftsmusik.
Die teure Kamera einfach in den Urlaub mitnehmen, das neueste iPhone ausprobieren oder in den Wintermonaten mit dem gemieteten Laufband drinnen trainieren – das gibt es bei Grover.
Bei Mietangeboten im Web geht es nicht nur um Technik und Gadgets. Im Alltag von Familien gibt es zwei Produktkategorien, deren Besitz gleichfalls belastend ist. Der Neukauf von Baby- und Kinderkleidung steht in den ersten Lebensmonaten und Jahren regelmäßig auf dem Einkaufszettel der Eltern. Das gilt auch für Kinderspielzeug.
Langzeitmotivation bei Spielzeug ist eher die große Ausnahme und dann meist auch eher etwas, was sich bei größeren Kindern einstellt. Abseits von Lego oder Playmobil breitet sich schnell Langweile aus. So muss stets etwas aufregenderes her. Warum also nicht leihen?
Baby- und Kinderkleidung zur Miete bietet Tchibo, das Familien eh zu seiner wichtigsten Zielgruppe zählt. Hinter „Tchibo Share“ steckt indes auch nur ein Kooperationspartner: Kilenda wurde 2014 gegründet und beschäftigt bereits 20 Mitarbeiter. Angeboten wird hier auch Umstandsmode, Spielzeug und Ausstattung rund ums Kind.

Meine Spielzeugkiste bietet 500 Spielzeuge für alle zwischen 0 und 12 Jahren. Der Freudentaler Kinderladen (freuki.de) ist dagegen schon seit 25 Jahren stationär unterwegs und bietet seine Babyartikel inzwischen auch zusätzlich online zur Miete an. Auch dieser Ansatz kann natürlich ein Modell für Händler sein.
Ganz kurz oder lang?
Im Einkauf liegt der Gewinn. Diese alte Kaufmannsregel gilt umso mehr gerade bei Mietmodellen. Denn wirtschaftlich wird es natürlich nur, wenn über die Mietdauer nicht nur die Anschaffung bezahlt ist, sondern auch noch etwas Gewinn übrig geblieben ist. Und die maximale Mietdauer ist natürlich begrenzt, denn irgendwann ist ein Gerät so abgenutzt, dass es der Kunde sofort zurückgehen lässt, schlimmstenfalls ist es nicht mehr aktuell oder kann nicht aufbereitet werden.Auf die Frage nach der Wirtschaftlichkeit finden die Anbieter unterschiedliche Antworten mit ihren Modellen.
Bei Grover etwa gibt es keine Mindestlaufzeit. Wer das Gadget also nur vier Wochen leihen will, kann das tun. Otto Now bietet fest Laufzeiten von 3, 6, 12 oder 24 Monaten an. Je länger der Kunde mietet, desto günstiger werden die Raten.
Wirtschaftlich rechnet sich das für den Kunden in aller Regel nicht. Wer bei Grover beispielsweise das neueste Notebook von Microsoft mietet, hat spätestens nach 12 Monaten auch den Verkaufspreis erreicht. Vermietung kann auch mit einem Abomodell kombiniert werden, wie „Meine Spielzeugkiste“ zeigt. Aus dem Abo ergibt sich im Laufe der Zeit natürlich auch ein sehr umfassendes Bild von den Kunden, das wiederum für die Optimierung der Empfehlungen genutzt werden kann.
Der Einstieg ist nicht einfach
Auch wenn das Interesse der Konsumenten an Mietmodellen wächst. Der Regelfall ist das Geschäft noch nicht. Das merkt jeder Händler, der sich für einen Einstieg in den Miet-Commerce interessiert, spätestens dann, wenn er sich gedanklich mit der Abrechnung beschäftigt. Marktplätze wie Amazon und Ebay sind auch im Backend in erster Linie auf den Verkauf ausgerichtet. Das gilt ebenso für gängige Shopsysteme und auch für die Warenwirtschaft. Einfallsreichtum und im Zweifel Bastelarbeiten mit Hilfe eines Software-Entwicklers sind also wahrscheinlich unumgänglich.Exzellente Beziehungen und Verhandlungsgeschick gegenüber den Lieferanten sind ebenfalls eine notwendige Basis, um erfolgreich in den Miet-Commerce einzusteigen.
Auf der anderen Seite haben die großen Player bereits erfolgreich die ersten Hürden bei Herstellern und Lieferanten abgebaut. Die Vermietung der Produkte lässt sich auch als Marketingaktion gegenüber den Herstellern verkaufen, zum Beispiel in der Spielwarenindustrie. Die Hoffnung lautet schlicht, dass der Nachwuchs in Tränen ausbricht, wenn das doch so geliebte Spielzeug von den Eltern wieder eingesammelt und zurückgeschickt wird. Um des lieben Friedens willen, werden Mama und Papa dann vielleicht bereit sein, den Artikel doch zu kaufen. Alle Anbieter rechnen üblicherweise die bereits gezahlte Miete auf den Kaufpreis an. Mit Ausnahme von Otto. Da kann man seinen Mietartikel nicht dauerhaft erwerben.

Aus Sicht der Kunden steigert ein Händler, der Produkte auch zur Miete anbietet, seine Attraktivität. Gerade wenn die Artikel nach Ablauf der Miete auch erworben werden können, stellt sich die Miete wie eine weitere Bezahlvariante dar, bietet aber den Vorteil das Produkt auch in Ruhe ausprobieren zu können. So bietet Miet-Commerce Chancen. Ein Geschäftsmodell exklusiv darauf aufzubauen, ist aber nicht einfach.