Das Geschäft mit gebrauchten oder erneuerten Produkten ist ein Trend, dem sich viele Händler nicht mehr entziehen können. Befeuert durch den Wunsch von immer mehr Konsumenten nach Nachhaltigkeit entwickelt sich das Geschäftsmodell Re-Commerce auf eine neue Stufe. Gastautor Dr. Florian Heidecke, Geschäftsführer Valantic CEC Schweiz, erklärt, wie Händler davon profitieren - und welche Herausforderungen damit einhergehen.
Die Idee von Re-Commerce ist, ähnlich wie die Produkte, die angeboten werden, nicht neu. Den Handel mit gebrauchter Ware gibt es seit einigen Jahren, doch das Geschäftsmodell entwickelt sich nun unter veränderten Bedingungen auf eine neue Stufe.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Laut der
„Statista Global Consumer Survey 2021“ haben fast die Hälfte (44%) der Deutschen im Jahr 2020 ein gebrauchtes Produkt erworben. Nach Branchen betrachtet, sind im Re-Commerce elektronische Produkte (17,8% Gesamtanteil laut Statista) der Spitzenreiter. Kleidung, Bücher und Möbelstücke sind ebenfalls begehrte Gebrauchtware im Internet.
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Der Nachhaltigkeitstrend beschert dem Re-Commerce-Geschäft einen weiteren Aufschwung. Händlern, stationär wie online, bietet es Chancen für Neukundengewinnung und Marktpositionierung (hier das Berliner Gebrauchtwarenkaufhaus "Noch-Mall").
Bekannte Player im Bereich Re-Commerce hierzulande sind u. a. Vinted, ReBuy, Ebay-Kleinanzeigen (als Plattform für den direkten An- und Verkauf zwischen Konsumenten) und Momox. Und der Handelsverkehr gebrauchter Gegenstände über das Web lohnt sich: Zum Beispiel hat allein Momox, ein Online-Anbieter für den Ankauf und Verkauf von Secondhand-Büchern, -Medien und -Kleidung, im Jahr 2021 einen Umsatz von satten 335 Millionen Euro erreicht.
Die drei Formen von Re-Commerce
Doch Re-Commerce ist nicht gleich Re-Commerce. Er kann in drei Arten unterteilt werden:
- Re-Sale oder der klassische Secondhand-Onlinehandel,
- Refurbish oder Weiterverkauf nach erfolgter Qualitätssicherung und
- Cash-back, auch bekannt als "Alt gegen Neu".
Natürlich sind die Gründe für den Kauf von Secondhand-Ware unterschiedlich, aber einer gewinnt rasant an Gewicht. Denn neuer und klarer Auslöser des Re-Commerce-Hypes ist der Megatrend Nachhaltigkeit, der weltweit eine noch nie dagewesene Dimension erreicht hat.
Über den Autor
Dr. Florian Heidecke ist Geschäftsführer Valantic CEC Schweiz. Er unterstützt Kunden dabei, die richtige Wahl der Plattform für ihr Re-Commerce-Angebot zu treffen und diese auf die jeweiligen besonderen Bedürfnisse anzupassen. Nach Banklehre und Wirtschaftsinformatik-Studium promovierte Heidecke an der Universität St. Gallen (HSG). Seine Berufskarriere startete er bei Arvato. In den vergangenen zwölf Jahren war er beim Digitalisierungsdienstleister Namics (heute: Merkle DACH) in unterschiedlichen Rollen für Kunden in der Schweiz und Deutschland verantwortlich. Seit August 2021 ist Florian Heidecke als zweiter Geschäftsführer im Valantic Competence Center CEC Schweiz für Customer Engagement & Commerce verantwortlich.
© Valantic
Schon lange nicht mehr ist der günstige Preis der alleinige Grund, um sich für Secondhand-Ware zu entscheiden. Heute ist die Motivation auf Konsumentenseite umfangreicher: Nachhaltigkeit und Umweltvorteile sind ein zusätzlicher Antrieb, manchmal sogar der Motor bei der Kaufentscheidung. Hoch lebe das Motto: "Reduce, Reuse, Recycle". Ein weiteres Argument ist bei manchen die nachgewiesene und vom Händler zertifizierte Echtheit von (gebrauchten) Luxusartikeln.
Potenziale ausschöpfen
Da die aktuelle Situation auf dem Online-Markt sich stark ändert, besteht bei Händlern und Marken Handlungsbedarf. Aktiv werden lohnt sich. Denn Unternehmen können einige Vorteile erzielen: Sie haben zum Beispiel jetzt die Chance, neue Kundensegmente (junge, umweltbewusste Konsumenten) zu erreichen.
Der Re-Commerce bekommt nun neben einer kommerziellen auch eine marketingtechnische Bedeutung.
Onlinehändler von gebrauchter Ware können von einem wachsenden (Secondhand-)Markt profitieren, den bis dato andere bearbeiten. Im Fall von Herstellern, zum Beispiel von beliebten Marken- bzw. Luxusgütern, bietet Re-Commerce deren Kunden die Chance, originär gekaufte, nicht mehr benötigte Produkte über den Verkäufer selbst wieder zu Geld zu machen.
Dabei kommen der Prüfung und Gewährleistung der Echtheit sowie Qualität der Ware eine hohe Bedeutung zu.
Chance auf Neupositionierung
Ein wichtiger Aspekt beim Re-Commerce ist, dass Unternehmen die Chance haben, sich auf dem Markt neu zu positionieren. Sie können sich angesichts des Megatrends Nachhaltigkeit umweltbewusster positionieren (Stichwort "Corporate Social Responsibility").
Für Marken ist es wichtiger denn je, dass die Käufer sich mit dem Hersteller oder Händler identifizieren. Dies erfolgt auch über gemeinsame Werte. Nur so können Anbieter längerfristig eine direkte und profitable Verbindung zu ihrer Kundschaft aufrechterhalten.
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Prozesse müssen angepasst werden
Der Re-Commerce bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Das Geschäftsmodell bedingt neue bzw. angepasste Prozesse im Shop, den Warehouses sowie in der Logistik.
Auch beim Thema Preisfindung müssen Händler sicherstellen, dass sie dem Kunden schnell und unkompliziert ein Angebot machen können. Dabei müssen sie aber zugleich sicherstellen, dass das Produkt anschließend kostendeckend aufbereitet und mit Gewinn wiederverkauft werden kann.
Ein häufiger Fehler bei Unternehmen ist, dass ein unnötig komplizierter Ansatz verfolgt wird. Im Onlineshop für gebrauchte Gegenstände sind die Einfachheit und die Transparenz der Prozesse sowohl für Käufer als auch für Verkäufer entscheidend. Dafür benötigen Onlinehändler den passenden technologischen Rahmen.
Fazit
Der Re-Commerce trifft den Nerv der Zeit und wird immer beliebter. Marken, die direct-to-consumer verkaufen, aber auch auch Händler können vom wachsenden Markt profitieren und sich darin neu positionieren. Sie können so Kunden eine nachhaltige Alternative bieten, für welche diese nicht auf andere Kanäle abwandern müssen. Und damit erhöhen sie ganz nebenbei die eigene Wettbewerbsfähigkeit.
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