Omnichannel ist keine Einbahnstraße – das zeigen die vielen Beispiele von Onlinehändlern, die stationäre Läden eröffnen. Unsere Übersicht zeigt: Die Onliner sind auf der Fläche beinahe schon Legion. Und sie haben dafür gute Gründe.
Selbst „Online-Helden“ wie Amazon und Zalando oder ein Unternehmen wie Notebooksbilliger.de, das den virtuellen Ursprung sogar im Firmennamen trägt, sind inzwischen mit stationären Geschäften in den Großstädten vertreten. Bisweilen dient der Onlineshop einem Unternehmen sogar als Sprungbrett. Shoe Passion aus Berlin beispielsweise, 2008 als Anbieter rahmengenähter Lederschuhe im Internet gestartet, macht heute den meisten Umsatz mit den inzwischen zehn Ladengeschäften.

Ende des Pure Play ist längst eingeläutet
Während der stationäre Handel sich unter dem Druck der Onlinekonkurrenz mit Digitalisierungsstrategien abmüht, drängen ausgerechnet die Onliner in Innenstädte und Einkaufszentren. Dies scheint nur auf den ersten Blick paradox. Zwar hat die Digitalisierung das Kaufverhalten verändert, aber die Fläche ist und bleibt der Hauptschauplatz des Einzelhandels. Weit mehr stationäre Käufe werden heute online vorbereitet als umgekehrt. Und geschätzte 85 bis 90 Prozent Umsatzanteil der Branche sind ganz klar das größte Stück vom Kuchen.
Omnichannel-Kunden sind lukrativer
Die Otto-Tochter MyToys, 1999 gegründet, eröffnete bereits 2006 die ersten Filialen und zählt damit zu den Pionieren im kanalübergreifenden Handel. Die „Stärkung der Marke, eine engere Kundenbindung und steigende Umsätze auf allen Verkaufskanälen“ sind laut MyToys-Gründer und Geschäftsführer Oliver Lederle die Früchte der Offlinestrategie. Dort, wo eine Filiale des Spielwarenhändlers entsteht, wächst auch das Onlinegeschäft überproportional.Studien belegen tatsächlich: Omnichannel-Kunden generieren mehr Umsatz als rein stationäre oder reine Online-Kunden. Und: Viele reine Onlinehändler werden wieder vom Markt verschwinden, weil sie den Platzhirschen wie Amazon nicht gewachsen sind.
Auf mehr Umsatz zielen alle Offlinekonzepte ab. Doch die Stategien und Konzepte der einzelnen Unternehmen unterscheiden sich deutlich. Präsenz zeigen, Retouren vermeiden, Kosten für die letzte Meile reduzieren, die Liste der Motive ist lang.
Online gegründete Unternehmen, die gleichzeitig Hersteller sind, wie der Müsli-Mixer MyMuesli oder die Berliner Schokoladenmanufaktur Chocri verkaufen ihre Produkte schon lange auch über Fachgeschäfte und große Supermarktketten. MyMuesli, 2007 gegründet, betreibt schon seit 2009 eigene Läden.
Der Vorteil liegt für diese Anbieter auf der Hand: Viele Verkaufsstellen bedeuten erhöhte Sichtbarkeit, Bekanntheitsgrad und Glaubwürdigkeit - und gerade bei Lebensmittelspezialiäten die Chance auf Impulskäufe. Probieren geht über im Internet studieren.
Vom Restpostenmarkt zum Showroom
Eine Steigerung ihres Bekanntheitsgrades haben Onlineriesen wie Amazon oder Zalando zwar nicht nötig, doch auch ihnen erscheint ein stationärer Auftritt aus Marketingsicht lohnenswert. Beide Unternehmen haben regelrechte Fans, die die Marke auch offline erleben möchten – und im Laden die Chance, ihre Kunden kennenzulernen – und ihre Daten der Customer Journey zu verfeinern.
Auch Zalando fährt offline zweigleisig. Der Modeversender setzt auf zeitlich befristete Pop-up-Stores, hat aber auch einen weiteren Vorteil im stationären Handel entdeckt: In mittlerweile drei Outlets in Berlin, Frankfurt und Köln werden Restposten und Auslaufware vermarktet.
Kanäle müssen eigenständig laufen
Beim Spielwarenversender MyToys geht die Offlineexpansion gemächlich voran: Zwei Filialen pro Jahr ist die interne Maßgabe. Von einer bundesweit flächendeckenden Versorgung ist das Unternehmen mit 17 Filialen noch weit entfernt. Deshalb spielen für Geschäftsführer Oliver Lederle Omnichannel-Services wie Click & Collect auch nicht die entscheidende Rolle.Überhaupt betont Lederle, dass beide Kanäle eigenständig und jeder für sich profitabel sein müssten. Klare Worte in einer Zeit, wo die Verknüpfung der Verkaufskanäle quasi zum Mantra einer Branche geworden ist. Gleichwohl ist eines auch bei MyToys unerlässlich: Da auf der Fläche nicht das gesamte Onlinesortiment abbildbar ist, haben Verkäufer und Kunden in den Filialen Zugriff auf alle Artikel des Onlineshops. Was nicht im Laden vorrätig ist, wird kostenfrei nach Hause geliefert.

Beratung beim Kaffee statt voller Regale
Vor allem für Versender mit retourenanfälligen Produkten wie Möbel oder Mode ist dieses Konzept interessant. Ziel ist es, Räume zu schaffen, in denen die Warenwelt sinnlich erfasst werden kann. Kunden wollen ein Sofa probesitzen, und das kann das Internet schlicht nicht bieten. Home24 betreibt inzwischen sieben Showrooms in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, München und Wien und ein Outlet in Berlin. Der im August in Frankfurt eröffnete Standort bringt es auf 450 Quadratmeter. Verglichen mit den mehrere 10.000 Quadratmeter großen Möbeltempeln vor den Toren der Städte sind die Kosten für eine solche Ladenfläche auch in Frankfurter Innenstadtlage überschaubar.„Die Läden der Onliner sehen anders aus als die der Offliner“, resümiert Ayhan Yuruk, Gründer der Showrooming GmbH, einer Agentur mit Sitz in Berlin und Paris, die Onlinehändler beim Schritt in den stationären Handel unterstützt. „Der Kunde möchte alle Vorteile des Onlineshoppings auch in der realen Welt wiederfinden. Dazu muss weit mehr geboten werden als die reine Produktpräsentation.“
Hier liegt laut Yuruk eine große Chance für ehemalige Internetpuristen, sich vom klassischen Einzelhandel zu differenzieren und ihren Kunden auch im realen Handel einen echten Mehrwert zu bieten - „indem sie den Point of Sale in einen Point of Experience verwandeln.“

Ladendesign soll den Onlineauftritt widerspiegeln
Am Onlineeinkauf orientiert sich auch das Ladenkonzept von Mr. Spex. Dem Online-Optiker, der seit vielen Jahren mit mittlerweile rund 500 freien Optikern kooperiert, eröffnete Anfang 2016 das erste eigene Ladengeschäft in Berlin. 2017 folgten gleich fünf Filialen in Bochum, Bremen, Dortmund und dem Oberhausener Centro. Und auch hier wird die Offlineexpansion weitergehen. Jens Peter Klatt, Multichannel-Chef bei Mr. Spex sieht allein „in NRW noch weiteres Potenzial“.Erklärtes Ziel bei Mr. Spex ist es, „die für den Onlineeinkauf relevanten Parameter mithilfe eines durchdachten Ladenbaukonzepts in den stationären Handel zu übertragen“. Die Mr.Spex-Shops zeichnen sich deshalb durch klare Strukturen, eine transparente und dem Onlinekonzept nachempfundene Raumführung sowie direkten Zugriff auf die Produkte aus.“ Die Kunden sollen sich im Laden so schnell zurechtfinden wie im Onlineshop.
Onlinehandel stößt an Grenzen
Dass der Onlinehandel mit medizinnahen Produkten und Dienstleistungen online an Grenzen stößt, zeigt neben der Optikerbranche auch das Beispiel der Versandapotheke Doc Morris. Der Schweizer Pharmahandelskonzern und Doc-Morris-Inhaber Zur Rose setzt zunehmend auf den Präsenzhandel, in der Schweiz durch Kooperation mit der Migros.Hierzulande verfolgt DocMorris, durch das Fremd- und Mehrbesitzverbot ausgebremst, schon seit vielen Jahren das Konzept der Partnerapotheken. Im Frühsommer 2017 startete DocMorris den jüngsten Versuch, eine eigene Filiale einzurichten. Die Automatenapotheke mit Videoberatung im baden-württembergischen Hüffenhardt musste allerdings im Juni 2017 nach einer Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe wieder schließen. Dass dies nicht der letzte stationäre Vorstoß der Versandapotheke gewesen ist, hat der Chef des Schweizer Mutterkonzerns, Walter Oberhänsli bereits angekündigt.
Druck auf die klassischen Händler steigt
Wenn nun also immer mehr Onliner Ladenflächen anmieten, ist das für die Innenstädte zunächst eine gute Nachricht. Weniger Leerstand bedeutet eine größere Attraktivität für kauffreudige Kunden. Entwarnung also für die City? Nicht ganz, denn der Druck auf die etablierten Händler könnte durch die effizienten, technisch aufgerüsteten Läden der Onliner sogar noch steigen.Der etablierte Innenstadthandel konkurriert künftig gleich auf zwei Feldern mit den im E-Commerce gewachsenen Playern: virtuell und real.