Online-Marktplätze bieten Händlern Möglichkeiten, die eigene Reichweite zu erhöhen, Verkaufszahlen anzukurbeln und schnell auf Marktveränderungen zu reagieren. Die meisten denken dabei an Amazon - doch das Plattformmodell ist nicht nur etwas für digitale Riesen, die ein möglichst breites Sortiment anbieten wollen. Welche Vorteile kleine kuratierte Marktplätze haben und wann es sich anbietet, selbst zum Marktplatz zu werden, erklärt Georg Sobczak vom Softwareanbieter Mirakl.
Auch 2021 erhöht der Handel auf Online-Marktplätzen sein Volumen weiter kräftig und wird hierzulande erstmals in jedem Quartal deutlich mehr als zehn Milliarden Euro umsetzen.

Dem eigenen Markenversprechen treu bleiben
Das Marktplatzmodell ist allerdings nicht nur etwas für digitale Riesen, die ein möglichst breites Sortiment anbieten wollen. Jedes Unternehmen in jedem Sektor, egal ob B2C oder B2B, kann davon profitieren. Mit einer kuratierten Marktplatzstrategie können Unternehmen sich auf die Entwicklung von Kernproduktkategorien konzentrieren, die perfekt zu ihrer Marke passen.Kuratierte Marktplätze wie die der Wohneinrichtungsanbieter Maison du Monde und H&M Home, des Fashionanbieters Urban Outfitters, des Sport- und Outdoorhändlers Decathlon oder der Parfümerie Douglas bieten ihren Kunden eine sorgfältig organisierte, ausgewählte Liste hochwertiger Produkte und Dienstleistungen.
Sie vereinen die besten Aspekte des Marktplatz-Erlebnisses und schaffen einen One-Stop-Shop, der alle Bedürfnisse ihrer Kunden erfüllt und gleichzeitig dem eigenen Markenversprechen treu bleibt, dem die Käufer vertrauen.
Es kommt nicht nur auf die Größe an
Vertrauen ist besonders für kleinere, spezialisierte Verkäufer ein Kernthema. Diese sind oft skeptisch und haben Sorge, sich von der nächsten großen Plattform abhängig zu machen und somit ihr mühsam aufgebautes Herzensprojekt in die Hände eines Tech-Riesen zu geben. Natürlich locken die große Reichweite und das riesige Besuchervolumen auf Amazon und Co., doch bei der Produktvielfalt dieser „Mass Merchants“ fällt es auch deutlich schwerer, die eigenen Produkte bestmöglich in Szene zu setzen.Bei der Vehns Group, einem deutschen Hersteller von Lifestyle-Produkten, hat man dieses Problem erkannt. Auf generalistischen Marktplätzen, wie etwa Amazon, hätte Vehns nur wenig Einfluss darauf gehabt, wie und in welcher Umgebung die eigenen Angebote präsentiert werden. Das Unternehmen hätte für ein gutes Ranking viel in Marketing investieren müssen, um die nötige Sichtbarkeit zu schaffen, die es braucht, um Umsatz zu generieren.
Beispiel Vehns
Darüber hinaus hätte Vehns mit zahlreichen Drittanbietern weltweit konkurrieren müssen, von denen viele niedrigere Preise anbieten können, weil sie sich nicht an EU-Vorschriften halten oder Markenrechte verletzen. Auch wenn das nicht legal ist, haben die großen Plattformen noch keinen Weg gefunden, es tatsächlich zu verhindern.Daher hat die Vehns Group sich entschieden, die eigenen Produkte nur auf kleineren, kuratierten Marktplätzen anzubieten. Durch ihre Spezialisierung sind diese zielgruppengerechter und können Aspekte wie Demografie, Kaufkraft, regionale Anforderungen und Kategorisierungen besser berücksichtigen. Kunden können hier viel gezielter und direkter angesprochen werden, was die User Experience verbessert und die Kundenbindung erhöht.
Und das selektive Sortiment sorgt dafür, dass die Produkte einer Marke ein besseres Ranking und somit optimale Sichtbarkeit erzielen. Außerdem erfolgt auf kuratierten Marktplätzen keine Wettbewerbsverzerrung durch den Weltmarkt.
Der eigene Marktplatz als Alternative
Es ist eine Möglichkeit, sich wie die Vehns Group einem oder mehreren Marktplätzen anzuschließen, um dort die eigenen Produkte zu verkaufen. Eine weitere Möglichkeit ist es, selbst zum Marktplatz zu werden. Welche Marktplatzstrategie für ein Unternehmen die richtige ist, lässt sich mit einem Blick auf die eigene Zielgruppe, Wettbewerber und weitere Akteure im Markt, sowie die unternehmensinternen Voraussetzungen beantworten.Ist der Entschluss gefallen, einen eigenen Marktplatz aufzubauen, sollte dem auch von Führungskräften Priorität eingeräumt werden. Sie dürfen den neuen Marktplatz nicht als Pilot- oder IT-Projekt betrachten, sondern müssen dafür sorgen, dass ein eigenes engagiertes Team sowie ausreichend interne Ressourcen und finanzielle Mittel bereitstehen, damit das volle Potenzial des Marktplatzes ausgeschöpft werden kann.
Kernkategorien vertiefen
Außerdem müssen die richtigen Drittanbieter ausgewählt werden, die gut zum eigenen Angebot passen oder es ergänzen und den eigenen Qualitätsansprüchen gerecht werden. Das können aktuelle Lieferanten sein, Händler aus dem eigenen Vertriebsnetz oder erfahrene Marktplatzverkäufer und Marken.Zu Beginn ist es wichtig, dass der neue Marktplatz in die bereits bestehende E-Commerce-Strategie eingebunden wird und vor allem dazu dient, die eigenen Kernkategorien zu vertiefen oder in ergänzende Kategorien zu expandieren, die für die eigene Zielgruppe relevant sind. So wahrt das Unternehmen das eigene Markenversprechen und stärkt das Vertrauen und die Bindung zu ihren Kunden.
Wird nun noch mit einer gut durchdachten Marketingstrategie dafür gesorgt, dass der Marktplatz sowohl für Neukunden als auch für potenzielle Verkäufer und Marktanalysten gut sichtbar ist, steht einem erfolgreichen Launch nichts mehr im Weg.
Fazit
Einzelhändler müssen erkennen, dass sie in einer guten Position sind, Amazon und Co. die Stirn zu bieten – und danach handeln! Sie kennen ihre Branche und die spezifischen Erwartungen ihrer Kunden wie ihre Westentasche. Auch diese Kunden sind bereit, Amazon den Rücken zu kehren, wenn sie die gleiche Geschwindigkeit, Einfachheit und Qualität geboten bekommen, die sie von den großen Plattformen gewohnt sind.Mit einem eigenen, kuratierten Marktplatz können Unternehmen genau das erfüllen und darüber hinaus auch neu aufkommende Kundenbedürfnisse und -vorlieben schnell bedienen. Auch auf die Bedürfnisse ihrer Verkäufer können Marktplatzbetreiber individuell und schnell eingehen und so ihr Angebot nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ erweitern und diversifizieren.
Anstatt das Feld den Tech-Riesen zu überlassen, sollten etablierte Unternehmen und Einzelhändler diese Chance nutzen, um Marktanteile zu gewinnen – bevor es zu spät ist!