Während des pandemiebedingten Lockdowns mussten viele Händler ihre Geschäfte zusperren. Die Mieten allerdings liefen weiter. Am gestrigen 1. Dezember hat der Bundesgerichtshof zur Frage von Mietzahlungspflichten bei coronabedingter Geschäftsschließung verhandelt. Das Urteil wird für den 12. Januar 2022 erwartet – Rechtsanwältin Diana Bock schätzt die Tendenzen der gestrigen Verhandlung ein.

Was lässt sich nach der Verhandlung bereits sagen?
Der Bundesgerichtshof hat in seiner heutigen Verhandlung bereits wegweisende Leitlinien zum weiteren Umgang mit Mietzahlungspflichten bei COVID-19-bedingten Geschäftsschließungen wie folgt erkennen lassen:

  • Während der Zeiträume staatlich angeordneter Betriebsbeschränkungen kann eine erhebliche Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrages vorliegen, die zu einem Anspruch des Mieters auf Anpassung des Vertrages führen kann, insbesondere zu einer zeitlich begrenzten Mietanpassung.
  • Eine Mietanpassung kann jedoch nicht (wie in dem zur Überprüfung gestellten Urteil des OLG Dresden geschehen) pauschal durch hälftige Risikoverteilung (Senkung der Miete um 50 Prozent) erfolgen. Es muss vielmehr im Wege einer Einzelfallprüfung danach gefragt werden, ob dem Mieter unter Berücksichtigung aller Umstände ein Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann. Im Rahmen einer Zumutbarkeitsprüfung wird es also auch auf die Gewährung staatlicher Hilfen ankommen und auf sonstige Möglichkeiten, Umsatzverluste zu kompensieren.

Rechtsanwältin Diana Bock ist Partnerin bei der Essener Kanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare. Ihr Schwerpunkt ist das Immobilienrecht.
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Rechtsanwältin Diana Bock ist Partnerin bei der Essener Kanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare. Ihr Schwerpunkt ist das Immobilienrecht.
Für welche Branchen ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofes relevant?
Die Leitlinien des Bundesgerichtshofes sind für alle Branchen relevant, die von staatlich angeordneten Schließungen/Beschränkungen betroffen sind. Der aktuelle Fall betraf ein Einzelhandelsgeschäft. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze können auf verschiedene Einzelhandelsbranchen übertragen werden (zum Beispiel Parfümerie, Möbelhandel, Schuhfachgeschäfte, Sportartikel). Darüber hinaus ist die Entscheidung auch für das Hotel- und Gaststättengewerbe, für Fitnessstudios usw. wegweisend.

Welche Konsequenzen haben die Leitlinien des BGH für laufende Verträge und offene Forderungen?
Bei laufenden Verträgen wird nun im Einzelfall zu prüfen sein, ob die Parteien konkrete vertragliche Regelungen für den Fall von staatlich angeordneten Betriebsschließungen/Beschränkungen vorgesehen haben. Ist dies nicht der Fall, sind die BGH-Grundsätze auf laufende Verträge und offene Forderungen anzuwenden.

Haben Mieter die Miete unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet oder bereits Mietkürzungen vorgenommen, werden Mieter nun im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage zunächst ihre wirtschaftliche Lage für die streitigen Zeiträume von Betriebsschließungen/Betriebsbeeinträchtigungen offen legen müssen. Nach transparenter Darlegung der wirtschaftlichen Situation kann anschließend entweder einvernehmlich oder streitig (vor Gericht) entschieden werden, in welcher Höhe ein Mietnachlass dem Mieter zuzugestehen ist. Im Gegensatz zu Mietstundungen, die zurückzuzahlen sind, können Mietnachlässe endgültig beim Mieter verbleiben.

Mieter müssen sich also darauf einstellen, gegebenenfalls ihre wirtschaftliche Situation offen legen zu müssen, wenn sie Mietnachlässe durchsetzen möchten. Mieter sollten vorab selbst realistisch beurteilen, in welchem Maße Umsatzrückgänge kompensiert werden können und mit keinen überzogenen Forderungen an die Vermieter herantreten. Auf diesem Weg ist die Chance für Mieter, eine einvernehmliche Lösung mit Vermietern zu erzielen, wesentlich höher als bei zu hohen Mietanpassungsforderungen.

Sofern Mieter die Miete nicht unter dem Vorbehalt der Rückforderung gezahlt haben und für vergangene Zeiträume die Miete in voller Höhe gezahlt und auch kein Mietanpassungsverlangen gestellt haben, dürfte eine Mietanpassung für zurückliegende Zeiträume mit Aussicht auf Erfolg nicht mehr durchsetzbar sein. Solche Mieter können Mietanpassungen nur für zukünftige Zeiträume in Betracht ziehen (bei erneuten staatlichen Schließungsanordnungen bzw. erheblichen Betriebsbeschränkungen).

Rechtsanwältin Diana Bock ist Partnerin bei der Essener Kanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare. Sie hat ihren Schwerpunkt im Immobilienrecht und bereits seit Beginn der Covid-19-Pandemie zahlreiche Mieter/Pächter sowie Vermieter/Verpächter, auch große Einzelhandels-Gruppen, rechtlich zu den Möglichkeiten der Vertragsanpassung/Mietanpassung für die Zeiträume staatlich angeordneter vorübergehender Schließungen/Beschränkungen beraten und für sie Rechtsgutachten erstellt.