Voice Commerce oder auch Conversational Commerce ist eine völlig neue Form der digitalen Interaktion und eine Plattform für bislang ungeahnte neue Dienste. Vor allem aber ist es eine einmalige Gelegenheit für Händler, eine intime Beziehung zum Kunden aufzubauen.
Verbraucher mögen Sprachassistenten: 36 Prozent der Deutschen nutzen sie bereits im Alltag, so die Studie „Conversational Commerce: Why Consumers Are Embracing Voice Assistants in Their Lives“ des Digital Transformation Institute von Capgemini. Die meisten davon bevorzugen das Smartphone (84 Prozent), einige ziehen diesen Weg inzwischen sogar Apps oder Website vor (15 Prozent).
In den kommenden drei Jahren wird dieser Anteil auf 27 Prozent (weltweit 40 Prozent) steigen, prognostiziert Capgemini. Immerhin gibt jeder zehnte Deutsche heute an, dass er lieber den Sprachassistenten konsultiert, als in den Laden oder die Bankfiliale zu gehen. Achim Himmelreich, Director Digital Customer Experience bei Capgemini, erläutert für etailment, welche Chancen sich Händlern beim Conversational Commerce bieten.
Herr Himmelreich, wieso ist die Zeit des „Conversational Commerce“ gekommen?
Weil die Konsumenten es annehmen. Es ist schnell und bequem, wenn man beispielsweise mit nassen Händen in der Küche steht und den Voice Assistant bittet, den Radiosender zu wechseln. Die Sprache ist unsere normale, natürlichste Umgangsform. Hinzu kommt, dass der Konsument die Konversation auch als emotional empfindet. Die meisten Leute, die Alexa zu Hause genutzt haben, sagen auch schon mal „Danke, Alexa!“.

Nein. Wir Deutschen empfinden Voice sogar als besonders sicher, denn das gesprochene Wort ist flüchtig und wird nicht wie beim Surfen im Internet gespeichert.
Das stimmt aber nicht.
Nein, die Annahme ist falsch und irrational, weil eine gesprochene Bestellung in eine digitale übersetzt wird. Aber das Gefühl ist sicherer. Und das ist der eine Komplex: Der Konsument will Conversational Commerce. Der zweite ist, dass die Spracherkennung immer besser wird. Die Genauigkeit der Kommunikation mit dem Google Assistent liegt seit Anfang dieses Jahres bei guten 95 Prozent, das wird sich noch im Laufe des Jahres verbessern.
Nicht ganz, es gibt sicher noch die ein oder andere Ungenauigkeit. Aber das ist nicht länger ein Hindernis. Wenn man die Genauigkeit der Spracherkennung mit der Bereitschaft der Konsumenten zusammenbringt wundert es nicht, dass diese Technologie die rasanteste Verbreitung in den Geschichte einnehmen wird.
Inwiefern?
Tablets hatten in den ersten fünf Jahren ein durchschnittliches Verbreitungswachstum von 20 Prozent im Jahr, Smartphones lagen bei mehr als 250 Prozent und die Speaker sind jetzt tatsächlich bei 600 Prozent. Das hat in den USA begonnen, weil sie dort zuerst eingeführt worden, setzt sich aber jetzt bei uns fort.
Was bedeutet das für Hersteller und Händler?
Sie müssen sehen, dass ein großer Teil des Commerce in die Schnittstelle „Order per Voice“ wandert. Wenn ich dort nicht präsent bin, bricht mir ein großer Teil des Marktes weg, und zwar der, bei dem ich direkten Kontakt mit dem Kunden habe.
Muss ich also als Händler am besten Schnittstellen zu Amazons Alexa einrichten?
Das geht am schnellsten und hat die derzeit größte Verbreitung. Aber dann überlasse ich Amazon die Kundenkontrolle und die Schnittstelle zum Kunden. Außerdem ist es fraglich, ob mein Produkt beim Voice-Commerce wie in einer Suchmaschine zu den obersten Ergebnissen zählt oder untergeht, die Position ist bei Conversational Commerce noch viel zugespitzter. Wenn man das nicht will, bleibt die Frage, ob ich zu Google oder Facebook gehe oder mit einem Technologiepartner zusammen eine eigene Schnittstelle aufsetze. Wenn man sich an ein großes Ökosystem andockt, hat man immer jemanden zwischen sich und dem Kunden. Als großer Hersteller oder Händler kann ich da sicher einen Deals aushandeln, der das unterbindet, aber einen Teil der Datenhoheit werde ich trotzdem abgeben müssen.
Was bleibt einem Händler denn sonst übrig?
Er muss jetzt nicht blind Technologie kaufen oder sein Geschäftsmodell für Alexa entwickeln, sondern sollte schauen, welchen strategischen Weg er einschlagen will. Da er vermutlich keine Glaskugel hat, die ihm den einen Königsweg zeigt, sollte er anfangen zu experimentieren.
Ist das nicht aufwändig?
Nein, es gibt Workshop-Reihen, in denen man in sechs bis zehn Wochen Sachen einfach mal ausprobieren und relativ schnell einen Prototyp bauen kann, der sich an ausgewählte Kunden richtet. So kann der Händler sehen, wie seine Kunden bei der Spracherkennung auf seine Marke reagieren. Und dann geht der Lernprozess los.
Wie steht es denn mit den Kosten? Kann sich ein mittelständischer Händler so etwas leisten? Wenn der mittelständische Händler von der Hard- bis zur Software alles selbst entwickeln will, reden wir über Milliarden. Aber neben den großen Ökosystemen wie Google und Amazon gibt es Technologie-Partner wie Intel, IBM und Toshiba, deren Geschäftsmodell ist es ja nicht, ein eigenes Ökosystem a la Amazon aufzubauen. Dann ist die Hardware nicht so kostspielig, weil man die Kosten vom Kunden zurückbekommt. Und man hat eine kalkulierbare Lizenzgebühr für die Künstliche Intelligenz und die Sprachanwendung an den Partner.
Also ist Conversational Commerce schon zum heutigen Zeitpunkt schon erschwinglich?
Ja, denn bei den Anbietern der Hard- und Software wächst natürlich auch der Wettbewerb und der Händler kann mit allen sprechen. Konditionen können Händler ja besonders gut verhandeln.
Wie kann ein Händler auch in Hinblick auf die Datenschutzgrundverordnung seine Kunden davon überzeugen, dass sie mit Alexa & Co nicht ausgehorcht werden?
Er muss unbedingt offensiv kommunizieren, dass er sich an alle Vorgaben hält. Denn das tut er sowieso, aber er muss dafür sorgen, dass die Skepsis des Konsumenten bei diesem Thema nicht in Befürchtungen oder Angst umschlägt.
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