Die KEP-Dienstleister erproben auf breiter Front Akkuautos. Die Erkenntnisse aus dem Lieferalltag fließen, wie jetzt bei Volkswagen, in die Serienproduktion ein.
Wenn dereinst elektrisch betriebene Transporter einmal wie selbstverständlich zum Stadtbild gehören, kann sich die Branche der Kurier-, Express- und Paketdienste einen gehörigen Anteil an den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zugutehalten. Seit geraumer Zeit testen die Transporteure nämlich Pilotfahrzeuge insbesondere von Mercedes-Benz und Volkswagen.
„Wer wäre besser geeignet, die neuen Modelle auf Herz und Nieren zu prüfen als unsere Kunden selbst?“, fragt Burkhard Klingner, der die technische Entwicklung des VW eCrafter verantwortet, eher rhetorisch und konnte vor dem jetzt anstehenden Marktstart „etliche Hinweise aus der alltäglichen Erfahrung noch in die Serienproduktion einfließen lassen.“
Amazon kooperiert mit Mercedes-Benz
Derweil stellt Mercedes-Benz den Lieferpartnern von Amazon Logistics noch bis Jahresende insgesamt 100 eVito zur Verfügung, nachdem der Handelsriese einst schon mit dem seinerzeit wenig beachteten Vorgängermodell Vito E-Cell Erfahrungen gesammelt hatte.
Übrigens: In den USA haben die beiden Unternehmen ihre Zusammenarbeit soeben erst richtig vertieft: Demnach übernimmt Amazon 20.000 (!) klassische Transporter mit dem Stern und wird damit weltweit größter Sprinter-Kunde.
Auch mit Hermes pflegen die Schwaben eine strategische Partnerschaft. Das KEP-Unternehmen will erklärtermaßen 1.500 Elektrotransporter der Baureihen Vito und Sprinter (der im nächsten Jahr mit E-Antrieb debütiert) in Dienst stellen.
Hersteller standen bislang auf der Bremse
Dass sich die lokal emissionsfreien Fahrzeuge in Zeiten des boomenden Onlinehandels bestens für die innerstädtische Lieferung kleinteiliger Güter eignen, gilt schon seit Jahren als ausgemacht. Leise und abgasfrei, sind die Kastenwagen schließlich von keinerlei Fahrverboten betroffen und können auf der „letzten Meile“ auch für nächtliche Zustellungen eingesetzt werden.
Allein die Hersteller standen bislang auf der Bremse und bestellten das elektrische Feld nur sehr zögerlich. Doch so langsam kommt Spannung auf: Neben Daimler und Volkswagen bieten auch Iveco und Renault bereits Akku-Transporter mit entsprechender Ladekapazität in Serienfertigung an. Und immerhin scheinen VW-Ingenieur Klingner und sein Team den Markteintritt akribisch vorbereitet zu haben. Fahrprofile und Nutzungsanforderungen erhoben
1.460 Interviews seien im Laufe des fast einjährigen Feldversuchs geführt worden. Dabei wurden Fahrprofile und Nutzungsanforderungen untersucht: So seien 30 Prozent der Fahrten länger als 175 Kilometer und 55 Prozent zwischen 70 und 175 Kilometer. 15 Prozent seien maximal 70 Kilometer lang – somit mit den gegenwärtig verfügbaren Elektroantrieben problemlos zu bewältigen.
Und die KEP-Boten wussten noch eine ganze Reihe weiterer Zahlen zu liefern: Die Fahrzeuge sind sechs Tage pro Woche, durchschnittlich jeweils neun Stunden lang im Einsatz, legen dabei zu 85 Prozent im urbanen Umfeld rund 70 Kilometer zurück und stoppen zwischen 50 und 100 mal.
Als Höchstgeschwindigkeit werden maximal 90 km/h erreicht. Die Nutzlast beträgt durchschnittlich 875 Kilogramm, Anhängelast wird in der Regel nicht benötigt. Mehr als 90 Prozent der Transporter werden allabendlich auf einem festen Parkplatz abgestellt und weniger als 25 Prozent der Einsätze sind ungeplant, womit ausreichend Zeit zum Aufladen bleibt.
Crafter mit Elektromotor aus dem Golf
Dabei bedienen sich die Konstrukteure aus dem Konzernbaukasten: Der E-Antrieb stammt vom Pkw-Bestseller Golf, wird in Kassel gefertigt und in Hannover in die zuvor im polnischen Werk Wrzesnia gefertigte Karosse montiert. Der Akku mit Zellen des koreanischen Anbieters Samsung wird im VW-Werk Braunschweig hergestellt und ebenfalls am Stammsitz in Hannover eingebaut.
Aber: Ein Transporter mit bis zu 4,25 Tonnen Gesamtgewicht und einem 100-kW-Aggregat aus dem Golf – kann das funktionieren? Sehr gut sogar, wie eine intensive Probefahrt kreuz und quer durch Hamburg belegt. Gurt anlegen, Schlüssel rumdrehen, Fahrstufe „D“ einlegen und schon geht es lautlos los.
Der Fahrer kann sich auf seine Aufgabe konzentrieren
Alles funktioniert völlig unspektakulär und ohne zusätzliches Technikstudium. Unterschiedliche Fahrmodi zur Rekuperation, wie bei den meisten Akkuautos, gibt es erst gar nicht.
„Wir fahren stets mit der maximalen Bremsenergierückgewinnung“, sagt Volkswagen-Techniker Burkhard Klingner. Eine der Erkenntnisse aus der Kundenbefragung: „Ständig zwischen irgendwelchen Programmen hin- und herschalten – das will kein Fahrer.“
An einer haushaltsüblichen Steckdose würde die Ladezeit 17 Stunden dauern. Mit einer sogenannten Wallbox verkürzt sich der Vorgang auf rund fünf Stunden und eine Schnellladesäule bringt in 45 Minuten 80 Prozent der Leistung zurück. Hoher Basispreis, niedrige Unterhaltskosten
Bleiben die Kosten: Mit einem Basispreis von 69.500 Euro (ohne Mehrwertsteuer) liegt der eCrafter um satte 17.000 Euro über einem vergleichbar ausgestatteten Diesel. Da müssen KEP-Dienstleister schon sehr fleißig ausliefern, bis sich die Investition amortisiert.
Die Wartungskosten seien erheblich niedriger, der Stromverbrauch von 21,5 kW/h auf 100 Kilometern würde lediglich 2,1 Litern Diesel entsprechen und es gäbe ja auch noch die Förderprämie, hält der Hersteller dagegen.
Und wenn Städte tatsächlich zu Dieselfahrverboten greifen müssen, um die gesetzlich vorgeschriebenen Luftschadstoffgrenzwerte einzuhalten, führt an E-Transportern – unabhängig vom Preis – ohnehin kein Weg mehr vorbei.
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