Immer mehr Kunden - die immer weniger im Einkaufswagen haben: Das ist Zalandos Problem. Der Onlinehändler muss die Warenkörbe der Kunden vergrößern - und lässt sich dazu einiges einfallen.

Das muss man erstmal schaffen: Umsatzwachstum um 11,7 Prozent, 13 Prozent mehr Kunden, fast ein Viertel mehr Bestellungen - und ein bereinigtes EBIT von -38,9 Millionen Euro. Als Zalando vor wenigen Wochen den Bericht für das dritte Quartal 2018 präsentierte, war das Entsetzen groß.

Europas größter Onlinemodehändler steckt im Dilemma. Zalandos Hauptproblem neben hohen Logistik- und Retourenkosten: Der Trend zu niedrigeren Warenkörben setzt sich fort und erreichte im dritten Quartal mit 57,50 Euro einen neuen Tiefstand.

Mobile Kunden kaufen weniger

Doch woran liegt es, dass die Kunden immer weniger im Einkaufskorb haben? Zum einen daran, dass inzwischen rund 80 Prozent der Seitenaufrufe über mobile Endgeräte erfolgen. Zalando verbucht die hohe Smartphone-Rate als Erfolg für die eigene Mobilstrategie. Doch der Erfolg hat zwei Seiten. Denn über Smartphone und Tablet werden oft kleinere Bestellungen abgesetzt. Zudem wird die Kundschaft immer jünger und bestellt vor allem günstige Ware.
Immer mehr Zalando-Kunden bestellen unterwegs über das Smartphone.
Immer mehr Zalando-Kunden bestellen unterwegs über das Smartphone.
Gleichzeitig treiben Instagram und Co. die Retourenraten nach oben. Stichwort "Outfit of the day" (€). Bei großen Warenkörben ist eine hohe Retourenquote noch akzeptabel. Doch je niedriger der durchschnittliche Bestellwert, desto problematischer wird es.

Zalando, hinter Amazon und Otto drittgrößter Onlineshop Deutschlands, muss gegensteuern. Zumal sich die Marktsituation mit Konkurrenten wie der aufstrebenden Otto-Tochter About You und dem chinesischen Dickschiff JD.com, das ebenfalls den deutschen Markt aufrollen will, künftig verschärfen wird.

Was tun? An seinen ehrgeizigen Wachstumszielen will Zalando nicht rütteln. Das hat Co-CEO Rubin Ritter auch zuletzt immer wieder deutlich gemacht. Im Zeitraum 2017 bis 2020 soll sich das Bruttowarenvolumen auf 10 Milliarden Euro verdoppeln.

Immer mehr Produzenten, immer mehr Marken

Wie Amazon, Otto und JD.com ist auch Zalando inzwischen viel mehr als ein Händler, hat sich zum Plattformanbieter entwickelt. Immer mehr Partnerschaften mit Modeproduzenten werden verkündet, selbst Marken von Inditex und H&M finden sich mittlerweise im Angebot. Zuletzt hat Zalando mit neuen Onlineshops in Irland und Tschechien auch die internationale Expansion wieder vorangetrieben und ist jetzt in 17 Ländern aktiv.
 
Aber:  Die Strategie "Umsatz vor Profitabilität" ist riskant und kann nur bis zu einem bestimmten Grad aufgehen. Das haben die jüngsten Zahlen gezeigt. Ein Hebel, um die Verluste zu reduzieren, sind Verbesserungen beim Fulfillment und Retourenmanagement. Zalando hat bereits angekündigt, dass die Aufbereitung zurückgesandter Artikel effizienter werden soll.

Zalandos Warenangebot wird immer größer, die Warenkörbe immer kleiner.
Zalandos Warenangebot wird immer größer, die Warenkörbe immer kleiner.
Noch entscheidender als Verbesserungen bei der Retourenabwicklung wird aber sein  - besonders vor dem Hintergrund absehbar weiter steigender Logistikkosten, ob es Zalando gelingt, die durchschnittliche Warenkorbsumme wieder zu erhöhen.

Dass selbst Versandkosten kein Tabu mehr sind, zeigt ein Test in Italien. Dort ist der Anteil kleinteiliger Bestellungen laut Zalando besonders hoch. Kunden, die für weniger als 24,90 Euro bestellen, zahlen künftig eine Versandgebühr von 3,50 Euro. Das ist nicht besonders kreativ, zeigt aber den Ernst der Lage für den Händler, der mit dem Werbeversprechen versandkostenfreier Lieferung groß geworden ist. Ob die italienischen Kunden künftig mehr bestellen, um die Schwelle 24,90 Euro zu erreichen oder ob sie es ganz sein lassen, wird sich zeigen.

Interessanter und deutlich einfallsreicher sind die beiden anderen Ansätze, mit denen Zalando Kunden zu Zusatzkäufen animieren will: Die Sortimentsverbreiterung und das Kuratieren. Hier hat der Onlinehändler zuletzt einiges auf den Weg gebracht.

70 Prozent der Beauty-Kunden bestellen auch Kleidung

Den passenden Lippenstift zur Bluse: Die Erweiterung des Textilsortiments um Kosmetik war naheliegend. Seit März 2018 bietet Zalando in Deutschland auch Duft-und Pflegeprodukte an. Noch in diesem Jahr sollen Österreich und Polen folgen. Und die Rechnung scheint aufzugehen: "70 Prozent der Beauty-Bestellungen sind gemischte Bestellungen", erklärt eine Zalando-Sprecherin auf Nachfrage.

Das Zalando-Sortiment wird also nicht nur durch neue Textilmarken tiefer, sondern durch neue Produktkatgorien auch breiter. "Potenzial sehen wir beispielsweise noch im Bereich Heimtextilien und Heimausstattung, auch wenn wir noch keine konkreten Pläne dazu ausgearbeitet haben", sagte Mitgründer und Vorstandsmitglied David Schneider kürzlich der Zeitung  "Die Welt". Die URL www.zalando.de/heimtextilien existiert jedenfalls bereits, auch wenn dort bislang nur ein einziger Artikel, eine Babydecke, angeboten wird. 

Test mit Heimtextilien? Eine Kategorie dafür gibt es im Zalando-Shop bereits.
© Etailment
Test mit Heimtextilien? Eine Kategorie dafür gibt es im Zalando-Shop bereits.
Der Oberbegriff "Mode und Lifestyle", mit dem Zalando sein Geschäftsmodell beschreibt, ist weit gefasst - und lässt noch viel Raum für weitere Sortimente, die dann im Warenkorb landen.

Von About You gelernt

"Unser Ziel ist es den Kunden ein fast unbegrenztes Angebot bereitzustellen", sagt David Schneider. Doch je größer und unüberschaubarer das Warenangebot auf der Plattform des Modegeneralisten, desto wichtiger wird die Vorauswahl für den Kunden, neudeutsch das "Kuratieren".

Die Otto-Tochter About You hat das inspirative Shopping mit einer konsequenten Personalisierungsstrategie vorgemacht und mischt derzeit den Markt auf, wenn auch noch auf deutlich niedrigerem Niveau als der Onlineriese Zalando. Dass der Zalando-Webshop heute deutlich weniger produktfokussiert daherkommt als noch vor ein paar Jahren, ist sicher auch diesem Vorbild geschuldet. Auch Zalando will jetzt näher an die Kunden heran und entwickelt dazu immer neue Funktionen und Apps wie die digitale Stilberatung Zalon, die Wardrobe-App und das Produktempfehlungstool "Algorithmic Fashion Companion" (AFC).

Das Ziel ist immer das gleiche: den Geschmack der Kunden möglichst genau zu treffen, um zusätzliche Artikel zu verkaufen und Retouren zu verringern. Dabei setzt Zalando auch auf künstliche Intelligenz. Nach eigenen Angaben beschäftigt der Onlinehändler allein 2.000 Tech-Mitarbeiter.

Die Stilberatung Zalon gibt es bereits seit 2014. Sie ist auch mobil über die App nutzbar und verbindet Kunden über Messenger mit "ihren Stylisten". Auf www.zalon.de beantwortet der Nutzer zunächst ausführliche Fragen zu seinen Vorlieben bei Marken, Materialien, Farben, Mustern und Schnitten und bekommt dann eine Zalon-Box mit ein bis zwei kompletten Outfits geschickt. Motto: "Behalte nur, was Dir gefällt."
In einem Pop-up-Store von Zalon konnten Berliner Kunden im vergangenen Jahr Termine mit Stylisten vereinbaren.
© Zalando
In einem Pop-up-Store von Zalon konnten Berliner Kunden im vergangenen Jahr Termine mit Stylisten vereinbaren.

Zalando will sehen, was die Kunden im Kleiderschrank haben

Die Wardrobe-App, seit April 2018 aktiv,  ist ebenfalls eine Art Stilberatung und soll Zalando-Kunden bei der richtigen Kombination verschiedener Teile aus ihrem eigenen Kleiderschrank helfen. Kunden können Fotos ihrer Kleidungsstücke hochladen und so den Inhalt ihres Kleiderschranks in der App speichern. Die in den vorherigen 24 Monaten bei Zalando gekauften Teile werden automatisch angezeigt.

Die App macht dann Vorschläge für "trendige Looks", die auf der Basis von Influencer-Outfits durch künstliche Intelligenz erzeugt werden. Ab 100 Artikeln liefere die Anwendung gute Resultate, die dem persönlichen Stil der Nutzerin entsprächen, heißt es von Zalando. Nutzer können ihre "Wardrobe" für "Follower" öffnen, eigene "Styles" hochladen und so ihren eigenen Fashion-Blog bauen. Außerdem können aussortierte Klamotten über die App verkauft werden - entweder an andere Community-Mitglieder oder direkt an Zalando.

Wie ein guter Verkäufer

Ob Zalando Wardrobe, Zalon oder auch die "Get The Look"-Funktion im Onlineshop, die Kombinationen aus jeweils vier bis sieben Artikeln zeigt - immer geht es um die Empfehlung kompletter Outfits. Erst im Oktober hat Zalando das jüngste Produktempfehlungstool, den "Algorithmic Fashion Companion" (AFC), eingeführt. Er kombiniert kreative Vorschläge von Stylisten mit künstlicher Intelligenz und erstellt automatisch Outfitvorschläge, die zur Einkaufshistorie des Kunden passen.

Zalando hat die Funktion mit der KI-Technik "Siamese Neural Networks" auf Basis von 200.000 Muster-Outfits von Stylisten aufgebaut. Die Cross-Selling-Vorschläge werden aus "Ankerartikeln" des Online-Wunschzettels oder der Einkaufshistorie abgeleitet und dann jeweils zwei oder drei dazu passende Kleidungsstücke präsentiert.

Im Prinzip tut das System also nichts anderes als ein guter Verkäufer in einem Modegeschäft: Er merkt sich, was dem Kunden gefällt und versucht dann weitere Artikel an den Mann oder die Frau zu bringen. Zalando könnte es durchaus gelingen, damit den durchschnittlichen Warenkorbwert wieder zu erhöhen.

Der Schick der Metropolen? Eines von vielen Outfits, die Zalando in der Rubrik "Get the Look" vorstellt.
© Etailment
Der Schick der Metropolen? Eines von vielen Outfits, die Zalando in der Rubrik "Get the Look" vorstellt.

Gefahr der Übersättigung

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Zalando-Kunden bei der Vielzahl der Beratungsfunktionen und Apps noch den Überblick behalten. Außerdem müssen Modehändler beim derzeitigen Hype um Influencer und kuratiertes Shopping aufpassen, dass nicht eine Übersättigung beim Kunden eintritt. Das heißt konkret: Sowohl Quantität als auch Qualität der Vorschläge müssen stimmen. Wenn diese quasi wie am Fließband produziert werden, kommt neben Inspirierendem eben auch viel Mittelmäßiges heraus.

Bereits heute arbeitet Zalando nach eigenen Angaben mit mehr als 500 selbstständigen Stylisten zusammen. Um immer mehr Stylingvorschläge zu generieren, wirbt das Unternehmen auf der Zalon-Seite offensiv um neue Modeberater.  "Mach Deine Leidenschaft zum Beruf" steht dort. Bewerben kann sich jeder, der "Mode und Styling liebt".
 
Wenn nun aber selbst ernannte Stylisten Outfits wie im Screenshot oben entwerfen, könnte das auf einige Kunden auch eher abschreckend als inspirierend wirken. 

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